„Ich zappelte und versuchte ihn wegzudrücken“ – Tabu-Thema Vergewaltigung

Es war gar nicht so wie im Film. Keine engen Gassen in verlassener Gegend um zwei Uhr früh. Kein Fremder, der Sonja folgte. Keine Schritte, die schneller wurden, kein Hauseingang, in den sie gezerrt wurde. Sonja kannte ihn gut.

 

Er war ein Bekannter, mit dem sie hin und wieder auf einen Kaffee oder einen Drink ging. Sonja wurde von ihm vergewaltigt am helllichten Tag, in ihrer eigenen Wohnung, in die sie ihn eingeladen hat.

Als er kam, merkte ich, dass er nach Alkohol roch

Sonja, 33 Jahre, wurde vor einigen Jahren vergewaltigt. Sie erzählt: “Ich dachte nie, dass ich der Typ sei, der vergewaltigt wird. Mein burschikoses Auftreten, meine kurzen Haare, meine emanzipierte Art schützen mich vor Angriffen dieser Art, habe ich geglaubt. Ich fuhr in der Nacht mit dem Taxi, mied dunkle Wege und war eher vorsichtig, was fremde Männer betraf.
Alex kannte ich ewig. Er studierte mit mir, war viele Jahre ein loser Freund, mit dem ich mich etwa viermal jährlich traf. Hin und wieder schmusten wir miteinander, aber mehr war da nie. Eines Tages rief er mich an und erzählte, er hätte solche Probleme in seinem Job. Ich lud ihn zu mir ein, um über seine Troubles zu quatschen.

Als er kam, merkte ich, dass er nach Alkohol roch. Ich kochte Kaffee, wir setzten uns und er klagte mir sein Leid im Job. Dabei kam er immer näher und suchte meinen Körperkontakt. Als er begann mich zu küssen, schob ich ihn sanft zur Seite. Als er immer heftiger wurde sagte ich ihm, er solle aufhören, nur das machte ihn noch schärfer. Er begann mir mein Leibchen gewaltsam hochzuschieben. Ich zappelte und versuchte ihn wegzudrücken.

Immer wieder rief ich seinen Namen, um ihn zur Besinnung zu bringen, aber ich war chancenlos. Als ich ihn an den Haaren riss, beschimpfte er mich als dreckige Hure und schrie, dass er mir den Hals umdrehen würde, wenn ich nicht still halte. Er legte kurz seine Hände um meinen Hals und ich spürte seine Kraft. Als er mir die Jeans runter riss, dachte ich: ´Hoffentlich macht er schnell. Ich muss nur stillhalten, damit er mir nichts tut.`

Als er gewaltsam in mich eindrang, war körperlich nur ein leichter Schmerz. Was weh tat, war dieses Gefühl, dass dieser Scheißkerl in mir drinnen ist, meinen Körper benützt. Meine intimste Stelle “benützt”. Als er fertig war, stand er auf und meinte, dass ich doch nicht so prüde tun soll, er wüsste doch, dass ich leicht zu haben sei.

Er ging und ich lag stundenlang in meiner Wohnung. Ich wollte duschen, wollte mich wieder reinwaschen aber schaffte es nicht, von diesem Sofa aufzustehen. Erst drei Stunden später konnte ich unter die Dusche, wo ich eine ganze Tube Duschgel aufbrauchte. Meine Scheide wusch ich solange, bis sie mir brannte.

Irgendwann rief ich meine Freundin an und sagte was passiert sei. Sie kam sofort und überredete mich, Anzeige zu erstatten. Ich dachte, dass ich das alles besser weg stecken würde, aber ich hatte furchtbare Alpträume. Sowohl was die Vergewaltigung, als auch die Anzeige betraf.

Der Verein Tara unterstütze mich dann und heute, zwei Jahre später, würde ich sagen, dass ich am besten Weg der Besserung bin. Die Narben werden immer bleiben aber Heilung gibt es, das kann ich betroffenen Frauen versichern.”

 

Jede vierte Frau in Österreich betroffen

Jede vierte Frau ist zumindest einmal in ihrem Leben von sexueller Gewalt betroffen. Die Gewalterlebnisse reichen vom sexuellen Missbrauch als Mädchen über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bis hin zur Vergewaltigung. In Österreich werden jährlich etwa 900 Vergewaltigungen von Frauen zur Anzeige gebracht.
„Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus: Nur etwa jede zehnte Frau, die Opfer einer Vergewaltigung geworden ist, entschließt sich zur Anzeige. Je näher das Opfer dem Täter stand, desto unwahrscheinlicher ist eine Anzeige”, erklärt Uschi Kussyk, Mitarbeiterin des Frauennotrufs.

Viele Frauen wollen sich den belastenden Gang durch die Institutionen nicht antun. Von der Anzeige bis zum Gerichtsverfahren können ein bis zwei Jahre vergehen. Oft gerade dann, wenn sich Frauen mitten im Verarbeitungsprozess befinden, steht die Gerichtsverhandlung an.

Sie müssen sich das Geschehene nicht nur wieder in Erinnerung rufen, sondern sind oft auch mit Personen konfrontiert, die ihnen das Erlebte nicht glauben. Können sie sich an ein Detail nicht erinnern oder haben sie es verständlicherweise verdrängt, wird ihnen mit Misstrauen begegnet.

„Alte Vorurteile halten sich leider hartnäckig: Man glaubt, eine Frau, die sich wehrt, kann nicht vergewaltigt werden oder dass Frauen eine Vergewaltigung anzeigen, wenn sie einem Mann eins auswischen wollen”, so Kussyk weiter.

 

Was wird in Österreich strafrechtlich unter Vergewaltigung verstanden?

In Österreich wird zwischen Vergewaltigung (§201Strafgesetzbuch – StGB) und geschlechtlicher Nötigung (§202 StGB) unterschieden.
Wobei unter Vergewaltigung, der mit Gewalt oder schwerer Drohung erzwungene Beischlaf, oder eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung verstanden wird. Vaginale, anale oder orale Penetration eines Täters mit seinem Penis oder mittels eines phallusartigen Gegenstandes fällt unter Vergewaltigung.

Unter geschlechtliche Nötigung fallen das Betasten der Brüste oder der Vagina, auch wenn das Opfer bekleidet ist. Wenn der Täter sein Opfer zwingt, sich auszuziehen, pornografische Aufnahmen macht, oder einen Beischlaf, unter Drohungen (ohne Gewaltausübung) vollzieht, dann werden diese Vergehen als geschlechtliche Nötigung geahndet.

Die rechtliche Situation hat sich in den letzten Jahrzehnten verbessert. So konnte von Frauenvereinen einiges erkämpft werden: Vergewaltigung in der Ehe wurde strafbar (zwar erst 1989, aber immerhin), Betroffene haben das Recht, von einer weiblichen Kriminalbeamtin angehört zu werden und müssen sich bei Gericht nicht mehr mit dem Täter konfrontieren.

 

Es geht um die Demütigung

Vergewaltigung hat nicht, wie oberflächlich vermutet, eine Befriedigung des Sexualtriebes des Täters zur Grundlage, sondern ist eine sexualisierte Form der Ausübung von Macht und Kontrolle über einen Menschen.  Sie ist tief in den patriarchalen Kulturen verwurzelt. So findet man Darstellungen von Vergewaltigungen schon in Schöpfungsmythen und Legenden.

Vergewaltigung dient dazu, Frauen zu demütigen und einzuschüchtern. Das Ziel des Täters ist es, dem Opfer die Persönlichkeit zu nehmen, indem es auf sein Geschlecht reduziert wird. Deshalb sind Vergewaltigungen für die Opfer psychisch viel belastender als andere aggressive Handlungen.

In den Sozialwissenschaften wird grundsätzlich nicht zwischen Vergewaltigung und sexueller Nötigung unterschieden. Statt dessen wird jede traumatisierende sexuelle Handlung als Vergewaltigung betrachtet, unabhängig davon, von wem, an wem, unter welchen Umständen und in welcher Situation sie ausgeübt wird.

 

Psychische und physische Folgen für Frauen

Die meisten Frauen und Mädchen erleben während einer Vergewaltigung Ekel, Todesängste und sind in dieser Situation einem völligen Kontrollverlust über ihren Körper und ihren Willen ausgesetzt. Wenn der Täter bekannt oder vertraut ist, bedeutet die Vergewaltigung darüber hinaus einen massiven Vertrauensmissbrauch.
Nicht selten leiden Frauen unter massiven Schuldgefühlen, denn gesellschaftliche Vorurteile sitzen auch bei den Betroffenen tief.

Die körperlichen und psychischen Folgewirkungen können äußerst unterschiedlich sein: Sie reichen von unklaren, wiederkehrenden, „therapieresistenten“ körperlichen Symptomen bis hin zu einer posttraumatischen Stress-Störung (PTSD) mit Angst, flashbacks, Konzentrationsverlust, Reizbarkeit und Schlafstörungen.

Natürlich ist das Opfer auch mit einer etwaigen Schwangerschaft oder einer, über Geschlechtsverkehr übertragbaren, Krankheit konfrontiert.

 

Meist sind es Bekannte

Bei etwa 2/3 aller angezeigten Vergewaltigungen kannten sich Opfer und Täter bereits vor der Tat mehr oder weniger gut. Vergewaltiger sind in den seltesten Fällen einzelgängerische Psychopathen oder Triebtäter.
Oft geben die Täter an, dass sie geglaubt hätten, dass sie “das Recht” dazu gehabt hätten. Entweder, weil die Frau eingewilligt hat, dass der Mann sie nach Hause bringen darf, weil sie ihn auf einen “Kaffee” eingeladen hat oder weil bereits Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden.

Roman, 24 Jahre, wurde wegen Vergewaltigung zu 1,5 Jahren Haft verurteilt. Er lernte Bianca in einer Disko kennen und am Weg nach Hause fuhr er mit seinem Auto rechts ran und vergewaltigte sie. “ Sie hat beim Küssen nichts gesagt und als es dann ernst wurde, stieß sie mich weg, aber ich dachte, sie wolle es doch eh und wenn sie mich schon heiß macht, dann kann sie nicht vorher abspringen. Wer A sagt muss auch B sagen”.

 

Wie sich vor Vergewaltigung schützen?

Eine Studie zum Thema Vergewaltigung beweist, dass 85% der Vergewaltigungen bereits durch heftige Gegenwehr, wie Schlagen, Treten, lautes Schreien (“Feuer” zu rufen, sei erfolgreicher als “Hilfe” sagen manche Experten, da die Bevölkerung bei dem Ruf “Feuer” eher persönlich herbei eilt), Beißen, an den Haaren reißen, abgebrochen werden.
Weiters gibt es einige Selbstverteidigungskurse, die ausschließlich für Frauen angeboten werden. Der Frauennotruf in Österreich bietet einige Selbstverteidigungstechniken an, die im Fall der Fälle Frauen helfen, richtig zu handeln.

Eine der angebotenen Selbstverteidigungstechniken ist “Seito Boei”. Es ist ein realistisches Notwehrsystem, das nur an Frauen weitergegeben wird. Es unterstützt die richtige Einschätzung der eigenen Kraft und den Abbau von häufig anerzogenen Aggressions- und Schlaghemmungen. Wirksame Abwehrreaktionen werden eingeübt und sind im Ernstfall abrufbar.

 

Was tun nach einer Vergewaltigung

Der erste Weg ist der zur Polizei oder in ein Krankenhaus. Die Polizei protokolliert den Fall, der von einer weiblichen Polizistin aufgenommen wird und überweist die Frau sofort an ein Spital, wo versucht wird, Sperma des Täters auszuwerten.
Im Spital wir zwar darauf geachtet, dass eine Gynäkologin die Untersuchung vornimmt, sollte dies nicht der Fall sein, hat jede Frau das Recht darauf zu bestehen, dass sie von einer Frau untersucht wird. Weitere Untersuchungen (Schwangerschaft, HIV, diverse Geschlechtskrankheiten, Verletzungen im Genitalbereich) werden von der behandelnden Ärztin in die Wege geleitet.

Wissen Frauen nicht recht, ob sie die Vergewaltigung anzeigen sollen oder nicht, gibt es eine Reihe an Einrichtungen, an die sie sich wenden können. Psychologinnen begleiten und unterstützen, damit es einen Weg aus dem Trauma gibt.

 

Gewalt gegen Frauen – Übersicht der Beratungsstellen

Bild: Pixabay/Alexas Fotos

u-04_14_n_02_22