Postpartale Depression

Voller Stolz starrten mein Mann und ich auf das zerknautschte Bündel Mensch, dessen Hautfarbe mich immer wieder an die Milkakuh denken ließ. Doch in der gleichen Geschwindigkeit wie sich meine Oberweite von Twiggy- auf Pamela Anderson-Format hochpushte, verflog bei mir auch meine anfängliche Euphorie.

Am vierten Tag nach der Geburt war das absolute Stimmungstief erreicht. Ich war mir sicher, den schlechtesten aller Ehemänner geheiratet und das am lautesten schreiende Baby geboren zu haben. So nahm ich mir fest vor die Scheidung einzureichen, sobald ich es fertig brächte mit dem Weinen aufzuhören und das Pyjama gegen Straßenkleidung zu tauschen.

Als es nach einer Woche endlich soweit war, hatte sich der Blues allerdings auch weitgehend aufgelöst. Plötzlich sah ich wieder die vielen guten Seiten an meinem schlechten Ehemann und habe meinen Familienstatus folgerichtig bis heute nicht verändert.

Die Heultage

Das Stimmungstief zwischen dem dritten und dem siebenten Tag nach der Entbindung ist rund 80% der Wöchnerinnen unter dem Begriff “Baby-Blues” oder “Heultage” bestens bekannt. Vermutungen über den Ursprung dieser kurzfristigen depressiven Verstimmung gibt es genug: Die doch sehr radikale Hormonumstellung nach der Geburt, aber auch die nicht weniger plötzliche Änderung der gesamten Lebensumstände lassen das Stimmungsbarometer deutlich fallen. Doch da hilft nur eines: Ausreichend Taschentücher und eine starke Schulter zum Ausheulen bereit stellen und durchhalten.
Nach spätestens zehn Tagen sollte der Spuk vorbei sein und das ist er meistens auch. Aber leider nicht immer. “Ungefähr drei bis vier Wochen nach der Geburt machte ich mir plötzlich Sorgen, dass ich den Kopf meines Babys am Türstock anschlagen könnte, wenn ich vorbei gehe”, erzählt Martina Fabsits, eine zarte attraktive Frau von 34 Jahren. “Dieses scheckliche Bild nahm immer mehr an Intensität zu und ich konnte an nichts anderes mehr denken.” “Beim Baden hatte ich plötzlich Angst das Kind zu ertränken und es in der Küche in einem Black-Out zu erstechen.

Ich fühlte mich, als würde ich verrückt werden und keine andere Frau hätte solch fürchterliche Gedanken und Probleme wie ich.” Dabei entwickeln rund 15% aller frischgebackenen Mütter in den ersten drei Monaten nach der Geburt eine sogenannte postpartale Depression (“post”= lat.: nach, “pars, -tis” = lat.: Trennung, hier: Entbindung). Dabei hält entweder der “Baby-Blues” über den 10. Tag nach der Geburt hinaus an oder die Depression entwickelt sich erst in den folgenden Wochen.

Symptome und Zwangsvorstellungen

Grundsätzlich bezeichnen Ärzte jede Depression, die im ersten Jahr nach der Geburt auftritt, als postpartal. Die Symptome sind vielfältig und reichen von Traurigkeit, Antriebslosigkeit und Müdigkeit bis zu Ess- und Schlafstörungen.
Aber auch unbegründete Ängste, Panik-Attacken, Selbstmord-Gedanken und Zwangsvorstellungen, das eigene Kind zu verletzen, sind keine Seltenheit. Diese Zwangsvorstellungen führen so weit, dass betroffene Mütter den Umgang mit ihren Babys vermeiden aus Angst ihnen etwas anzutun.

Eine Erfahrung, die auch Martina Fabsits gemacht hat. “Ich wollte schon gar nicht mehr neben meiner kleinen Tochter liegen aus Angst sie zu ersticken.” “Dabei weiß man aus der Praxis, dass solche Frauen ihre Vorstellungen niemals in die Realität umsetzten würden”, gibt Frau Dr. Claudia Klier, Psychiaterin, Psycho-Therapeutin und Autorin des Buches “Mutterglück und Mutterleid”, Entwarnung für betroffene Mütter.

Auslösende Faktoren

Auslöser für eine postpartale Depression kann eine traumatische Geburt, eine Frühgeburt, aber auch ein schwieriges Baby sein, das viel schreit und sich nur schwer beruhigen lässt. Nicht selten reagieren Frauen depressiv auf eine isolierte soziale Situation, in der sie sich mit der Verantwortung für den neuen Erdenbürger allein gelassen fühlen.
Prinzipiell sind Depressionen ein Zeichen der Überforderung und Überlastung. Ein besonderes Risiko tragen laut Frau Dr. Claudia Klier Mütter, die schon vor oder in ihrer Schwangerschaft auf Stress-Situationen mit psychischen Problemen reagiert haben.

Auch Martina Fabsits hat vor ihrer Schwangerschaft schon gelegentlich unter Panik-Attacken gelitten. Eine Übersiedlung nach der Geburt und der damit verbundene Schulwechsel ihres älteren Kindes haben sie ziemlich gefordert und damit wahrscheinlich die Depression ausgelöst. Keine guten Nachrichten auch für Frauen, die schon einmal eine PPD hatten: Hier liegt die Wahrscheinlichkeit nach einer weiteren Geburt wieder eine zu entwickeln bei 60%. Leider gibt es bis heute keine wirksamen Maßnahmen zur Vorbeugung.

Aus der Isolation

Obwohl es sich bei der postpartalen Depression um eine ernsthafte Erkrankung handelt, werden nur die wenigsten betroffenen Frauen überhaupt behandelt. Wenn der Kinderarzt, die Nachsorge-Hebamme oder auch die Stillberaterin nicht sehr gezielt nachfragt, bleibt die Depression meist unerkannt. Die wenigsten Frauen schaffen es, selbst professionelle Hilfe zu organisieren. Zu groß ist die Scham nicht in das Bild der vollkommen glücklichen, persilsauberen Gluckhenne zu passen, wie es Medien und Werbung so gerne transportieren.
Statt dessen hören depressive Mütter immer wieder “Reiß’ dich zusammen” oder andere Ratschläge, die ihnen nicht weiterhelfen. Obwohl eine Depression auch ohne Behandlung meist nach sechs bis neun Monaten verschwindet, besteht doch die Gefahr, dass sie chronisch werden kann. Frau Fabsits hat den Schritt aus der Isolation gewagt. Dabei war es gar nicht einfach eine adäquate Behandlung zu bekommen. Erst als sie sich mitsamt dem Baby für fünf Wochen stationär im Wilhelminenspital aufnehmen ließ, ging es wieder aufwärts.

“Damals war der absolute Tiefpunkt für mich erreicht”, erzählt sie aus dieser schwierigen Zeit. “Dort hatte ich jeden zweiten Tag sehr intensive Psychotherapie und wurde auf ein Psychopharmakum eingestellt.” “Im Spital haben sich alle sehr liebevoll um mich gekümmert, nur leider hat mir niemand gesagt, was ich eigentlich habe und dass ich damit nicht allein bin.”

Psychopharmaka – zu Unrecht gefürchtet

Frau Dr. Klier bietet ihren Patientinnen grundsätzlich zwei Behandlungsformen an: Eine medikamentöse Therapie mit Psychopharmaka oder eine Psychotherapie. Beide sind nach wenigen Wochen wirksam. Eine Kombination dieser Behandlungsmöglichkeiten ist manchmal sinnvoll, bringt jedoch nicht den “doppelten” Erfolg. Ganz wichtig ist ihr, den Patientinnen die Scheu vor Psychopharmaka zu nehmen.
Die Einnahme solcher Medikamente ist nicht nur eine Symptombehandlung, sondern wirkt der Depression auch ursächlich entgegen. So hat man festgestellt, dass depressive Menschen geringere Konzentrationen von sogenannten Neurotransmittern (Botenstoffen) im Gehirn haben und ihre Rezeptorendichte (Andockstelle der Botenstoffe) erhöht ist. Antidepressiva greifen bei diesen beiden Stellen an und normalisieren das Ungleichgewicht.

Die modernen Medikamente sind heute gut verträglich und machen entgegen landläufiger Meinung weder süchtig noch verändern sie die Persönlichkeit. Ein Abstillen ist nur in Ausnahmefällen notwendig. Die meisten Psychopharmaka besitzen keine schädliche Wirkung auf das Kind.

Die Natur schenkt einem nichts

Martina Fabsits hat ihre Depression heute überwunden und leidet nicht mehr unter Zwangsvorstellungen. Es ist ihr sogar gelungen ihren Problemen eine positive Wendung zu geben.
Heute leitet sie eine Selbsthilfegruppe für Mütter mit postpartaler Depression
Internet: http://members.telering.at/ppd.treff/

Was den Baby-Blues oder infolge die postpartale Depression betrifft, hat eine meiner Freundinnen eine interessante Hypothese aufgestellt: Der Körper lässt sich nicht austricksen! Wenn frau glaubt, mit einer Schwangerschaft neun Mal Menstruation samt prämenstruellem Syndrom wegrationalisieren zu können, liegt sie ziemlich falsch. Schließlich bezahlt man den monatelangen Frieden mit mitunter langanhaltendem Wochenfluss und eventuell auch psychischem Dauertief mit Zinsen zurück. Ergo: Die Natur schenkt einem gar nichts!

Foto: SpeedKingz – shutterstock.com

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