Eine der elterlichen Beschwerden, die mir besonders häufig begegnen, ist diese: „Andauernd diskutiert mein Kind mit mir, obwohl es nichts zu verhandeln gibt!“ Kennen Sie das auch? Da gibt man eine einfache Anweisung, oder macht eine ohnehin ziemlich behutsame Aufforderung und schon geht es los: „Wieso muss immer ich …?“ Oder: „Aber du hast doch gesagt, dass …!“ usw. Klar kommen bei so einem Verhalten zuweilen Gefühle der nicht ganz so netten Art auf. So weit ist das ja noch verständlich. Schwerer nachvollziehbar wird es für mein notorisches Erziehungsberaterherz, wenn Bezugspersonen sich über das ständige Diskutierverhalten ihrer Kids maßlos aufregen, es aber selber verursacht haben. Wie jetzt? Schon wieder sind wir Eltern die Schuldigen? Das geht jetzt aber wirklich zu weit! Keine Sorge: Sie als Eltern sind nicht schuld, bloß daran beteiligt …
Lästige Tisch-Verhandlungen
Mutter Gerda S. beschwert sich über die zehnjährige Franzi: „Buchstäblich alles, was ich von ihr verlange, will sie erstmal mit mir ausdiskutieren! ´Wieso ich? Ich hab´ doch gar nichts gemacht!“, oder: `Wieso muss immer ich den Tisch abräumen?´; usw.“ Der simple Tisch-Auftrag ist dem Kind offenbar eine aufwändige Grundsatzdiskussion wert: „Aber ich war doch erst gestern dran!“ Gerda S. kontert: „Na und? Du willst dich doch nur vor der Arbeit drücken!“ Das, liebe Mom, war jetzt vielleicht kein so guter Plan! Eine Zehnjährige mit solchen Feststellungen zu konfrontieren und dann auch noch auf einen positiven Ausgang zu hoffen, könnte man als leicht „gewagt “ bezeichnen.
Denn jetzt ist der Diskussions- auch noch um einen Verteidigungsmodus erweitert worden: „Das ist doch gar nicht wahr! Ich mach’ eh immer was du verlangst!“ Anmerkung aus der Ferne: Aber wenn das so ist, liebe Franzi, dann hättest du dir ja das Diskutieren von Anfang an ersparen können und einfach den Tisch abgeräumt. Im Beratungsgespräch mit Gerda S. wird das Ausmaß der Belastung rasch klar: „Furchtbar, diese ewigen Diskussionen mit meiner Tochter. Die kosten mich dermaßen viel Kraft, dass ich schon nicht mehr weiß, wie ich damit umgehen soll!“
Einen ersten Denkanstoß habe ich für die geplagte Mutter jedenfalls schon: „Da Ihre Prinzessin ständig mit Ihnen diskutiert, haben Sie dieses ganz spezielle Fehlverhalten offenbar jedes Mal aktiv gefördert!“ Es ist nun mal an uns allen ein zutiefst menschlicher Zug, dass wir mit unseren Zeitgenossen gerne und möglichst oft kommunizieren wollen, ja sogar müssen. Entwicklungspsychologen beschreiben schon bei ganz kleinen Kindern die „kommunikative Grundorientierung“ als einen der wichtigsten Urinstinkte.
Mit diesem Wissen ist für uns jedenfalls nur allzu verständlich, wenn jedes kommunikative Signal, das wir aussenden, von unserem Gegenüber als klare Aufforderung interpretiert wird, sich möglichst ohne Hemmungen in die Kommunikation einzuklinken: „Ich habe dir gerade eine Antwort gegeben, jetzt erwarte ich unverzüglich die deine! Nur zu! Quatsch mich ab jetzt ruhig voll!“ Ein solches Signal nenne ich gerne ein „Diskussions-Go“. Sicherlich haben Sie bereits erkannt, worauf ich hinaus will: Gerda hat bereits mit ihrer ersten Antwort versucht, sich zu rechtfertigen.
Schon ihre allererste Rechtfertigung ist für die offenbar sowieso stets auf Konfrontationskurs steuernde Franzi genau genommen die perfekte Erlaubnis gewesen, drauflos zu verhandeln, was das Zeug hält. Ein neuer Blickwinkel könnte zusammengefasst in etwa so aussehen: In einer ohenhin schon etwas angespannten Situation wird jedwede themenbezogene Antwort die Sie geben, von Ihrem Kind unterbewusst nicht nur als Rechtfertigung, sondern vor allem als Erlaubnis bzw. als aktive Aufforderung zum Weiterdiskutieren interpretiert.
Stellen Sie doch einmal eine Gegenfrage
So habe ich Mama Gerda unter anderem das wirksame Kommunikations-Werkzeug der „Gegenfrage“ in die Hand gegeben: „Sollte Franzi, ihre kleine Verhandlungsspezialistin, jemals wieder Fragen wie diese stellen ´Wieso muss immer ich…?´, könnte es den alles entscheidenden Unterschied ausmachen, wenn Sie nicht rechtfertigend antworten, sondern ihrerseits völlig gelassen eine Gegenfrage stellen: ´Was glaubst du denn, warum ich immer dich …?
Wie klingt das für Sie?“ Überlegen Sie doch kurz, welche Antwort auf diese sehr offene Frage möglich wäre: „ … na, weil ich mich auf dich am besten verlassen kann!“ Wenn der Wind plötzlich aus dieser lobenden Seite weht, nimmt dies auch den diskussionsfreudigsten Kind ganz sicher den sinnbildlichen „Wind aus den Segeln“.
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