… zuerst die Schüler:innen, dann die Eltern und am Ende sind’s die Lehrer:innen. Die Covid-19 Pandemie hat gezeigt wie hoffnungslos veraltet und unflexibel unser aktuelles Schulsystem ist.
Vor wenigen Tagen habe ich einen Brief erhalten – einen Brief vom ao. Univ. Prof. Dr. Martin Polaschek, seines Zeichen Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Ich muss sagen, ich fühlte mich sehr geehrt, wenngleich die Anrede “Sehr geehrte Eltern, sehr geehrte Erziehungsberechtigte“ etwas unpersönlich war. Egal, geehrt ist geehrt, oder?
In dem Brief, der natürlich nicht vom Minister selbst formuliert wurde – soviel ist mir schon klar – kündigte uns der erst jüngst vereidigte Minister an, dass „an vielen Standorten in ganz Österreich (…) ein großartiges Lern- und Förderangebot organisiert“ wird, „das den Kindern die Unterstützung bietet, die sie brauchen, um gut auf den Schulstart vorbereitet zu sein und um den Lernerfolg im kommenden Schuljahr positiv zu beeinflussen.“
Ganz lieb hab‘ ich mir gedacht und wollte schon ausfüllen und unterschreiben. Bis ich gelesen habe, wo und wann die sogenannte Sommerschule stattfindet. An zwei Schulstandorten werden die Schüler:innen aus insgesamt 17 Schulen der „Primarstufe 1“, wie die einstige Volksschule so schön im Bürokratendeutsch heißt, zusammengepfercht und in den letzten beiden Ferienwochen vor Schulbeginn „unterrichtet“. Nicht böse sein, aber mir drängt sich in dem Zusammenhang das Wort „verwahrt“ eher auf.
Schulen als Verwahranstalten
Überhaupt drängt sich mir der Gedanke, dass Schulen in Österreich in erster Linie als „Verwahranstalten“ dienen in letzter Zeit immer häufiger auf. Verwahranstalten, die von einer überbordenden Bürokratie, die sich in den vergangen zwei Pandemiejahren (in Schuljahren waren es drei) vor allem um das Erlassen von Erlässen und Verordnungen, gekümmert hat, im stich gelassen werden. Ich hab mir den Spass gemacht und nachgezählt: Zwischen dem 25. August 2021 und dem 28. Februar 2022 finden sich auf der Webseite des Ministeriums satte 10 Erlässe zum Thema „Sichere Schule – bzw. Schulbetrieb“. Am besten gefällt mir der Erlass des BMBWF vom 16.11.2021, der auf stolzen 33 Seiten erklärt, wie der Schulbetrieb weitergehen soll. Übrigens 14 Tage vorher gab es einen anderen Erlass zum gleichen Thema, sechs Tage später einen weiteren Erlass und am 9. Dezember gab es wieder einen. Der war dann eigentlich gültig bis zum 14. Jänner, aber am 7. Jänner gab’s dann wieder einen Neuen, am 2ten bzw. 7ten Februar wieder einen, etc… Dazu gab es dann noch drei Verordnungen, die natürlich im besten Juristendeutsch formuliert, mit Querverweisen auf andere Gesetzestexte glänzten. (Alle Erlässe und Verordnungen gibt’s hier zum Nachlesen. Nur für den Fall, dass Sie zufällig genügend Zeit haben: )
Das Beste daran: Die zwischengeordneten „Bildungsdirektionen“ haben die Erlässe und Verordnungen 1:1 weitergereicht. Für Nachfragen waren Sie – so wurde mir von Lehrerinnen erzählt – leider nicht erreichbar. Homeoffice und so – eh schon wissen „Ansteckungsgefahr“.
Derweil durften die Lehrer:innen draußen an der Front den verunsicherten Kindern jeden Tag aufs Neue erklären, was jetzt eigentlich gültig ist und was die Kinder tun müssen (Maske ja oder nein, digitaler Fernunterricht, Quarantäne wann, wo, wie, warum, etc.). „Ich bin zweimal geimpft – ich muss keine Maske mehr tragen“, meinte mein Kleiner irgendwann – Irrtum!
So nebenbei durften sich die Lehrer:innen noch mit dem Risiko selbst zu erkranken und Eltern, die sich um den Verlust des Arbeitsplatzes Sorgen machten, weil die Schule wieder einmal zugesperrt wird, auseinandersetzen.
So kam es dann halt wie es kommen musste. Zuerst wurden die Schüler:innen krank, wobei die Covid-Pandemie für sie eher das kleinere Problem darstellte, während die psychischen Auswirkungen weit gravierender waren (siehe dazu Artikel: „Wenn Dreizehnjährige sich umbringen wollen“), dann die Eltern. Wer sich zwei Jahre lang Sorgen um seine Existenz machen muss – egal ob er von der Arbeitslosigkeit bedroht wird oder in Kurzarbeit mit einem deutlichen Einkommensverlust konfrontiert ist – hat irgendwann auch echte Probleme. Ganz zu schweigen von Alleinerzieher:innen, die ohnehin immer alleingelassen werden.
Ausgebrannt, aufgefressen und trotz Booster angesteckt
Und am Ende erwischt’s jetzt auch die Lehrer:innen. Ausgebrannt und aufgefressen von zwei Jahren Bürokratie pur, kommt jetzt noch die Omikron-Variante daher, mit der man sich auch infizieren kann, wenn man „geboostert“ ist. Reihenweise werden sie in Quarantäne geschickt – zehn Tage mindestens. Wenn man dann noch so – entschuldigen Sie den sarkastisch gemeinten Ausdruck – „blöd“ ist, sich nach der Aufhebung der Quarantäne freiwillig zu testen, um nur ja keinen anderen anzustecken, folgen weitere zehn Tage Quarantäne, auch wenn man sich eigentlich gesund fühlt und wohl auch ist. Wenn ein/e Lehrer:in 20 Tage fehlt müssen andere einspringen. Und das ist bei den, ohnehin beschränkten personellen Ressourcen im österreichischen Schulsystem ein echtes Problem – an vielen, wenn nicht sogar den meisten Schulen. Dann müssen Direktor:innen halt die Unterrichtsstunden kürzen – eh klar.
Was allerdings nicht gekürzt, oder entschlackt wurde und wird sind die „Bildungspläne“ – vulgo „Lernziele“. Das kann nur im Ministerium geschehen, doch dieses ist mit dem Erlassen von Erlässen zum Thema „Sichere Schule“ und dem Organisieren von Corona-Tests viel zu beschäftigt, um sich seiner eigentlichen Aufgabe der Vermittlung von Bildung zu widmen. Ach ja, was die Benotung betrifft, da bleiben wir natürlich bei unserem mehr als antiquiertem System: 1 bis 5 und sonst gar nichts – orientiert an dem Leistungskatalog, der auch in Vor-Corona-Zeiten galt. Egal wieviel Stunden tatsächlich unterrichtet wurden, werden konnten, oder durch Testen bzw. Quarantäne weggefallen sind. Die Lehrer:innen mögen Milde walten lassen, meinte ein ehemaliger Bildungsminister ganz am Anfang der Pandemie etwas nonchalant. Na ja, man hätte diesbezüglich auch einen Erlass machen können – bei der Masse an Erlässen wär’s auch schon „Wurscht“ gewesen.
Blick nach Norden
Vielleicht sollten unsere „Bildungsbeamten“, aber vor allem unsere „Bildungspolitiker“ öfter mal in den Norden Europas blicken. Z.B.: Nach Finnland oder Schweden: Dort werden nämlich weit weniger Schüler:innen von einer/m Lehrer:in unterrichtet als hierzulande, wo man bis zu 25 Kinder in einem Klassenraum zusammenpfercht, die dann von einem/einer Lehrer:in „verwahrt“ werden. Individuelle Förderung ausgeschlossen, von Integration oder Inklusion sind wir in Österreich ohnehin weit entfernt.
Übrigens: Noten zur Bewertung von Leistungen der Schüler:innen sind in Finnland und Schweden schon lange out und werden erst ab dem Alter von 16 Jahren (Finnland) eingesetzt. Und trotzdem schneiden beide Länder bei den internationalen Tests wie PISA weit besser ab als Österreich. Woran das wohl liegen mag?
So das war’s und danke fürs Lesen
Ihr Gernot Goldegg
Kleines P.S.: Vielleicht brauchen wir tatsächlich ein neues Bildungsvolksbegehren. Das Letzte ist ja schon mehr als zehn Jahre her.
Bild: pixabay/María Prieto