2. und 3. Geburt

Denn während Erstgebärende im Schnitt zwölf Stunden brauchen, bis das Baby da ist, halten Zweitgebärende laut Statistik schon nach rund sechs Stunden ihr Kind in den Armen.
Das erste Mal war wie ein Sprung in ein dunkles Loch: Wie tief werde ich fallen? Kann ich mit beiden Beinen landen, werde ich stolpern oder mich gar verletzen? Ich war 22, und wie die meisten Erstgebärenden hatte ich Angst vor dem Unbekannten. Und wie die meisten Erstgebärenden bewältigte ich letztlich meine Aufgabe. Nicht auf die schnelle, nicht auf die leichte Art, doch ich lernte im Laufe einer langen Nacht, mich der Gewalt der Wehen hinzugeben. Als ich meinen neugeborenen Sohn im Arm hielt, war ich unbändig stolz. Stolz auf ihn, aber auch stolz auf die Leistung, die ich vollbracht hatte.

Zehn Jahre später begleitete mich etwas von dieser Kraft in meine zweite Entbindung. Da war es wieder, das Loch, doch diesmal wusste ich, was mich erwarten würde, und ich konnte darauf vertrauen, dass ich schon einmal sicher unten angekommen war. Das half mir über schwierige Phasen bei der Geburt von Sohn Nummer zwei, die nur noch eine halbe Nacht dauerte.
Das dritte Kind schließlich war in weniger als drei Stunden da; routiniert und relativ gelassen war ich in das Loch gesprungen und durfte unten meine Tochter in Empfang nehmen.

Körper und Psyche haben gelernt

“Zu etwa 80 Prozent verlaufen zweite oder dritte Entbindung deutlich schneller als die erste”, konnte Karin Lawugger, Geschäftsführerin des Hebammenzentrums in Wien 9, in fast 15 Jahren Berufspraxis beobachten, “vor allem die Austreibungsphase ist kürzer, und es braucht weniger Presswehen, bis das Kind da ist.”
Die medizinische Basis für diesen Befund: Wurde der Geburtskanal einmal benutzt, haben es die nachfolgenden Babys leichter, sich ihren anstrengenden Weg auf die Welt zu bahnen. Das Gewebe des Gebärmutterhalses ist weicher und trichterförmig vorgedehnt, der Muttermund öffnet sich schneller, der Körper spricht rascher auf die im Blut zirkulierenden Hormone an. Deshalb wird seltener eine Periduralanästhesie benötigt, und auch Zange oder Saugglocke kommen nicht so oft zum Einsatz.

Zum physischen Plus gesellt sich ein psychologischer Effekt. “Frauen, die ein Kind spontan geboren haben, gehen gestärkt in die nächste Entbindung”, weiß Karin Lawugger, “sie haben erfahren, dass ihr Körper funktioniert, wissen, wie sich der Wehenschmerz anfühlt. Egal, wie lange die erste Geburt zurückliegt, sie erinnern sich sofort daran, wie sie atmen sollen.

Außerdem gelingt es ihnen besser den Kopf auszuschalten und dem Körper die Führung zu überlassen. Es fällt ihnen leichter den Wehen zu folgen, sich gehen zu lassen. Erstgebärende hingegen versuchen oft mit Krampf, das umzusetzen, was sie im Geburtsvorbereitungskurs gelernt haben.”

Expertin für den eigenen Körper

Expertin für den eigenen Körper, so nennt sich auch Michaela Leitner. Die 40-jährige hat sechs Kinder zur Welt gebracht und dabei ein Gefühl für ihren ganz persönlichen Geburtsverlauf entwickelt. “Alle Entbindungen haben sich nach dem selben Muster abgespielt”, schildert sie, “am Anfang dauert es ewig, du glaubst, du kommst nichts voran, und dann geht es Schlag auf Schlag und das Kind ist da.”
Besonders hilfreich war die Tatsache, dass sie den Wehenschmerz als durchaus erträglich empfand: “In der ersten Schwangerschaft hat mich das Thema Schmerz sehr beschäftigt, aber nach der Entbindung habe ich gewusst, dass ich das aushalten und damit umgehen kann. Diese innere Überzeugung hat es bei den anderen Kindern um vieles leichter gemacht.”

Trauma Kreißsaal

Leichter? Sicher nicht, findet hingegen Irene Hess, Mutter dreier Söhne. “Nach der komplizierten ersten Entbindung hat mir mein Arzt versprochen, dass es beim zweiten und erst recht beim dritten Mal einfacher wird”, erzählt sie, “doch das hat leider nicht gestimmt. Es hat weder kürzer gedauert, noch waren die Schmerzen besser zu ertragen. Im Gegenteil: Beim ersten Kind war ich wenigstens noch unbefangen, danach hab ich genau gewusst, was alles passieren kann.”
Auch so kann es also laufen: Wurde die erste Geburt als Horrorszenario erlebt, geht die Frau mit einem hohen Angstniveau in die nächste Schwangerschaft. Ein Teufelskreis beginnt: Wer Angst hat, verkrampft sich, wer verkrampft, kann nicht loslassen, wer nicht loslassen kann, empfindet Schmerzen besonders intensiv, wer Schmerzen hat, hat Angst …

“In einem solchen Fall ist eine intensive und individuelle Betreuung vor der Geburt besonders wichtig”, erklärt Hebamme Karin Lawugger, “man muss die Ängste ernst nehmen und bearbeiten, damit eine Chance auf Versöhnung mit dem Körper besteht.” Diese Versöhnung gibt den Frauen enormes Selbstbewusstsein, nicht nur für eine eventuelle weitere Entbindung, sondern auch im Umgang mit dem Neugeborenen. Denn wer die Geburtsarbeit gemeistert hat, fühlt sich auch dem Baby-Stress eher gewachsen.

Kaiserschnitt als Ausweg?

Den Ausweg Kaiserschnitt als Angstbewältigung hält Hebamme ,Karin Lawugger hingegen für keine gute Strategie. Trotz medizinischer Fortschritte und steigender Raten – in Österreich wird bereits jede vierte Frau per Kaiserschnitt entbunden – handelt es sich immer noch um eine Bauchoperation mit allen damit verbundenen Nachteilen.
So brauchen die betroffenen Frauen relativ lange, um danach wieder auf die Beine zu kommen. Sie haben auch in Zukunft schlechtere Karten für eine spontane Geburt. Da das Risiko besteht, dass die alte Narbe während der Entbindung aufplatzt, halten sich viele Geburtshelfer an das Motto “Einmal Kaiserschnitt, immer Kaiserschnitt”.

In nur wenigen Spitälern, etwa in der Wiener Semmelweis-Klinik, bemüht man sich darum, den Frauen nach einem Kaiserschnitt eine “normale” Geburt zu ermöglichen. Nur wenn die Indikation für den Kaiserschnitt gleich geblieben ist – zum Beispiel ein Missverhältnis zwischen Beckengröße und Kopfumfang des Kindes – müssen die Frauen auf jeden Fall auch beim nächsten Mal unter das Messer.

Hoffentlich noch ein gesundes Baby

Unabhängig vom Geburtserlebnis berichten viele Frauen, dass mit jedem Kind die Angst vor Missbildungen oder Erkrankungen steigt. So auch Andrea Brückner, die innerhalb von fünf Jahren drei Töchter bekam. Für sie wurden die Entbindungen zwar leichter, die Sorgen um das jeweilige Baby hingegen größer. “Mein Gedanke war: Jetzt habe ich schon zwei Mal Glück gehabt und ein pumperlgesundes Kind bekommen, hoffentlich klappt es auch noch ein drittes Mal”, schildert sie.
Auch Irene Hess hat sich mit solchen Bedenken herumgeschlagen – irgendwann, so die Logik dahinter, könnte einen ja die Statistik treffen …

Die sechsfache Mutter Michaela Leitner hingegen beschäftigte sich eher damit, wie rasch sie nach der Entbindung wieder einsatzfähig sein würde – eine entscheidende Frage, wenn eine so große Familie sehnlichst auf die Rückkehr der Mami wartet.

Geburtsvorbereitung für Zweit- oder Mehrgebärende

Gerade weil sich Zweit- oder Mehrgebärende mit anderen Themen auseinandersetzen, empfiehlt die Hebamme Karin Lawugger eine auf diese Zielgruppe ausgerichteten Geburtsvorbereitungsgruppe zu besuchen. “Die Kurse laufen verkürzt, sind aber ganz speziell auf die Situation von Frauen mit Kindern ausgerichtet.
Es geht weniger darum, Information zu vermitteln, als sich exklusiv und bewusst auf die Geburt und das neue Baby vorzubereiten. Denn wenn schon Geschwister da sind, haben die Frauen oft nicht die Gelegenheit, sich auf die bevorstehenden Veränderungen einzustimmen. Die Struktur eines Kurses hilft dabei, sich diese Zeit zu nehmen!”

Wieder schwanger: Was läuft anders?

  • der Bauch ist früher zu sehen, weil das gedehnte Gewebe sich schneller nach vor wölbt 
  • die Kindsbewegungen sind oft schon in der 17. Woche zu spüren
  • morgendliche Übelkeit tritt seltener auf, ebenso wie vorzeitige Wehen
  • gab es beim ersten Mal schwere Komplikationen, wie etwa eine Gestose, besteht ein Wiederholungsrisiko
  • die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind pünktlich zur Welt kommt, ist höher

Text: Jürgen Steiner
Foto: Oskin Pavel/Shutterstock.com







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