„Ich glaub, Thimo bekommt seinen ersten Zahn. Ständig quengelt er …“ Im ersten Lebensjahr schieben Eltern viele größere und kleinere Unruhephasen ihres Babys aufs Zahnen, oft sicher zurecht, manchmal wohl auch zu unrecht. Denn das Gros der Ärzte ist heute der Ansicht, dass Zahnen Säuglinge nicht krank macht – was allerdings nicht heißt, dass mit dem Durchbruch der Beißerchen keine Symptome wie Fieber verbunden sein können.
Zahnen kann weh tun …
Um das sechste Lebensmonat des Babys herum – beim einen früher, beim anderen später – geschieht etwas ganz Wunderbares: Aus dem weichen rosa Babygaumen wachsen step by step kleine, harte Gebilde – die Milchzähne. Ein Ereignis, das wohl zu den ganz wichtigen Momenten im Alltag junger Eltern zählt! Manchmal kommt ein Zahn über Nacht, ohne dass Mama und Papa vorher etwas bemerkt hätten. „Aber in der Regel kündigt er sich schon einige Tage bis Monate vor dem Durchbruch an“, weiß Dr. Christa Kostron, Kinderärztin in Innsbruck. Und welche Vorboten schicken die Beißerchen?
• Eine Stelle am Kiefer ist gerötet und das Zähnchen schimmert durch.
• Das Kleine steckt alle Finger in den Mund und kaut angestrengt daran herum.
• Das Baby sabbert stark.
• Es quengelt scheinbar ohne Grund und zeigt wenig Appetit.
• Möglicherweise hat es leicht erhöhte Temperatur.
• Eher selten ist die Schleimhaut im Mund entzündet und blutet, wenn sich das Zähnchen durchbohrt.
… macht aber nicht krank
Fieber über 38 Grad Celsius ist beim Zahndurchbruch die Ausnahme, hohes Fieber über 39,5 Grad Celsius hat praktisch immer eine andere Ursache – das zeigen einschlägige Studien: „Das Fieber stammt oft von einer der vielen gelegentlichen Infektionen, die sich alle Kinder einmal zuziehen. Und gerade im Zeitraum des Zahnens ist die Ansteckungsgefahr beim Kind erhöht“, erklärt Dr. Peter Voitl, Kinderarzt in Wien. Man dürfe nicht vergessen, dass die Umgewöhnung von Mutters Brust zur gewöhnlichen Kost in der Regel mit dem Zahnen zusammenfällt – was wiederum erklärt, dass Babys manchmal gereizt sind und nicht schlafen können.
Auch andere unangenehme Begleiter, die Eltern oftmals mit den durchkommenden Zähnchen in Verbindung bringen – Durchfall, Ausschlag am Po und Ohrenreiben –, sind selten Symptome des Zahnens, zeigen sich die Experten heute einig. Wahrscheinlich liegen ihnen andere Krankheiten zugrunde: Immerhin lässt nach sechs Monaten die angeborene Abwehr („Nestschutz“) nach, von der Babys in der ersten Zeit nach der Geburt noch profitierten. Hinzu kommt, dass die Kleinen viel mobiler sind und alles in den Mund schieben, was sie in die Finger bekommen. Dabei fangen sie natürlich leichter Keime ein, die dann zu Durchfall oder einer Erkältung führen … Im Zweifelsfall: Lassen Sie die Krankheitssymptome lieber vom Kinderarzt abklären!
Notfall-Programm
Auf dem Markt gibt es zahlreiche Medikamente, die den zahnenden Kleinen die Schmerzen nehmen sollen. Kinderarzt Voitl rät jedoch zur Vorsicht, da einige Zucker und Zuckerersatzstoffe in hoher Konzentration (bis zu 40 Prozent!) enthalten: „Zucker selbst kann den eben erst durchgebrochenen Zahn durchaus gleich schädigen“, gibt er zu bedenken, „aber auch Zuckeraustauschstoffe sind problematisch, weil das Kind auf den Geschmack ,Süß‘ trainiert wird.“ Der erfahrene Mediziner rät denn auch zu zuckerfreien Zahnungshilfen. Manche Eltern schwören ohnehin auf homöopathische Globuli. „Die Arzneien basieren auf Milchzucker, der den Zähnen in der minimalen Menge von fünf Globuli nichts ausmacht“, erklärt Kinderärztin Christa Kostron.
Zähnchen kommen in jedem Fall
Wie wenig ein Kind dem anderen gleicht, zeigt sich auch daran, dass die einen, der „Norm“ entsprechend, mit rund einem halben Jahr den ersten Zahn bekommen, bei anderen aber schon nach drei Monaten weiße Spitzchen aus dem Mund lachen. Ja, selten, aber doch kommt ein Neugeborenes sogar bereits mit einem oder zwei Beißern, sogenannten „dentes connati“, zur Welt – der französische Sonnenkönig Ludwig XIV., heißt es, oder Kaiserin Sissi. Andere Babys wiederum beglücken noch im Alter von zehn Monaten mit ihrem zahnlosen Lächeln. In puncto Kariesvorsorge ist es sogar von Vorteil, wenn die Zähne nicht zu früh durchbrechen …
Früh übt sich!
Apropos Kariesvorsorge: Mit dem Durchbruch des ersten Milchzahnes fällt der Startschuss für eine regelmäßige Zahnpflege. In der Anfangszeit ist vor allem die mechanische Reinigung mit einem Fingerling, einem Wattestäbchen oder einer speziellen Säuglingszahnbürste wichtig. Ein Nebeneffekt dabei: Baby gewöhnt sich schon an den zeitlichen Ablauf. Ab dem vierten Zähnchen empfiehlt Kinderärztin Kostron, auch einen Hauch fluoridhaltiger Zahnpasta zu verwenden. Denn fluoridhaltiger Zahnschmelz ist wesentlich widerstandsfähiger gegen Karies. Auch wenn Gummibärli und Schokolade in diesem zarten Alter noch in weiter Ferne scheinen: Bereits jetzt heißt es, möglichen Fehlern einen Riegel vorschieben: „Der manchmal beliebte Brauch, Kinder fürs ,Bravsein‘ mit Süßigkeiten zu belohnen, sollte aus Gründen der Zahngesundheit sehr kritisch betrachtet werden!“, appelliert Kinderarzt Dr. Peter Voitl an die Vernunft der Eltern.
Spätestens wenn das Milchgebiss vollständig ist, steht übrigens ein erster Besuch beim Zahnarzt an: Die Zähnchen sollen schließlich auf lange Sicht Freude bereiten!
Wann welche Milchzähne wo kommen
Zwar erscheinen die insgesamt 20 Milchzähne nicht immer in der gleichen Reihenfolge, dennoch: Den Anfang machen – um das 6. Lebensmonat herum – meist die unteren mittleren Schneidezähne. Etwa einen Monat später erscheinen die oberen mittleren Schneidezähne, mit rund acht Monaten die oberen seitlichen Schneidezähne; und wieder einen Monat später die unteren seitlichen Schneidezähne. Um den ersten Geburtstag zeigen sich oft die ersten Backenzähne und mit 18 Monaten die Eckzähne. Zu guter Letzt brechen – mit ungefähr zwei Jahren – die zweiten und hinteren Backenzähne durch. Geschafft!
Erste Hilfe, wenn Babys zahnen
Homöopathie: Das Komplexmittel Osanit wirkt schmerzstillend und kühlend. Chamomilla bewährt sich, wenn das Baby sehr gereizt und quengelig ist; Belladonna wiederum ist bei stark gerötetem Zahnfleisch und roten Bäckchen das Mittel der Wahl.
Nelkenöl: Stark verdünnt, mit einem Wattestäbchen auf die schmerzende Stelle getupft, wirkt das Pflanzenmittel Nelkenöl manchmal Wunder.
Beißringe: Gegendruck auf den Gaumen macht den Schmerz erträglicher – deshalb wollen zahngepeinigte Babys ständig auf etwas herumkauen. Harte und kühle Beißringe lindern die Qualen. Bei Beißringen, die mit Flüssigkeit gefüllt sind, sollten Sie aber darauf achten, dass diese weder Weichmacher (wie Phtalat) noch PVC enthalten und der Inhalt ungiftig ist
Unbedenklich: Ringe aus Polypropylen (PP) oder Polyethylen (PE).
Veilchenwurzel: Sie ist als natürliche Alternative zum Beißring beliebt. Die Wurzel soll eine beruhigende Substanz abgeben und den Druckschmerz nehmen.
Bernsteinkette: Auch den kleinen braunen Steinen wird eine beruhigende Wirkung nachgesagt, die Kinder durchschlafen lässt. Eine wissenschaftliche Bestätigung dafür gibt es freilich nicht.
Zahnfleischmassage: Babys genießen sie … Verwenden Sie einen sauberen Finger oder spezielle Silikon-Fingerlinge aus der Apotheke, die später auch für die Zahnpflege praktisch sind.
Lätzchen: Bei vermehrtem Speichelfluss verhindert ein Lätzchen oder Halstuch, dass Babys Kleidung immer feucht ist. Ein wenig Creme auf dem Kinn tut gut, da durch das andauernde Sabbern die Haut an dieser Stelle meist leidet.
Mag. Karin Martin
Titelfoto: Jandrie Lombard/Shutterstock.com