Wenn die Stadt noch schläft,
erwachen in der Reihenhaussiedlung am Stadtrand zaghaft die ersten Motoren vereinzelter „Brezelkäfer“. Deren Besitzer machen sich auf den Weg zur Arbeit. Man ist motorisiert – vor wenigen Jahren noch ein Traum, aber durch die soeben eingeführte Form des Ratenkaufs zu „besonderen Konditionen“ sind Autos nun auch für den Mittelstand leistbar. Hie und da knattern Motorräder – DKW, Puch, Kreidler oder NSU. Sie zählen zu der aussterbenden Rasse jener Fortbewegungsmittel, die Not symbolisieren. Wer es geschafft hat, fährt Auto. VW Käfer, Ford Taunus, Opel Kapitän. Das Wirtschaftswunder ist auch in Österreich angekommen.
Mutter Gerlinde weckt ihre beiden Kinder, Franz und Gerlinde II. Typische Namen. Isabella heißen höchstens Autos. Das Radio spielt Bill Haley, und Vater Norbert hat schon wieder seine Schachtel „Sport-Filter“ vergessen. Als Zigaretten noch nicht verpönt waren, Peter Kraus als Halbstarker galt und das Fernsehen im Wirtshaus genossen wurde – von 14 Uhr 15 bis 22 Uhr 30 –, da war die Welt in Ordnung. Wir schreiben das Jahr 1955. Eine Familie (Vater, Mutter, zwei Kinder) verdiente, was der Vater erwirtschaftete. Und das waren knapp 1000 Schilling.
Konsum als Motor Die Begriffe „Konsum“ und „Konsumieren“ stehen für die Auswahl, den Kauf und Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen, beziehungsweise für die Tätigkeit des Wählens und Verbrauchens per se. Und es gab viel zu konsumieren seinerzeit. Doch alles leider viel zu teuer und das meiste daher in weite Ferne gerückt. Alleine 40 Prozent eines durchschnittlichen Monatslohns verschlang der bloße Erwerb von Nahrungsmitteln. Ein Telefon besaß zu jener Zeit nur rund jeder fünfte Haushalt, dafür traf man sich öfters in der Eisdiele, im Kino oder beim besagten Wirt ums Eck. 35 Cent oder rund 5 Schilling kostete der Liter Benzin anno 1955. Berücksichtigt man allerdings die damalige Kaufkraft und die Einkommensentwicklung bis jetzt, dann wären dies heute – halten Sie sich fest – 82 Schilling respektive 6 Euro! Alles ist relativ … und so auch die Preisentwicklung. Tanken war also in der guten alten Zeit mehr Luxus denn je. Netto-Tariflohnindex und Verbraucherpreisindex lagen gleichauf bei knapp 1000 Schilling.
Was beschreibt der Verbraucherpreisindex?
Der Verbraucherpreisindex misst die durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen, die von privaten Haushalten gekauft werden. Single-Haushalte sind ebenso berücksichtigt wie jene von Rentnerehepaaren oder Großfamilien. Dieser Index zeigt auf, was wie teuer oder billig geworden ist. Er umfasst Mieten, Nahrungsmittel, Bekleidung ebenso wie Kraftfahrzeuge oder Dienstleistungen wie Friseur, Reinigung oder Reparaturen. Der Verbraucherpreisindex ist der Maßstab zur Beurteilung der Wertstabilität des Geldes in Österreich.
Freie Fahrt und freie Bildung
1972/73 bekamen alle Schülerinnen und Schüler gratis Schulbücher und die so genannte Schülerfreifahrt. Universitäten und Kindergärten konnten größtenteils kostenlos in Anspruch genommen werden. Es war die Zeit, als der Ausspruch „Österreich ist eine Insel der Seligen“ geboren wurde. Finanziert wurde all das über eine höhere Staatsverschuldung. „Mir ist eine Million Schilling Schulden weniger wichtig als ein Arbeitsloser zuviel“, erklärte Bruno Kreisky, damals Kanzler. Es war die Zeit der Vollbeschäftigung und des Öl-Preisschocks. Öl gilt seit mehreren Jahrzehnten als guter Indikator für die Wirtschaft im Allgemeinen. Doch dieser erste große Ölpreisschock veränderte alles: Ein autofreier Tag wurde eingeführt, Grundnahrungsmittel wurden teurer, der Schilling wurde gedreht und gewendet, doch unterm Strich war er weniger wert geworden. Generell betrachtet gingen knapp 12 Prozent des Einkommens fürs Wohnen drauf, die Kosten für den Verkehr schlugen ebenfalls mit rund 12 Prozent zu Buche. Knapp ein Drittel ihres durchschnittlichen Einkommens wendeten die Österreicher für Nahrungsmittel auf. Das Leben war im Gegensatz zu den goldenen Fünfzigern in Summe gesehen billiger geworden, mehr als 3500 Schilling verdiente damals ein Arbeiter im Durchschnitt. 41 Prozent aller Wohnungen waren mit Telefon, aber erst 6 Prozent mit einem Farbfernseher ausgestattet. Beinahe jeder Zweite war auto-mobil.
Vierteltelefon und Video
15. Juli 1984: Laura Branigan verlor auf Platz eins der Charts nicht ihre „Self Control“, Freddy Mercury sang sich mit Queen und „I Want To Break Free“ an die zweite Stelle der österreichischen Hitparade, und die steirische Formation STS wollte von Platz drei aus nur „Heim nach Fürstenfeld“. 70 Prozent aller Haushalte kochten ihr Süppchen auf einem Elektroherd, und 79 Prozent erzählten ihre Urlaubserlebnisse übers eigene Telefon – fast jeder Zweite davon noch über einen Viertelanschluss. Netto blieben 7000 Schilling auf dem Konto. Sollte auf einem der 61 Fernseher je hundert Haushalte ein Film verpasst worden sein, dann sprang der in jedem zehnten Haushalt schon vorhandene Videorecorder an und zeichnete den Film auf Video2000, Beta oder gar VHS auf. Internet als Freizeitbeschäftigung war nur etwas für knapp 10.000 Menschen – weltweit! Und die saßen im Pentagon oder in Forschungslabors. PCs für den Heimgebrauch? Fehlanzeige. Musik kam von einer der in jedem dritten Haushalt aufgestellten Stereoanlagen, nur in einem von fünf Haushalten wurde Geschirr maschinell gespült.
CD als Massenprodukt
„Mit einer der ersten aus den USA importierten Windows 95 CDs ging mein sündhaft teurer Rechner in die Knie. Diesen Augenblick werde ich nie vergessen. Die Grafikkarte mit 2 (!) MB RAM alleine verschlang 7000 Schilling …“ Sie verzeihen diesen persönlichen Ausflug in die frühen neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, aber tatsächlich werkelte erst in 10 Prozent aller österreichischen Haushalte ein so genannter Personal Computer – alte, graue Kisten mit Floppy-Disc-Laufwerken und Festplattengrößen unter einem Gigabyte. Zum Vergleich: Jedes Musicplayer-Handy von heute hat auf einem fingernagelgroßen Chip mehr Rechenleistung als diese PCs.
Der Trost in Gestalt einer CD in der HiFi-Anlage – wie sie anno 1994 in jedem zweiten Haushalt stand – vermochte den größten Schock zu lindern … Und danach vor die Glotze zu ORF1 oder gar einem der 18 deutschen Sender, die ins Kabelnetz eingespeist waren. Neun von zehn Haushalten frönten der televisionären Unterhaltung in Farbe. Die durchschnittlichen Nettolöhne lagen bei 11.000 Schilling, der Verbraucherpreisindex bei 4000 Schilling.
Euro als Teuro
Früher war alles besser. Und dann waren sie plötzlich da, die zweifach ausgeschriebenen Preise. Es wurde gerundet und in Schilling zurückgerechnet. Weh dem, der da nicht genau verglich. 13,7603 Schilling sind 1 Euro – diese Zauberformel beherrschte den Alltag. Katastrophenszenarien ungeheuren Ausmaßes wurden zwei Jahre vor der Euro-Umstellung herbeigeredet und sind dennoch nie eingetreten. Uns ging’s besser denn je, 12.000 Schilling netto verdiente ein Kopf – und immer noch „nur“ 4000 Schilling hoch war der Verbraucherpreisindex. Alles war billig. 89 Prozent aller Haushalte besaßen ein Telefon, 98 Prozent konnten ihr Schnitzel im Kühlschrank frisch halten und drei von vier Österreichern starteten ihr eigenes Auto. Apropos Auto: 11 Schilling kostete damals der Liter Diesel, also knapp 82 Cent. Und die Autofahrerclubs protestierten über den „enormen“ Preisanstieg von „mehreren Groschen“ innerhalb eines Tages. Dafür konnte man aber – im Vergleich zu 1955 – um die Hälfte des Wertes in einem Restaurant speisen,Beheizung war 5 Prozent billiger als in den Fünfzigern und auch die Kosten für Gesundheitspflege waren im Vergleich zu den Neunzigern um 4 Prozent gesunken.
Uns geht’s wirklich gut
Betrug das durchschnittliche Jahreseinkommen 2000 noch knapp 28.500 Euro, so wuchs es bis 2006 auf 32.600 Euro an – was eine Einkommenssteigerung von 14 Prozent bedeutet (und das in nur sechs Jahren!). Kurz: Jeder vierte Österreicher verdiente anno 2006 um 4100 Euro mehr als noch 2000. Uns geht’s also gut, gemessen an den Einkommen, der Lohnentwicklung, den Preisindizes – und an dem, was uns übrig bleibt fürs Mehr-Er-Leben. Wir geben allerdings auch mehr aus. Und deswegen manifestiert sich der Eindruck, wir hätten weniger. Die Umstellung vom alten, stabilen Schilling hin zum neuen gehassliebten Euro am 1. Jänner 2002 ist juristisch längst vollzogen. Tatsächlich aber rechnet noch immer jeder Dritte unserer Landsleute in den Alpendollar um … und wundert sich! Wir jammern über einen Teuro und dass Benzin „irre viel“ – nämlich 1,10 Euro Mitte November 2008 – kostet. Wie war das nochmals in den „goldenen fünfziger Jahren“?
Gilbert Brandl
Foto: Shutterstock.com nito