Gerichts- und Behördenverfahren sind für Erwachsene schon angstbehaftet – wie sehr dann für Kinder, deren Eltern sich trennen oder scheiden lassen! Seit kurzem gibt es für diesen Fall Kinderbeistände. Doch leider werden sie derzeit von den Gerichten noch zu wenig in Anspruch genommen.
Mehr als 20.000 Kinder waren 2008 in Österreich von Scheidung betroffen, die Kinder der nicht verheirateten Eltern, die sich getrennt haben, sind hier nicht mitgerechnet. Für Kinder wird durch die Trennung und den Auszug eines Elternteiles ihr engstes Familiengefüge grundlegend erschüttert. Offiziell sind zwar nur 10 % der Scheidungen hoch strittig. Fachleute schätzen aber, dass rund 80 % der offiziell einvernehmlichen Scheidungen ebenfalls so disputreich sind, dass zum Trennungsschmerz der Kinder noch viele Ängste und Leiden durch die Elternkonflikte kommen.
Aber nicht nur während und Jahre nach der Trennung, sondern bereits bis zu 12 Jahre vor der Trennung belastet der schwelende Unfrieden die Kinder, wie aus einem Vortrag von Prof. Dr. Sabine Walper vom Institut für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München bei der Kinderfreunde-Fachtagung „Aufbruch 2010“ in Salzburg hervorging. Das heißt, dass die Trennung der Eltern nicht das Ende alles Guten für ein Kind sein muss, sondern auch ein Übergang in ein unbelasteteres Leben sein kann.
Dies kann aber nur gelingen, wenn es die Eltern möglichst früh schaffen, ihre Befindlichkeiten ohne Einbeziehung des Kindes zu bewältigen: Verletzungen, Ängste, ausgespielt zu werden, sich ein getrenntes Leben nicht leisten zu können, Boshaftigkeit, das scheinbare Desinteresse des getrennt lebenden Elternteiles an den Kindern – viele Aspekte rund um die Trennung müssen von zwei Menschen bewältigt werden, die einstmals ein Liebespaar waren – und das spüren natürlich auch die Kinder. Sie empfinden Trauer, Wut, Schuldgefühle und Angst und leiden nicht selten unter Loyalitätskonflikten.
Kaum ein Kind hat aber einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin, dem oder der es sich in einem neutralen Rahmen angstfrei anvertrauen kann, der sich wirklich Zeit nimmt und für den nur die Interessen des Kindes im Mittelpunkt stehen.
Das Kind im Mittelpunkt
Um hier einen ersten Schritt zu setzen, wurden nach einigen Jahren Probelauf in Österreich im Vorjahr 59 sogenannte Kinderbeistände für Kinder bis 14 Jahre, bzw. wenn sie einverstanden sind bis 16 Jahre, deren Eltern sich in hoch strittigen Scheidungssituationen befinden, ernannt. In diesem Frühjahr kamen weitere 48 dazu, die trotz hochqualifizierter Grundausbildung noch eine Fortbildung erhalten. Die Beistände sind psychosozial geschulte Personen mit viel Erfahrung in der Arbeit mit Kindern, die einzig und allein den geäußerten Anliegen und Wünschen des Kindes zur Verfügung stehen. Der Kinderbeistand dient dem Kind als Informant, als Sprachrohr und als Aufklärer. Er erklärt ihm alle Aspekte des Gerichtsverfahrens, informiert das Kind über seine Rechte, spricht vor Gericht von dem, was das Kind wirklich bewegt. Er beantwortet alle Fragen des Kindes altersadäquat – und davon gibt es viele, viele, die sich die meisten Kinder ihren Eltern gar nicht stellen trauen.
Die Kinderbeistände werden nach strengen Kriterien von der Justizbetreuungsagentur ernannt und können von Pflegschaftsrichtern für betroffene Kinder bestellt werden. Leider passiert das noch viel zu selten, denn es wären mehr Kapazitäten vorhanden, als derzeit angefragt werden. Die Beistände sind aber nicht gesetzliche Vertreter des Kindes und selbst nicht Partei des Verfahrens oder mit einem gerichtlich bestellten Sachverständigen vergleichbar. Die Funktion eines Kinderbeistandes im Gerichtsverfahren beschränkt sich auf die Vermittlung der Wünsche des Kindes (des Kindeswillens).
Seine Aufgabe ist es also, ein Vertrauensverhältnis mit dem Kind herzustellen, es über das Verfahren zu informieren und gemeinsam mit dem Kind seinen Wünschen und Interessen vor Gericht, am Jugendamt, bei Terminen mit Sachverständigen etc.Gewicht und Gehör zu verschaffen. Ein Kinderbeistand ist ausschließlich Vertreter der Interessen des Kindes und daher gegenüber Dritten zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das heißt, der Kinderbeistand gibt die Inhalte der Gespräche mit dem Kind nur mit dessen Einverständnis weiter, solange kein übergesetzlicher Notstand vorliegt.
(Quelle: http://www. jba.gv.at/?kinderbeistand).
Gemeinsam weiter Eltern sein
Mag.a Sandra Geisler ist eine dieser Kinderbeistände in Österreich. Die Pädagogin, Sonder- und Heilpädagogin und psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberaterin blickt auf acht Jahre Erfahrung im analytischen und beratenden Umgang mit Kindern und Familien zurück. Als Erziehungsberaterin ist sie bei den Wiener Kinderfreunden tätig, aber auch in freier Praxis – u. a. in der Beratung von Familien in Trennungssituationen und in der Besuchsbegleitung. Geisler ortet die häufigsten die Kinder belastenden Faktoren bei Scheidungskriegen in dem Umstand, dass die Besuchskontakte zum getrennt lebenden Elternteil meist massiv reduziert sind bzw. gar nicht mehr stattfinden. „Auch der Loyalitätskonflikt zwischen Mutter und Vater ist eine enorme Belastung.
Das heißt, die Kinder haben Angst, dass sie den einen Elternteil verletzen, wenn sie den anderen lieb haben und Kontakt haben möchten“, so Geisler. Darüber hinaus ist der Verlust einer möglichst gleich gewichteten Beziehung zu beiden Elternteilen auch mit der Möglichkeit, dass sie bei Konflikten mit dem einen Elternteil nicht zum anderen Elternteil „ausweichen“ können, ein massiver Einschnitt für die Kinder. Über all diese Dinge können die Kinder (ab ca. 6 Jahren) mit ihrem Beistand offen sprechen, denn er oder sie vertritt nur ihre Interessen. Das heißt, es wäre eigentlich enorm wichtig, jedem Kind, das in ein Verfahren rund um Trennung oder Scheidung usw. verwickelt ist, einen Beistand zur Seite zu stellen. Ein wichtiges Stichwort für die Kinderbeiständin: „Hilfreich für eine hinreichend gut bewältigte Scheidung bzw. Trennung durch die Kinder ist unter anderem, dass die Eltern weiterhin gemeinsam Eltern mit allen Pflichten und Verantwortungsbereichen sind, auch wenn sie kein Liebespaar mehr sein können.“
Das heißt, beide Eltern sollen – so das möglich ist – gleichermaßen für die Kinder da sein, über die Kinder und ihren Alltag informiert und in ihren Alltag involviert sein. Dazu müssen sie nicht immer gleicher Meinung sein und es können auch bei jedem der dann getrennt lebenden Elternteile andere Spielregeln gelten, solange sie verantwortungsbewusst gesetzt und möglichst konsequent eingehalten werden. „Außerdem brauchen die Kinder Raum und Hilfe, ihre Gefühle ausdrücken zu können und zu verstehen, warum es zur Scheidung oder Trennung kam. Keinesfalls dürfen sie der Abwertung des jeweils anderen Elternteils ausgesetzt sein“, so Geisler, die es auch als ganz wichtig erachtet, dass Eltern bewusst ist, dass sie sich im Zuge der Scheidung bzw.
Trennung in einer seelischen Krise befinden und Hilfe und Beratung in Anspruch nehmen sollten. Aus ihrer langjährigen Erfahrung weiß sie auch, dass vielen Kindern (und ihren Eltern) schon lange vor einer sich abzeichnenden Trennung durch professionelle Hilfe viel Leid erspart werden könnte. Geisler: „Wenn Ihr Auto kaputt ist, gehen Sie auch zu einer Fachwerkstatt, wenn Sie Rückenschmerzen haben, zum Arzt.
Aber viele Eltern scheuen sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie mit ihren Erziehungs- oder Beziehungskonflikten an ihre Grenzen stoßen. Das ist schade, denn sich Hilfe holen hilft immer – den Eltern und den Kindern.“
Fotos: Victoria Ivanova,
Petrenko Andriy
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