Französisch, Ungarisch, Deutsch – und das mit sechs Jahren!
Ist Viola ein Wunderkind? „Nein“, meint ihr Vater Paul Tarmann, „meine Frau und ich wollten nie, dass aus Viola etwas Außergewöhnliches wird. Die Mehrsprachigkeit hat sich einfach daraus ergeben, dass Ildikó Ungarin ist und ich fließend Französisch spreche. Da lag es auf der Hand, dass unsere Kinder Viola und die eineinhalbjährige Norina neben Deutsch auch andere Sprachen lernen!“
Der Doktor der Romanistik stammt aus Kärnten, großväterlicherseits hat er slowenischsprachige Wurzeln. Dass Slowenisch nach dem Zweiten Weltkrieg in der Gesellschaft als minderwertige Sprache eingestuft wurde, hat Paul Tarmann stets bedauert. Die Liebe für andere Sprachen und die Weltoffenheit hat ihm sein Großvater dennoch mitgegeben.
Klare Regeln
Wenn Paul Tarmann Viola vorliest, dann fast ausschließlich französische Kinderbücher. Die gemütlichen Lesestunden sind ein besonderes Highlight für Vater und Tochter. Gerne singen die beiden auch französische Kinderlieder. Zusätzlich ist der Vater natürlich auch für die deutsche Sprache zuständig. Dank des Kindergartens, den das aufgeweckte Mädchen nun im letzten Jahr besucht, gibt es für Viola ausreichend Gelegenheit, Deutsch zu sprechen. Französisch und Deutsch mit Papa, Ungarisch mit Mama! Wie froh Paul Tarmann war, dass seine Frau Ildikó es ebenso natürlich gefunden hat, mit ihren Töchtern von Geburt an in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. Verwirren die verschiedenen Sprachen die kleinen Mädchen nicht? Verwechseln sie die einzelnen Vokabeln? „Nein, das ist nicht der Fall“, meint Paul Tarmann, „denn wir halten uns an die Regel, dass es eine Bezugsperson für jede Sprache gibt! Eltern, die stets die Sprachen mischen, tun ihren Kindern damit nichts Gutes! Ebenso Eltern, die Kinder in einer Sprache unterweisen wollen, die sie selbst nur mangelhaft beherrschen.“
Das bestätigt auch Buchautorin Dr. Anja Leist-Villis: „Das Grundlegende zweisprachiger Erziehung ist es, diese ganz bewusst zu gestalten: Welche Sprache kann und möchte ich mit dem Kind sprechen? Welche Möglichkeiten bieten sich in meinem Umfeld: zweisprachige Kindergärten, Schulen, Kontakte zu anderen zweisprachigen Menschen? Wie wichtig ist es mir, dass mein Kind zweisprachig aufwächst? Was bin ich bereit, dafür zu tun? Bin ich konsequent genug?“ Das ist natürlich im Alltag nicht immer möglich … Manchmal geht es einfach schneller, die Dinge in einer Sprache zu benennen, die alle Anwesenden verstehen. Aber dies sollte die Ausnahme bleiben.
In drei Sprachen zuhause
Violas Familie hat gerade Besuch von ungarischen Verwandten – eine Freude für Viola, die in diesen Tagen intensiv mit ihnen spielt. Da ist es nur natürlich, dass die gemeinsame Sprache derzeit der Hit ist. Danach gefragt, welches denn ihre Lieblingssprache sei, antwortet Viola auch wie aus der Pistole geschossen: „Ungarisch!“ Mit der Sprache ihrer Mutter verbindet das kleine Mädchen Gefühl, Zuneigung und Annahme. Ihr bester Kindergartenfreund ist übrigens ebenfalls ungarischer Abstammung. Viola ist seine kleine Übersetzerin geworden. Aber auch Französisch liebt Viola, sie spricht diese Sprache akzentfrei. Das kleine Mädchen scheint sich in seiner Sprachenvielfalt jedenfalls sehr wohl zu fühlen.
Spielend einfach
Linguisten sind überzeugt: Früh gelernte Sprachmelodien prägen sich ein. Wird ein Kind geboren, so ist es in der Lage, die Laute sämtlicher Sprachen zu unterscheiden. Bereits nach wenigen Monaten verliert der kleine Mensch diese Fähigkeit, nun findet eine Konzentration auf die Laute der Muttersprache statt. Aussprache und Melodie einer Sprache werden bereits in den ersten Lebensjahren festgelegt. „Diejenige Sprache, die eine Mutter oder ein Vater mit dem Kind spricht, ist sehr verbindend“, weiß Anja Leist-Villis. „Trennend kann Zweisprachigkeit eigentlich kaum wirken, wohl aber die Verwendung der Sprache, die der andere nicht versteht.“ In langjährigen Studien hat die Pädagogin und Autorin eines Elternratgebers zum Thema „Zweisprachigkeit“ stetsaufs Neue die Erfahrung gemacht, wie rasant sich die Sprache bereits im Alter von zwei bis drei Jahren entwickelt. Dass Kleinkinder offensichtlich keine Probleme mit dem gleichzeitigen Erwerb mehrerer Sprachen haben, findet Anja Leist- Villis beeindruckend.
Hometrainer
Macht das Ganze aber auch Spaß? Die Antwort darauf lasse sich, so die Expertin, nur mit Blick auf die individuelle Persönlichkeit des Kindes geben. Generell macht eine zweisprachige Erziehung Kindern Freude. Schwierig wird es dann, wenn das Kind in einem negativ geprägten Umfeld aufwächst und Vorurteile, unzufriedene Eltern oder fehlende Anerkennung seine Entwicklung belasten: Dann kann die Zweisprachigkeit leicht auch zur Überforderung führen. Passiert der Umgang mit mehreren Sprachen hingegen unaufgeregt und spielerisch, so ist mehrsprachige Erziehung nichts anderes als ein Erfolg versprechender Sprachkurs in den eigenen vier Wänden! Während des Interviews verspeist Viola genüsslich ein Stück Kuchen und setzt Holzbausteine übereinander. Ihr Vater weiß noch einiges zu erzählen, Viola aber geht lieber in den Garten spielen: Was sollte es auch groß zu sagen geben – dass sie Ungarisch, Deutsch und Französisch spricht? Das ist doch für sie ganz normal!
Interview Dr. Anja Leist-Villis
Dr. Anja Leist-Villis, geb. 1970 in Bonn, Studium der Pädagogik der frühen Kindheit und der Interkulturellen Pädagogik an der Universität Köln. Promotion 2004 an der Universität Essen. Empirische Studien zu griechisch-deutscher Zweisprachigkeit. Buchautorin.
Welche Beweggründe haben Eltern, ihre Kinder mehrsprachig zu erziehen?
Dr. Anja Leist-Villis: Die meisten Eltern haben das tiefe Bedürfnis, mit ihrem Kind die eigene Muttersprache zu sprechen. Wenn sie in einem fremdsprachigen Land leben oder wenn die Ehepartner unterschiedliche Sprachen sprechen, entsteht die zweisprachige Erziehung gleichsam von selbst und ist ganz natürlich. Etwas anderes ist es, wenn Eltern den Wunsch verspüren, ihr Kind von klein auf eine Fremdsprache zu lehren. Das kann nur dann funktionieren, wenn Vater oder Mutter diese so gut wie die eigene Muttersprache beherrschen, sie akzentfrei sprechen und sich auch emotional in ihr zu Hause fühlen.
Was können Eltern, die diese Voraussetzung nicht haben, für das Sprachinteresse ihrer Kinder tun?
Dr. Anja Leist-Villis: Gut ist es in jedem Fall, Kindern von klein auf den Kontakt zu anderen Sprachen zu ermöglichen. Sei es durch Kontakte zu anderen Menschen, in Urlauben oder durch Musik. So kann ein Kind frühzeitig generell Interesse und Spaß an Sprachen entwickeln, und das ist die beste Voraussetzung für späteres (Fremd-)Sprachenlernen.
Welche praktischen Tipps haben Sie für Eltern, die ihre Kinder zweisprachig erziehen wollen?
Dr. Anja Leist-Villis: Unterstützen Sie den Spracherwerb des Kindes von Geburt an, indem sie viel, lebendig und gerne mit dem Kind sprechen. Nehmen Sie diesen Spracherwerbsprozess als etwas Kostbares, Natürliches, Individuelles und Dynamisches wahr. Entscheiden Sie sich bewusst für die einzelnen Sprachen und bleiben Sie konsequent! Lassen Sie sich nicht durch Vorurteile aus der Umgebung entmutigen. Suchen Sie Unterstützung im Umfeld, z. B. mehrsprachige Kindergärten oder Kontakte zu anderen mehrsprachigen Familien bzw. Gesprächspartnern und Spielgefährten.
ratzfratzElternratgeber Zweisprachigkeit. Wie Kinder Sprachen lernen: |
Dipl.Ing. Roswitha Wurm
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