Der Tiger – Tiger ist immer Sieger“. Was im ersten Moment so ganz und gar nicht nach Yoga klingen mag, ist genau der spezielle Einstieg, den Kinder in die Welt dieser Entspannungstechnik brauchen. Ob mit heftigeren Bewegungen, Schüttelübungen oder Sprachversen und Liedern: Bei Kindern muss die nötige Aufmerksamkeit für die Yogastunde erst wachgerüttelt werden. So schafft man die Bereitschaft für die Entspannung.
Wachrütteln um ruhig zu werden? Da stellt sich doch gleich die Frage: Macht es überhaupt Sinn, mit Kindern Yoga zu üben? Ist ein Kind müde, so schläft es doch ein – wir kennen die unmöglichlichsten Schlafposen im Kindersitz, auf Nachbars Teppich mitten im Wohnzimmer, plötzlich während des Essens, eben noch den Löffel im Mund schon im Land der Träume. „Ein Kind holt sich seine Ruhe, wenn es Ruhe braucht“, heißt es im Volksmund. Während das für so manches Kleinkind noch gelten mag, sieht der Alltag spätestens im Schulalter ganz anders aus. Sie kennen selbst ihren Terminkalender, den Stundenplan ihrer Kinder, die wenigen freien Nachmittage … Nein. Nicht davon möchte ich berichten. Heute steht Ruhe auf dem Programm!
Gleichgewicht schafft Selbstvertrauen.
In Indien, dem Ursprungsland des Yoga, ist ein Mensch dann reif für Yoga, sobald er zu atmen beginnt. Bereits Babys werden durch sanfte Massagen und gezielte Bewegungen auf Yogaübungen vorbereitet. „Kinder, die über einen längeren Zeitraum regelmäßig Yoga üben, erzielen beachtliche Erfolge auf körperlicher Ebene“, weiß Petra Proßowsky, Yoga-Lehrerin und Autorin mehrerer Yoga-Bücher für Kinder.
„Wenn es den Kindern gelingt, durch Übungen das Gleichgewicht besser zu halten, wächst auch ihr Selbstvertrauen.“ Dadurch erleben besonders Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten oder dem ADHS-Syndrom, dass sie ihren Körper, der ihnen sonst so oft entgleist, beherrschen können. Als Pflichtfach unterrichtet Petra Proßowsky Yoga an einer deutschen Schule. Dort ist Yoga für Kinder ganz selbstverständlich. Aus den früheren Yoga-Arbeitsgemeinschaften für Kinder weiß die langjährige Yoga-Lehrerin: „Meistens melden sich nur ganz ruhige Mädchen an. Die Kinder, die Yoga viel nötiger haben, kommen nicht freiwillig.“ Doch in der Gruppe mache es dann auch diesen Kindern Spaß. Viele freuen sich, die Übungen zu Hause ihren Eltern und Geschwistern vorzuzeigen – und dann und wann gibt es sogar eine entspannende Rückenmassage für Mama oder Papa.
Übungsbücher: Schritt für Schritt.
Doch um Yoga mit Kindern zu üben, bedarf es nicht unbedingt eines weiteren Fixtermins an den bereits zu kurz scheinenden Nachmittagen. Wer selbst Yoga übt, kann dies nach kleinen Abänderungen mit seinen Kindern praktizieren. Doch auch ohne eigene Erfahrungen in Yoga ist der gemeinsame Weg in die Welt der Entspannung offen. Anhand zahlreicher Bücher und Übungsposter (siehe Buchtipps) kann Yoga Schritt für Schritt erlernt werden. Wer dabei einige der Regeln beachtet, wird bald von den vielen Vorteilen des Yoga profitieren und findet vielleicht früher oder später Interesse an einem professionell geleiteten Kurs.
Loslassen, Kraft tanken, Ruhe finden.
Während Erwachsene Yoga üben, um sich zu regenerieren und vom Alltag loszulassen, unterstützt Yoga die Kinder in ihrem Aufbau. Sie können diese Weiterentwicklung, das tägliche „Dazulernen“, durch den Einsatz von Entspannungsübungen fördern.
Positive Effekte zeigen sich in den Bereichen der
• Förderung des Gleichgewichts, der Wahrnehmung und der Konzentration
• Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aber auch
• Kräftigung und Gesunderhaltung des Körpers
• Förderung des sozialen Miteinanders
Bekommt ein Kind die Möglichkeit, sich selbst im Yoga zu erleben, so wird es darin unterstützt, eine gesunde, selbstbestimmte Persönlichkeit zu entwickeln. Nicht zuletzt folgen auch die Yogaübungen mit Kindern dem Urziel der yogischen Philosophie: Meister des eigenen Lebens zu werden oder einfacher ausgedrückt: sein Leben zu meistern.
In einem voll gepackten Alltag, mit dem die meisten Kinder heute konfrontiert sind, braucht es auch Oasen der Ruhe. Zeit, in der sich die Kinder spüren, Kraft tanken, aber auch einmal loslassen können. „Ich nehme mir heuer eine Auszeit“, meinte da kürzlich der Sohn einer Freundin auf die Frage, welches Fach er in der Musikschule belegen wird. Der Mut zur Ruhe wird mit Entspannung belohnt. Doch nur selten finden Kinder derart selbstsichere und selbstbestimmte Worte bzw. werden diese Rufe nach Ruhe gehört und akzeptiert. Yogaübungen zeigen einen Weg auf, zu dieser inneren Ruhe zurückzufinden und seinem natürlichen Rhythmus zu folgen. Für Eltern und eben auch für Kinder.
„Yoga gibt Impulse, damit sich der Körper natürlich entwickelt.“
Boris Georgiev hat Yoga mit ungefähr sechs Jahren zum ersten Mal selbst ausprobiert. Ab 14 Jahren begann er gezielt zu üben. Später absolvierte er in Indien eine Ausbildung zum Yoga-Lehrer. Er gründete und leitet heute das Wiener Yogazentrum Ganesha und spricht mit Fratz & Co über seine Erfahrungen bei Kinder-Yoga.
Fratz & Co: „Sie unterrichten in ihren Yoga-Kursen selbst Kinder unterschiedlicher Altersgruppen – ab welchem Alter würden Sie Yoga für Kinder empfehlen?“
Georgiev: „Im Alter von sechs Jahren liegt der beste bzw. wichtigste Zeitpunkt, um mit Yoga zu beginnen. Das ist zugleich der Beginn der Schulzeit – damit verlieren die Kinder viel an Bewegungsfreiraum und leben nicht immer ganz natürlich. Sie sitzen viel zu lange auf Sesseln. Hier bietet Yoga einen Ausgleich.“
Fratz & Co: „Aber es werden doch auch schon Yoga-Kurse für Kleinere angeboten, für Kleinkinder oder Kinder im Vorschulalter?“
Georgiev: „Kleinkinder machen ihr Training auf ganz natürliche Weise. Wenn ein Kind zu Krabbeln bzw. zu gehen beginnt, so sind diese Bewegungen vom Liegen ins Sitzen, vom Sitzen in den Stand vergleichbar mit Yogaübungen. Wenn Eltern dann zu mir kommen, weil sie für ihr Kind einen Yoga-Kurs möchten, biete ich ihnen meistens selbst einen Yoga-Kurs an, denn kleine Kinder brauchen in dieser Phase vor allem entspannte Eltern.“
Fratz & Co: „Soll die Meinung eines Arztes vor dem Beginn mit Yoga bei Kindern eingeholt werden?“
Georgiev: „Wenn ein Kind Probleme oder eine Krankheit hat, ist es bestimmt nicht schlecht, sich den Rat eines Arztes zu holen. Grundsätzlich reagiert der Körper von Kindern schnell und ihr Schmerzempfinden ist eher gering. Das heißt, es besteht die Gefahr, dass sie sehr schnell über ihre eigenen Grenzen gehen. Deshalb ist Yoga im Kindesalter zumeist sehr spielerisch. Für gesunde Kinder bedeutet Yoga einen Ausgleich und ist damit förderlich.“
Fratz & Co: „Können Sie diese positiven Auswirkungen des Yoga ein wenig näher erklären?“
Georgiev: „Im Vordergrund stehen dabei das richtige Atmen, die Entspannung und das Kennenlernen des eigenen Körpers. Den ersten Fortschritt im Yoga erfahren Kinder, indem sie die Regelmäßigkeit kennen lernen und bewusst erfahren. Yogaübungen geben dem Körper Impulse, damit er sich natürlich entwickelt, auch wenn das Leben wie so oft nicht mehr ganz natürlich verläuft. Bei den Übungen in der Gruppe wird selbstverständlich auch der soziale Umgang miteinander trainiert.“
Tipps für Yoga mit Kindern
Der Zeitpunkt
In der Yoga-Lehre heißt es, dass Yoga am wirksamsten vor Sonnenauf- bzw. vor Sonnenuntergang ist. Wichtig ist es allerdings, im eigenen Tagesablauf eine Übungsphase einzubauen, die auch regelmäßig stattfinden kann.
Der Übungsplatz
Teil der gemeinsamen Übung ist es bereits den Übungsplatz vorzubereiten. Das Ausbreiten der Übungsmatte an einem fixen Ort gibt dem Ritual sicheren Boden.
Essen und Lulu-Erinnerung
Damit ihr Sprössling richtig loslassen kann, sollte die letzte Mahlzeit etwa eine Stunde zurückliegen. Außerdem ist kurz vor dem Üben der Toilettenbesuch ratsam, damit sich nicht plötzlich mitten in der Entspannung die volle Blase meldet.
Begrüßung und Ausklang
Die Yoga-Übungseinheit beginnt mit einer feierlichen Begrüßung. Dazu faltet man die Hände, verbeugt sich leicht und spricht dazu „Namaste!“. Das bedeutet: Ich begrüße das Lebendige in dir. Nach einem kurzen Aufwärmen können nun die einzelnen Übungen folgen. Zum Abschluss eignen sich für Kinder beispielsweise eine Fantasiereise oder verschiedene Stille-Übungen. Dann wird alles wieder an seinen Platz geräumt und das Kind bekommt die Zeit, die es jetzt für seine Entspannung braucht (keine anschließenden Termine!).
Ohne Druck und Leistungsdenken
Kinder können Übungen beispielsweise nach vorgelesenen Anleitungen selbst ausführen bzw. Haltungen einnehmen, die ihnen spontan zum Namen der Übung einfallen (Berg, Katze, …). Anhand von Abbildungen korrigiert das Kind dann „seine Variante“. Die Übungen werden nur kurze Zeit gehalten und besonders Atemübungen sollen nur spielerisch und ohne Atemhalten vermittelt werden.
Infos:
www.ashtanga.at
Das Wiener Yogazentrum Ganesha
bietet Kinderkurse ab ungefähr 5 Jahren
an. Alle Kursdaten bzw. Hintergründe
aktuell abrufbereit.
www.devananda-yogaschule.at
Die Österreichische Schule für klassi-
sches Yoga im Schloss Tribuswinkel bietet
Kinder- bzw. Eltern-Kind-Kurse an.
Buchtipps:
Yoga für Kinder
von Thomas Bannenberg
GU Ratgeber Kinder
ISBN 3-7742-6984-X
Kinder entspannen mit Yoga
von Petra Proßowsky
Verlag an der Ruhr
ISBN 3-86072-290-5
Hokus Pokus Asana
von Petra Proßowsky
Aurum im Kamphausen Verlag
ISBN 3-591-08450-6
Verena Resch
Die Autorien studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und absolvierte eine Ausbildung zur Medienpädagogin. Sie ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet derzeit als freie Journalistin.
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