Erfahrungen und Gefühle einer 12-Jährigen
“Manchmal fühle ich mich wie Aschenputtel”, sagt die 12-jährige Anna. Ihr Papa hat sich vor fünf Jahren von Frau und Kind getrennt, um mit einer anderen zu leben. Seitdem hat sich vieles verändert in Annas Leben, auch sie selbst ist nicht mehr das kleine Mädchen, sondern ein Teenager mit eigenen Interessen, Neigungen und Vorstellungen.
“Doch das zeige ich alles nicht, wenn ich zum Papa und zur Geli gehe. Die glauben, dass ich immer noch das Kind von früher bin. Und das bekomme ich auch zu spüren”, erzählt Anna.
Ihre Mama, Susanne, weiß wenig von den gemeinsamen Wochenenden ihrer Tochter mit der “zweiten” Familie. Denn Anna spricht nicht gerne darüber. Und wenn doch, dann hauptsächlich negativ: “Schon Tage vorher und auch danach ist Anna unruhig und nervös, und ich merke genau, dass sie eigentlich nicht hingehen mag.”
Der Grund ist Gabi, die “neue” Frau an der Seite von Papa. “Am Anfang war sie sehr nett, vor allem, als wir uns kennen gelernt haben. Aber mit der Zeit bin ich draufgekommen, dass sie eine Maske trägt, die sie sehr schnell fallen lassen hat. Und mein Papa steht total unter ihrem Pantoffel”, sagt Anna.
Sie selbst zeigt auch nicht ihr wahres Gesicht. Zu negativ sind die Erfahrungen, wenn sie es hin und wieder durchscheinen lässt. Sie schminkt sich nicht, spielt gegen ihren Willen mit der Tochter von Gabi, nimmt die schlechte Laune der Stiefmutter geduldig hin.
Sie versucht, sich so unauffällig wie möglich zu benehmen: “Manchmal hab ich richtig Herzklopfen, weil ich Angst vor ihren dummen Kommentaren und Sprüchen habe. Dabei will ich doch jeden Ärger vermeiden.” Und seit sie miterlebt hat, wie Gabi ihre eigene Tochter schlägt, ist Anna noch mehr eingeschüchtert, auch wenn sie sagt: “Würde mir das passieren, ginge ich nicht mehr hin.”
Schon jetzt spricht sie davon, in einem oder zwei Jahren so weit zu sein, “Nein” zu den verhassten Wochenenden zu sagen. Denn jetzt geht sie eigentlich nur hin, “weil es ausgemacht ist.”
Archetyp Stiefmutter
Dass Väter sich “neue” Frauen zulegen, hat in kindlichen Gedankenwelten eine lange Tradition. Denn viele Märchen erzählen von Kindern, die mit einer Stiefmutter konfrontiert wurden. Die in den seltensten Fällen verständnisvoll und nett, vielmehr boshaft, intrigant und ungerecht dort war, wo sie eigene Kinder mit in die Beziehung brachte.
Das Sprichwort “Stiefmutter, Teufels Unterfutter” spricht für sich. In “Aschenputtel” muss das Mädchen Drecksarbeit verrichten, weil die Kinder ihrer Stiefmutter dafür zu fein sind. In “Unter dem Machandelbaum” wird das Kind von ihr geschlachtet und dem Vater zum Essen vorgesetzt.
Und in “Schneewittchen” ist es der berühmte Apfel, mit dem die Stiefmutter die Tochter ihres Mannes zur Strecke bringen will. Sie und ihre Kolleginnen machen das alles aber nicht ungestraft, denn die Moral siegt in Grimmschen und anderen Märchen. Stiefmütter müssen für ihre Eifersucht und Habgier sowie ihren Geltungsdrang meist mit dem Leben bezahlen.
Die Rolle der leiblichen Eltern
Wie sich Kinder in neuen Familiensituationen zurecht finden und entwickeln, hängt von den leiblichen Eltern ab. “Wenn der Vater seiner neuen Partnerin keine Wichtigkeit gibt und sie nicht achtet, wird sie auch bei den seinen Kindern scheitern”, sagt die Mediatorin Claudia Weiss.
Sie hat gemeinsam mit einer Kindergärtnerin, einer Lehrerin und zwei weiteren Mediatorinnen einen Besuchstreff für Scheidungswaisen ins Leben gerufen, der als Pilotprojekt des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen unterstützt wird.
Susanne und Anna haben eine Kinderpsychologin konsultiert, die dem Mädchen helfen sollte, mit den veränderten Gegebenheiten zu leben. “Und dabei hat sie mich gefragt, ob ich es meiner Tochter überhaupt erlauben würde, die neue Frau zu mögen”; erinnert sich Susanne.
Denn wenn eine Mutter nur schlecht von der “Neuen” spricht, kann auch das Kind keine positive Beziehung zu ihr aufbauen. Das würde der Loyalität gegenüber der Mutter zuwiderlaufen.
Die Rolle der Stiefmutter
Wichtig für eine positive Entwicklung der Beziehung zwischen Kind und Stiefmutter sind das erste Treffen und das Verhalten der “Neuen”.
Mediatorin Claudia Weiss sagt erfahrungsgemäß: “Die Reaktion von Kindern auf Stiefmütter ist dann gut, wenn die Stiefmutter die richtige Mutter nicht schlecht macht und nicht auszustechen versucht. Außerdem sollte sie bereit sein, während der Besuchszeiten in die zweite Reihe zurückzutreten.”
Für Marie stand das immer außer Frage. Von Anfang wusste sie, dass sie vier Tage im Monat die fünfte Geige spielen musste. Denn die drei Kinder ihres Lebenspartners waren an diesem Wochenende das Wichtigste. “Für mich ist das selbstverständlich. Denn wenn die Kinder schon im Alltag auf ihren Papa verzichten müssen, dann sollen sie ihn wenigstens an den vier Tagen im Monat ganz für sich haben.”
Sie zog sich in die Rolle des “Alternativangebotes” zurück, denn schließlich kann sich kein Mensch dreiteilen. Und die Kinder im heutigen Alter von 11, 10 und 6 Jahren kamen darauf immer wieder zurück.
Konsequenz und Regeln sind auch nach Claudia Weiss’ Erfahrungen wichtige Faktoren im Umgang mit Kindern aus anderen Beziehungen: “Im Idealfall sollte man sich mit der Mutter absprechen, was Erziehungsfragen anbelangt. Ist das nicht möglich oder gewünscht, empfiehlt es sich, gemeinsam mit den Kindern Regeln zu erstellen, an die sich Kinder halten können.
Und gelingt es den Stiefmüttern darüber hinaus, ihnen ehrliches und offenes Interesse entgegenzubringen, haben alle einen guten Start ins gemeinsame Leben.”
Tipps für Stiefmütter
Der Verein Rainbows widmet sich Kindern in stürmischen Zeiten, vor allem, wenn sie unter Trennung, Scheidung und Tod leiden. Monika Aichhorn ist Gruppenleiterin bei Rainbows Salzburg und rät Frauen, die eine gute Beziehung zu ihren Stiefkindern aufbauen wollen:
Forcieren Sie die gemeinsame Zeit von Vater und Kindern alleine.
Geben Sie den Kindern das Gefühl, dass sie sich zuhause und sicher fühlen können.
Versuchen Sie nie, eine “bessere” Mutter zu sein und begreifen Sie sich als Freundin oder neue Bezugsperson für die Kinder.
Unterstützen Sie Ihren Partner in seiner Erziehungsarbeit mit den Kindern und schärfen Sie sein Bewusstsein aufgrund Ihrer Beobachtungen von außen.
Nehmen Sie die Kinder in ihren Wünschen und Bedürfnissen ernst.
Arbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Partner an einem harmonischen Umfeld für die Kinder, die meist sehr sensibel auf Spannungen reagieren.