Ein Blick hinter die Kulissen: Seit 47 Jahren begeistert der Circus Roncalli die Menschen. Im Interview erzählt Direktor Bernhard Paul über die Anfänge, warum keine Tiere mehr in der Arena auftreten und welche Menschen den Zirkus prägen.
Das Interview führten H. Hütter und Beatrice Turin.
Beatrice Turin: Wie waren die Anfänge vom Zirkus?
Bernhard Paul: Roncalli steht ja in einer gewissen Tradition: In der Zwischenkriegszeit gab es noch einige Zirkusprojekte in Wien: Den Zirkus Busch in der Pratergasse, in der Zirkusgasse den Zirkus Renz, und da, wo heute die Stadthalle steht, war der Zirkus Schumann. Über die Geschichte des Zirkus Roncalli habe ich ein Buch geschrieben, das hat 350 Seiten, und es gibt inzwischen auch einen Film. Ich will ehrlich sein, dieses Buch zu schreiben war mitunter auch schmerzhaft. Der Zirkus darf auf eine lange Geschichte zurückblicken, mit sehr viel Freude, aber auch viel Leid und Schicksalsschlägen. Mittlerweile gibt es auch ein Roncalli-Archiv, das gerade digitalisiert wird, da haben wir gefühlt hunderttausende Photos, angefangen mit 1976. Damals was das Photographieren ja noch anders – aber trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Photos, die wir damals gemacht haben, irgendwie länger wirken, als diese Smartphonesachen, die die Leute heutzutage ständig machen.
„Du machst einen Zirkus? Das finde ich gut, da mache ich mit!“
Wie ist das Projekt Roncalli genau entstanden? War André Heller von Anfang an in die Konzeption eingebunden?
Bernhard Paul:Im Gegenteil – der Zirkus lief schon eine Weile, dann kam eines Tages Heller und klopfte an meine Gartentüre, und sagte mehr oder weniger: „Du machst einen Zirkus? Das finde ich gut, da mache ich mit!“, und so hat sich das dann quasi entwickelt. Am Anfang brauchten wir Nummern für unsere Aufführung, also sind wir mit unserem Auto durch ganz Italien getourt, von Zirkus zu Zirkus, und haben uns Nummern für den Zirkus geholt.
Wie ist der Name Roncalli entstanden? Hat das wirklich mit Papst Johannes XXIII. (bürgerlich Angelo Giuseppe Roncalli, Anm.) zu tun?
Bernhard Paul: Der Name geht auf Peter Hajek zurück, der einmal sagte: „Ich habe einen Film gemacht, der hieß ,Sara Roncalli, Tochter des Mondes‘ – Roncalli wäre ein guter Name.“ Italienisch klingende Namen waren in der Szene damals recht üblich. Als André Heller im Steirischen Herbst einmal gefragt wurde, warum der Name des Zirkus Roncalli lautete, war seine Antwort: „Der Papst hat mich ungemein an einen Clown erinnert“. Sie können sich ja vorstellen, was die Zeitungen daraufhin geschrieben haben, in den damaligen Zeiten. Das kam gar nicht gut an, da war unser erstes Sponsoring, von Raiffeisen, gleich passé.
Können Sie uns ein wenig über die Uraufführung des Circus Roncalli berichten?
Bernhard Paul: Die fand in Bonn statt, auf der Universitätswiese – Bonn war damals übrigens noch Regierungsstadt. Der Chef des Bonner Sommers, eines deutschen Kulturfestivals, kam auf uns zu. Nach drei Monaten Planung fand dann dort die Welturaufführung statt.
War es von Anfang an geplant, dass Sie in der Manege stehen werden?
Bernhard Paul: Das war eigentlich keine Diskussion, zumindest bei unserem ersten Mal, da hatte ich viel zu viel zu tun. Beim zweiten Mal, 1980 dann, war ich erstmals selbst mit einer Clownnummer vertreten, in Köln damals noch. Köln war überhaupt etwas flexibler, verglichen mit Wien – hier war alles sehr zäh, nichts ließ sich auf die Beine stellen, die Leute waren allgemein unzuverlässig, was Termine und so weiter angeht. Deshalb bin ich nach Köln gegangen, und habe in Köln, in der Schokoladenfabrik Stollwerk den Zirkus abermals zusammengebastelt. Und, können Sie sich vorstellen, in Deutschland haben es die Leute sogar rechtzeitig zu den angesetzten Terminen geschafft. Na ja, Wien ist eben anders, nicht?
„Der Zirkus wächst übrigens an speziellen Menschen, um nicht zu sagen seltsamen. Er zieht exotisches Volk und versteckte Talente an.“
Wer so ein großes Projekt auf die Beine stellt, muss vor allem eines können: Delegieren. Würden Sie sagen, dass es anfangs schwierig war, in diese Rolle zu finden?
Bernhard Paul: Ich war zuvor Art Director vom Profil, und mir wurden so schwierige Aufgaben anvertraut, wie Manfred Deix dazu zu bringen, rechtzeitig das Cover fertig- zumachen – und diverse andere Künstler dazu zu bringen, ihre Deadlines einzuhalten. Also mit dem Delegieren war ich bereits vertraut, zum Glück. Der Zirkus wächst übrigens an speziellen Menschen, um nicht zu sagen seltsamen. Er zieht exotisches Volk und versteckte Talente an. Leute aus der ganzen Welt kommen dort zusammen, Leben verändern sich, Beziehungen entstehen – Kinder kommen auf die Welt. Die ganze Sache hatte eine eigene Kraft, da gab es nicht so viel zu planen und zu delegieren, würde ich sagen.
Wieviele Leute arbeiten im Zirkusunternehmen Roncalli derzeit?
Bernhard Paul: Im Augenblick rund 150 Mitarbeiter, alles in allem. Über Büros, Werkstätten, und Schausteller verteilt. Ich könnte auch nicht sagen, dass es Einzelne gibt, die besonders wichtige Stellen einnehmen – bei uns hält sich alles so ein bisschen gegenseitig, da ist jeder wichtig. Natürlich gibt es solche, die schon lang dabei sind, und die immer Bescheid wissen, wo es langgeht. Wenn Sie sich erinnern – wir haben in Moskau kampiert, in Spanien, bei der Weltausstellung, da haben wir so einige Haudegen in unseren Reihen, die das alles mitgemacht haben. Das formt natürlich. Ich habe das Gefühl, mit diesen Leuten – wenn die da sind – dann kann mir nichts passieren. Wir gehen gemeinsam durch dick und dünn. Mit der Pandemie war es eher dünn, aber jetzt, hoffen wir, wird es wieder besser. Wir haben das alles eigentlich ganz gut überstanden.
Ihre Tochter Lili hat ja eine neue Akrobatiknummer vorgeführt – für die Wiener Premiere – sind Sie da stolz, als Vater, oder sehen Sie das als Zirkusdirektor eher kritisch?
Bernhard Paul: Aber nein, das ist wunderbar! Ich merke immer mehr, wieviele Gemeinsamkeiten wir haben. Ihre Sturheit, zum Beispiel. Sie sagte, wenn sie in Wien ist, wolle sie was Neues machen: Innerhalb von zwei Wochen hatte sie den Werkstattchef soweit, dass er ihr einen Billardtisch baut, für ihre Vorführung, bekam die Schneiderin dazu, ihr ein Outfit anzufertigen, und sprach mit dem Choreographen für die Musik. Das alles hat sie also in Eigeninitiative auf die Beine gestellt. Eine Nummer entwickeln – da brauchen andere ein Jahr, werden vielleicht noch wehleidig, oder bekommen es gar nicht hin. Und sie macht das einfach.
Wie hat sich das Zirkusgeschäft in den letzten Jahrzehnten verändert?
Bernhard Paul: Oh, das Marketing ist glaube ich ein springender Punkt. Ich habe generell Leute von außerhalb, nicht aus der Zirkuswelt, für unsere Werbung geholt. Da haben wir uns über Corona mehr oder weniger neuerfinden wollen und müssen. Früher war es üblich, in den Zeitungen zu inserieren, wenn der Zirkus in die Stadt kam – das haben wir kürzlich auch so gemacht, samt Pressekonferenz und allem drum und dran. Und da mussten wir schnell erkennen, dass Inserate nicht mehr funktionieren. Also mussten wir neue Wege gehen – Flugzeugwerbung, zum Beispiel. Das funktioniert einwandfrei. Inserate wurden abgeschafft, und über die Flugzeugwerbung wurde sogar extra noch berichtet. Da haben wir Roncalli in den Himmel geschrieben, und das sieht man bis nach Niederösterreich, das können Sie mir glauben. Natürlich alles möglichst Co2-neutral. Außerdem nutzen wir das Internet und indirektes Marketing.
„Puh, hier schlafen, das würde ich auch nicht wollen. Das war der Moment, wo ich beschloss, es endgültig ohne Tiere zu machen.“
Der Circus Roncalli ist heute komplett tierfrei. Gab es früher Zirkustiere?
Bernhard Paul: Ich hatte drei Elefanten, Tiger, Löwen, Pumas, Leoparden, einen Eisbär, der war riesig, Braunbären, Kragenbären, ein Nashorn – es gab sogar eine Nummer mit einem Tiger auf einem Nashorn, also ich hatte wirklich alles. Damals arbeitete ich noch mit dem Schweizer Nationalzirkus zusammen, der für seine hervorragende Tierhaltung und Dressur bekannt war. Ich weiß noch, ich war in Köln, an einem unglaublich heißen Tag, im Pferdestall mitten in Köln – da fährt die Straßenbahn vorbei, und Sie konnten sie berühren, wenn Sie die Hand ausstrecken. Und ich dachte mir, puh, hier schlafen, das würde ich auch nicht wollen. Das war der Moment, wo ich beschloss, es endgültig ohne Tiere zu machen – ich hatte ja ohnehin nur die Pferde noch, den Rest nicht mehr. Das war zu einer Zeit, da waren Tiere vom Zirkus nicht wegzudenken. Trotzdem habe ich von mir aus gesagt, der finanzielle Aspekt ist mir nicht so wichtig, wie das Tierwohl. Als Tiere Zug um Zug abgeschafft wurden, habe ich in New York, bei einem Festival, Justin Timberlake mit Prince ein Duett singen gesehen, als Prince schon lange tot war – via Holographie. Das war voll 3D, und die Leute haben gar nicht wirklich gemerkt, dass es Holographie ist, und da ist mir ein Licht aufgegangen. Das wollte ich mit den Elefanten machen. Der Unterschied ist nur, dass die Bühne viereckig ist, und der Zirkus rund: also brauchte ich nicht zwei Projektoren, sondern elf, und das hat mich etwa 350.000€ gekostet. Der Vorteil ist, dass wir nach Belieben das Programm wechseln können. Wenn wir in der Nacht das Licht ausschalten, dann ist es vorbei, und wir haben keine Probleme mit den Tieren, und brauchen uns keine Sorgen zu machen, dass irgendetwas passiert.
Sie besitzen auch die größte Sammlung an Zirkusgegenständen?
Bernhard Paul: Ja. In einigen Hallen in Köln habe ich eine der größten Sammlungen von Zirkusgegenständen in Europa. Dazu zählen viele alte Kostüme, Tausende von Büchern über den Zirkus, Plakate und viele andere originale Exponate. Ich sammle auch Möbel und Einrichtungsgegenstände historischer Gaststätten und Kaffeehäuser. So besitze ich 40 komplette Kaufmannsläden mit Waren und Fassaden (vom Tante-Emma-Laden bis zum Friseur), sowie alte Schaustellergeschäfte vom Karussell bis zur Schiffsschaukel. Vielleicht gibt es in der Stadt Wien ja ein Interesse bevor sich eine deutsche Stadt dafür interessiert.
Wir danken für das Gespräch.
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Börse Express/Bex-Media
Text: H. Hütter, Sasha Müller
Aufmacherbild oben (beigestellt): Bernhard Paul als „ZIPPO“/©Circus Roncalli GmbH 2012/ Foto:Foto: Bildarchiv Circus Roncalli – www.roncalli.de
Bilder vom Interview (so weit in der Bildunterschrift nicht anders): BEX-Media/CurtThemessl
Über die Serie BE – familiy
In der Serie „BE – family“ besucht das Team des Börse Express/Bex-Media regelmäßig Persönlichkeiten aus der Geschäftswelt. Diesmal war es zu Gast bei Bernhard Paul, der den Circus Roncalli erfolgreich leitet. Die “Artistenlegende” blickt beim Gespräch in seinem Zirkuswagen am Rathausplatz mit Beatrice Turin (Miss Europe 2021) und dem Lifestyle Team zurück auf die Anfänge des Roncalli. Stolz erklärt er die Transformation des Unternehmens von den Anfängen zu einem Multmedia Projekt, das heute zu einem Vorreiter in Sachen Digitalisierung und Tierschutz zählt. Aus dem Börse Express vom 13.10.2022.
Link zum Original-PDF https://www.boerse-express.com/assets/f98ae810bf/13102022.pdf