Der Schrei kommt aus kaum mehr als einem Meter Höhe und ähnelt dem schneidenden Geräusch einer Kreissäge, die einen Holzstamm zerteilt. Das kleine blonde Mädchen im weißen Kampfanzug reicht einem Erwachsenen nur bis zur Hüfte … wenn es aber die Fäuste ballt und seinen Kampfschrei von sich gibt, ist alles auf Respekt und Vorsicht ausgerichtet – durchaus ein erwünschter Effekt im Wiener Taekwondo- Trainingscenter von Andreas Held.
Der promovierte Sportwissenschaftler und Taekwondo-Trainer sieht die Vorzüge eines Kampfsporttrainings allerdings auch jenseits der Selbstverteidigung: „Die Kinder lernen sich zu konzentrieren, aufmerksam zu sein, ein Bewusstsein für den eigenen Körper und eine aufrechte Körperhaltung zu entwickeln.“
Bambini-Fighter
Von klein auf kann trainiert werden, meint Held und bietet daher Taekwondo- Stunden für Kids ab drei Jahren an. Auf Bambini-Level wird zwar noch mehr gespielt als gekämpft, geht es doch hier mehr um Bewegung und das Kennenlernen des eigenen Körpers. Lernen findet beim Kampfsport in der Bewegung statt; „Körper-Geist-Bewegung“ nennt sich das im Taekwondo. Statt zu Hause und womöglich mit krummem Rücken Lerninhalte in den Kopf zu pauken, erfährt der Geist Abläufe und Zusammenhänge über die Bewegung des Körpers.
Philosophischer Kampf
Dahinter steckt in erster Linie die Macht des Geistes, denn wie die meisten asiatischen Kampfkünste ist das koreanische Taekwondo eher eine Philosophie denn eine Sportart. So hat der Begründer der Kampfkunst, General Choi Hong-hi, Höflichkeit, Integrität, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin und Unbezwingbarkeit als höchste Ziele des Taekwondo definiert – Ziele, die man eben zuerst im Kopf erreicht. Der Weg zur mentalen Stärke führt aber über den Körper. Schnelle Reaktionsfähigkeit, stabiles Gleichgewicht, kontrollierte Atmung und absolute Konzentration sind die Werkzeuge für einen Kämpfer, der die Ziele der Kunst erreichen will.
Energien balancieren
Auch wenn sich noch immer die Meinung hält, Kampfsportarten würden Aggressionen stärken: Das Gegenteil ist der Fall, unterstreicht Andreas Held. „Die Energien, die in einem Kind vorhanden sind, werden durch das Training ausbalanciert. Ein sehr ruhiges Kind wird mit Energie aufgeladen, ein hyperaktives etwas ruhiger. Taekwondo hilft auch dabei, Energie zu bündeln und nach außen zu bringen.“ Keine Therapie hätte so positiv gewirkt wie das Kampfsport-Training, berichten denn auch die Eltern eines Kindes, das unter einer Teilleistungsschwäche leidet, in einem Internetforum. Und das ist kein Einzelfall.
Aggression nutzen
Dennoch ist Aggression im Vollkontaktsport Taekwondo ein Thema – spätestens dann nämlich, wenn es tatsächlich um Selbstverteidigung geht. „Das Kind speichert positive Aggression, die es im Notfall abfeuern kann“, sagt Andreas Held. In einem besonderen Selbstschutz-Training, das in Schulen angeboten wird, setzt er jedoch einmalmehr beim Kopf an, nicht bei der Faust: „Mut und Selbstschutz haben nichts mit Kampfbereitschaft zu tun. Wir müssen den Kindern zeigen, wie viel Stärke und wie viel Persönlichkeit in ihnen stecken. Selbstschutz dient in erster Linie dazu, dass die Kinder gar nicht erst in die Opferrolle kommen.“ Selbstvertrauen, Aufmerksamkeit, Willenskraft und im Ernstfall ein kräftiger Schrei sind einfacher und wirksamer als Tritte oder Schläge.
Missbrauch abschwören
Der Gründer des Taekwondo ließ seine Schüler einen Eid ablegen, die Kampfkunst nie zu missbrauchen. Oft gehen jedoch die Kinder selbst mit anderen Erwartungen ins erste Schnuppertraining: „Viele Kinder, die neu kommen, vor allem die Buben, wollen Tricks wissen, wie man jemanden verletzen kann“, erzählt Andreas Held. Und es gibt wohl auch Eltern, die sicherstellen wollen, dass ihr Kind auf der Seite ist, die austeilt. Bei jedem Kampfkunst-Meister, der auf sich hält, wird diese Erwartung allerdings enttäuscht werden. So hart ein Kampfsport für den Außenstehenden aussieht – die ethischen Standards der Kämpfer und Trainer sind traditionell enorm hoch.
Judo für Einsteiger
Das gilt selbstverständlich nicht nur für Taekwondo, sondern für alle großen Kampfkünste. Zu den beliebtesten gehören in Österreich Jiu-Jitsu, Aikido, Karate und Judo, die alle auch für Kinder angeboten werden. Eine besonders lange Tradition im Kindertraining hat das japanische Judo, das ohne Tritte und Schläge auskommt und die hohe Kunst des Nachgebens lehrt. Die Verletzungsgefahr ist hier im Vergleich zu anderen Kampfsportarten äußerst gering. Zudem wurde eigens für Kinder ab sechs Jahren das so genannte Prä-Judo entwickelt, bei dem besonders das richtige Fallen gelehrt wird. Spielerisch werden erste Formen des Zweikampfs eingeführt, lange bevor das bewusste Training beginnt.
Kunst der Samurai
Jiu-Jitsu gilt als Vorgänger des Judo und stammt von der Selbstverteidigungskunst der japanischen Samurai ab. Ziel ist es, einen Gegner auch ohne Waffen mit möglichst geringem Kraftaufwand unschädlich zu machen. Der Wettkampf ist den Jiu-Jitsu-Meistern weniger wichtig als die Übung, dennoch wird die Kampfkunst heute auch als Sport betrieben. Viele Institute bieten ein Training ab drei Jahren an.
Kraft des Gegners
Aikido gilt als die am schwersten zu erlernende Kampfkunst, ist aber auch die gutmütigste. Als reine Selbstverteidigung konzipiert, leitet man im Aikido die Kraft des gegnerischen Angriffs mit geschickten Griffen, Würfen und Hebeln um, ohne dass dabei jemand verletzt wird. Sportliche Wettkämpfe gibt es kaum, da sie der Philosophie des Aikido widersprechen. Ab Schuleintritt sind Einführungskurse für Kinder möglich.
Kampf als Sport
Karate, eine japanische Kampfkunst mit chinesischen Ursprüngen, gilt als Urmutter des Taekwondo. Auf körperliche Kondition, Sportlichkeit und Wettkampf wird bei dieser Disziplin hoher Wert gelegt. Besonders bekannt ist Karate für seine Schlag- und Tritt-Techniken sowie für den publikumswirksamen Bruchtest – das Zerschlagen von Ziegeln und Brettern mit der bloßen Hand. Unter den Kleinen ist das noch kein Thema. Aber wie beim Taekwondo können Haltung, Atmung, Beweglichkeit und Spannung in einigen Institutionen schon ab drei Jahren trainiert werden.
Breites Angebot
Kampfsport ist heute so etabliert, dass man fast überall Einführungskurse anbietet: ob im eigentlichen Dojo (also der traditionellen Kampfkunst-Übungshalle), ob in Volkshochschulen oder beim Bundeskriminalamt, das über den hauseigenen Sportverein Judo-Selbstverteidigungskurse abhält. Fast immer besteht auch die Möglichkeit eines Schnuppertrainings, bei dem sich Eltern und Kinder mit der Kampfkunst und den Lehrenden vertraut machen können. Mit Letzteren steht und fällt die Qualität des Kurses, bestätigt auch Andreas Held: „Es braucht eine Liebe zu den Kindern, gleichzeitig aber auch Strenge, dass die Kinder zu einem aufschauen. Da ist einfach eine gewisse pädagogische Kompetenz notwendig.“
Die hohe Kunst
Könnte Kampfsport etwas für mein Kind sein? Welcher Kampfsport ist der richtige? Welcher Lehrmeister ist für mein Kind geeignet? Hier gilt es, den elterlichen Spürsinn einzusetzen. Die Angebote sind jedenfalls vorhanden. Die Chancen, dass Ihr Kind sich etwas fürs Leben mitnimmt, auch!
ratzfratz Training für Kinder Young-ung Taekwondo Dr. Andreas Held 1070 Wien, Kaiserstraße 61 Tel: 0664 4032044 www.taekwondowien.at Karate Kid DOS martial art fitness Budoclub Wien Kampfsport-Verbände |
Markus Widmer
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