RECHTS? oder LINKS?

Probeweise beginne ich den Tag einmal mit links. Ich als eingefleischte Rechtshänderin mache den Selbstversuch: Ich stehe mit dem linken Bein auf (Hoppla, wo bleibt die Wertfreiheit der Sprache?), erwische im Badezimmer den linken Hahn und zu heißes Wasser, am Klo dafür nur umständlich Papier und Spülknopf (beides rechts). Müden Auges weiter in die Küche: Mit links befüllt verheimlichen mir Teekocher und Kaffeemaschine den Wasserstand, der nette Spruch auf meinem Frühstückshäferl bleibt mir auch verborgen, dafür gestaltet sich das Brotschneiden mit rechtsgeschliffenem Messer sehr kreativ. Hier unterbreche ich auch schon mein kurzes – und zugegebenermaßen ungeschicktes – Linkshänder-Leben, denn ich habe es kapiert: Wir leben in einer Rechtshänder-Welt!

Linksvorrang

Rechtshändige Personen bevorzugen bei ihren Tätigkeiten und Bewegungen die rechte Hand und die rechte Seite, linkshändige Menschen eben die linke. Für sie gilt der Nachsatz: insbesondere bei Tätigkeiten, die nicht durch familiäre oder kulturelle Erziehung (Handgeben, Schreiben …) geprägt wurden, also nicht auf die eine oder andere Art von einer Umschulung betroffen sind.

Wieso hat man eine Seite lieber?

Nichts am Menschen ist vollständig symmetrisch: Auch die beiden Gehirnhälften sind es nicht. Bei vielen ist die linke Hemisphäre dominanter. Die bohren dann mit der rechten Hand in der Nase. Bei anderen die rechte. Sie winken mit links. Denn jede Hirnhälfte steuert die Bewegung der jeweils anderen Körperseite. Kreuzweise also. Von Geburt an ist immer eine Hirnhälfte die stärkere und damit handangebend. Das hilft uns, tagtäglich tausende Bewegungen automatisiert und somit effizient und energiesparend (hirnschmalzsparend!) auszuführen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten jedes Mal beim Telefonieren überlegen, welche Hand Sie dafür nehmen sollen und wie es nun genau geht … Die Wissenschaft weiß, dass es so ist. Wie es dazu kommt, dem wird noch nachgegangen. Vermutlich liegt es an den Genen. Aber warum haben manche eineiige Zwillinge dann unterschiedliche Händigkeiten? Es wird geforscht.

Vorteil für links?

Abgesehen davon, dass Links- und Rechtshändigkeit bloß zwei Ausprägungen desselben Phänomens sind, macht es Wissenschaftern immer Spaß, Unterschieden nachzuforschen. Demzufolge befinden sich, statistisch gesehen, überproportional viele Linkshänder unter Architekten, Künstlern, Musikern, Mathematikern und Rechtsanwälten (ergo kreativer?) sowie unter Hoch-, aber auch unter Minderbegabten. Fragt man einzelne links bevorzugende Personen, hört man Pragmatisches: In einem von Links- wie Rechtshändern bewohnten Haushalt ist optimale Platzausnutzung möglich, weil jedes Winkerl zugänglich ist. Manche verfassen mühelos persönliche Notizen in Spiegelschrift. Links spielende/werfende/ kämpfende Sportler wiederum haben oft das Überraschungsmoment bzw. die Ungewohntheit auf ihrer Seite.

Es sind ziemlich viele!

Mangels Erhebungen kann der prozentuelle Anteil der Linkshänder an der Menschheit nur geschätzt werden. Er scheint stark von der Aufklärungsarbeit, von der Linkshändern gegenüber freundlichen und diese fördernden Einstellung in einer Kultur abzuhängen. Meist wird von einem Anteil zwischen 15 und 25 Prozent ausgegangen. In der flächendeckend umgeschulten älteren Generation sind es entsprechend weniger. Einige Wissenschafter glauben, dass der wahre Anteil bei 40 bis 50 Prozent liegt.

Umschulung

Früher war es selbstverständlich: Bis in die 1970er-Jahre wurden fast alle links agierenden Kinder mehr oder minder brachial auf die „schöne” rechte Hand umgeschult. „Brain Breaking” nennt man das im Englischen … Eltern und Großeltern kennen Horrorgeschichten von festgebundenen oder eingegipsten Armen. Selbst Kinder späterer Generationen waren nicht ganz vor Umschulversuchen gefeit und konnten sich nur durchsetzen, „weil ich mir beim Schreiben sonst die Augen ausgestochen hätte“, wie Irmgard (28) berichtet.

Heute nicht mehr?

Linkshändigkeit gilt heute weder als Krankheit noch als abnormes Verhalten. Bedeutet das, jedes Kind könne seine angeborene Händigkeit ausleben? Leider nicht immer, bedauern Experten und Betroffene. Manchmal wird es ihm als vermeintliche Erleichterung in einer rechtslastigen Welt verwehrt. Oder einfach aus Ignoranz abgewöhnt.  Dem Kind Schere, Stift oder Löffel immer wieder aus der linken Hand zu nehmen und in die rechte zu geben, mag wirklich gut gemeint sein, und es wird das auch ohne großen Widerstand geschehen lassen (nicht immer zeigt sich Linkshändigkeit massiv und unbeeinflussbar). Faktisch ist das eine Umschulung mit allen potenziellen, negativen Folgen. Dasselbe gilt, wenn sich Kinder selbst umschulen. „Wie geht das und was soll daran schlecht sein?”, fragt man vielleicht. Es beginnt meist recht früh: Kleine Forscher und Entdecker lernen vieles durch Nachahmung. Fehlen linkshändige Vorbilder, passende Gebrauchsgegenstände, ebensolches Spielzeug und sensibilisierte Eltern, kommt im Kindergarten vielleicht noch ein „rechter” Gruppendruck dazu, dann braucht es schon eine ordentliche Portion Temperament und Persönlichkeit, um weiterhin alles mit links zu machen. Damit sie nicht anders als ihre Freunde sind, schulen sich ehrgeizige kleine Vifzacks oft selbst um.

Der Knoten im Hirn

Die automatische Favorisierung einer Hand macht unser Leben einfacher. Auf rechts umgelernte Linkshänder (natürlich auch umgekehrt, etwa nach Handverletzungen) können davon nicht profitieren. Im Gegenteil, sie müssen zusätzlich Energie aufwenden, um die rechte Hand anzusteuern und die Bewegung der linken zu unterdrücken. Diese ständige Unterforderung der starken bei gleichzeitiger Überforderung der schwächeren Hirnhälfte kann viele Auswirkungen haben. Insbesondere auch bei Kindern, die wohlmeinend oder unbewusst umgeschult wurden. Natürlich muss nicht jedes umgeschulte Kind betroffen sein. Dr. Peter Böhm von der Linkshänder-Initiative geht in seiner Dissertation davon aus, dass 20 Prozent der umgepolten Kinder recht unbeschadet zu Rechtshändern werden. Aber was ist mit dem Rest?

Erkennen

Die angeborene Lieblingshand ist bei vielen Kleinkindern schon von Anfang an klar erkennbar. Hantiert ein Kind jedoch mit mehr als vier Jahren noch ständig abwechselnd mit links und rechts, empfiehlt sich eine medizinische Abklärung (KinderärztIn, ErgotherapeutIn), um etwaigen Entwicklungsverzögerungen oder leichten Gehirnfunktionsstörungen durch Fördermaßnahmen entgegenwirken zu können. Bei Unsicherheit, ob ein Vorschul-Knirps nicht vielleicht doch ein „Undercover- Lefty“ ist, empfiehlt es sich, einen Händigkeitstest durchführen (z. B. bei geschulten ErgotherapeutInnen oder der Linkshänder-Initiative, siehe Infos). Hier werden die Eltern befragt und das Kind bei einer Fülle von spielerischen, kulturell möglichst unbeeinflussten Tätigkeiten (Kreiseldrehen, Würfeln, Hämmern …) beobachtet.

Erkennen können?

Eltern schauen gerne nach dem Rechten. Aber schauen sie ausreichend nach dem Linken? Wesentlich ist, bewusst darauf zu achten, ob ein Kind vielleicht die linke Seite bevorzugt. Das bedeutet: Selbst wählen lassen! Nichts automatisch in die rechte Hand geben, sondern mittig hinlegen. Dr. Elisabeth Ertl listet auf der Website ihrer Linkshänder-Initiative (siehe Infos) einige Erziehungsrichtlinien für (rechtshändige) Eltern linkshändiger Kinder auf:

  • Kleine Kinder dürfen zur Begrüßung die linke Hand geben! (Sie werden bald die Norm erkennen.)
  • Wohnung beidseitig gestalten: Mischbatterien anstelle von zweiteiligen Wasserhähnen, mittige Toilettenspültasten, Schrankgriffe und Ähnliches abwechselnd montieren, der Computermaus auch ein linksseitiges Platzerl geben (leicht umprogrammierbar!).
  • Zentrierte oder links brauchbare Gegenstände anschaffen: Spielzeug, Häferln (Henkel, Zeichnung), Messer (Schliff), Kleidung (Taschen), Musikinstrumente, Fahrradklingel und -bremse.
  • Linke Vorbilder (Freundeskreis) anbieten.
  • Maschenbinden, Häkeln und andere Bewegungsabläufe spiegelverkehrt (gegenüber) vorzeigen. Das linkshändige Kind braucht Rückhalt und Selbstverständnis, ohne dass das Thema überbewertet wird.

Kindergarten & Schule mit links

Im Kindergarten sollten sich Eltern linkshändiger Kinder mit den PädagogInnen absprechen, damit kein „Rechts-Ruck“ passiert. Die Direktorin einer Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik in Wien ließ auf Anfrage ausrichten, dass „Linkshändigkeit sehr wohl ein Thema im Unterricht ist“. Genaues war aber leider nicht zu erfahren. Die Praxis aus Eltern- und Pädagogensicht zeigt allerdings: Es wird oft davon ausgegangen, dass Kinder schon wissen, was sie tun. Bestenfalls gibt es Linkshand-Scheren.

Schreiben & Schule

Wir schreiben von links nach rechts. Viele Linkshänder haben sich eine ebenso abenteuerliche wie ungesunde Handhaltung angewöhnt, um die Schrift nicht zu verwischen. Es geht aber auch anders: Für Vorschulkinder gibt es Schreibvorbereitungskurse, um spielerisch die richtige Bewegung zu trainieren (siehe Infos). Für die Schule gilt es dann Folgendes zu beachten bzw. zu besorgen:

  • Lichteinfall (Fenster) von links
  • Keine (rechtshändigen!) Sitznachbarn auf der linken Seite
  • Schere, Spitzer, Füllfeder in der Linkshändervariante
  • Spezielle Schreibunterlage (ideale Lage des Schreibhefts eingezeichnet) Prof. Victoria Hawlicek von der Pädagogischen Hochschule Wien erklärt, dass Volksschullehrer-AnwärterInnen in ihrer theoretischen Ausbildung beim Thema „Individuelle Förderung” auch auf Linkshändigkeit sensibilisiert werden. Und hofft auf entsprechende Umsetzung in der Praxis.

Händigkeitsneutrale Volksschule

In vier Wiener Volksschulen startete Dr. Peter Böhm als wissenschaftlicher Leiter das Projekt „Förderung von Kindern mit linkshändiger Begabung“. Seit fünf Jahren werden dort die Taferlklassler bereits bei der Schuleinschreibung von geschulten Personen beobachtet. Kinder mit labiler Händigkeit können gratis ein „Tiger-Training” zur Festigung und Übung absolvieren. Die Eltern sind in den Prozess natürlich miteinbezogen. Alle LehrerInnen und SchulleiterInnen sind in Linkshänder-Didaktik geschult. Etwa um einen neuen Buchstaben beidseits an der Tafel vorzuzeigen. Kommentar: „Bei mir schaut das links nicht so schön aus, weil ich Rechtshänder bin. Aber probiert einmal, wie es bei euch am besten geht.“ Bastel- Utensilien sind auch in der Links-Variante vorhanden. Die Folge: Pro Klasse finden sich hier sechs bis acht Linkshänder statt ein bis zwei anderswo. Für einen flächendeckenden Ausbau des Projekts fehlt, wie so oft, das Geld.
Epilog oder: „Einmal andersrum denken …”

Probeweise beende ich diesen Tag einmal linkszeitig. Vertrödle mich nicht in die Nacht hinein, sonst bin ich wieder unausgeschlafen. Würde mir links geschehen. Aber heute lasse ich alles Unerledigte rechts liegen und will mich dafür nicht linksfertigen. Ich versinke in der Polsterlandschaft und träume links bald: von einer Welt, die ihre Schubladen ausleert und alle dürfen anders sein – zu Links! 
Links & Infos:

Kontaktadressen:
www.linkshaender.at Linkshänder-Initiative in Wien, Händigkeitstests, Schreibvorbereitungskurse, Buchtipps, Volksschulprojekt von Dr. Böhm

www.linksrechts.at Institut für (umgeschulte) Linkshänder
www.linkshaender-beratung.de Umfangreiche Website von Dr. Johanna Barbara Sattler zum Thema Linkshändigkeit; prämiertes Spielzeug für links- wie rechtshändige Kinder

Shops:

www.bastel-laden.at/linkshaender.html Linkshänderartikel in Graz
www.lafueliki.de (Online-)Laden für linkshändige Kinder
www.linkshandversand.de  Mag. Barbara Windisch

Foto: fotogestoeber – shutterstock.com

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