«Gib das Handy weg», «du hast jetzt genug gespielt» – der Umgang mit digitalen Medien sorgt in vielen Familien für heiße Konflikte. Der Schweizer Experte Ben Fisch rät zu Gelassenheit und meint, dass Eltern ruhig auch mal mitspielen sollten, um Vertrauen zu schaffen.
„Medienerziehung ist auch bei uns in der Familie ein Thema“ – diesen Satz höre ich als Elternberater zur Medienerziehung von nahezu allen Eltern, die mir begegnen und zum ersten Mal hören, was ich beruflich mache. Viele Eltern wissen, dass ihr Kind Medienkompetenz erlernen sollte, allerdings machen sie sich auch Sorgen, denn zu viel Mediennutzung führt oft dazu, dass ihr Kind träge und antriebslos wird. Das kann dazu führen, dass sich das Kind plötzlich für nichts anderes mehr interessiert als die digitalen Medien. Und so dreht sich der Alltag oftmals um die Medienzeiten der Kinder und wie sie weniger Zeit mit digitalen Geräten verbringen könnten.
Damit fokussieren sich Eltern allerdings auf die falschen Tatsachen, welche die Mediennutzung des Kindes als problematisch erscheinen lassen. Diese Fokussierung auf die Nutzungszeit führt eher zu Konflikten in der Familie als zu einer zufriedenstellenden Medienerziehung. Deshalb möchte ich aus meiner Erfahrung von etlichen Elternbegleitungen erzählen und drei Grundpfeiler erläutern, welche aus meiner Sicht elementar sind für eine gelingende Medienerziehung.
1. Digitale Medien sorgen für Glücksgefühle
Für Eltern ist es besonders wichtig Verständnis dafür aufzubringen, was digitale Medien bei Kindern auslösen. Digitale Medien, unabhängig von der genauen Medienaktivität, sind deshalb besonders anziehend auf Kinder, weil sie im Gehirn der Kinder das so genannte Belohnungszentrum triggern und dabei eine Ausschüttung von Glückshormonen anregen. Die Kinder fühlen sich besonders glücklich und froh, dass sie diese Ausschüttung ausgelöst haben und möchten diese immer wieder anregen und immer wieder diese Glücksmomente erleben – was absolut nachvollziehbar ist. Daraus entsteht ein regelrechter Trieb nach solchen Glückserregungen, was in der extremen Anziehungskraft von digitalen Medien beobachtbar ist.
Was viele Eltern aber nicht wissen und dies unterscheidet auch die Kinder von uns Erwachsenen: Die Kinder haben, zumindest bis zur Pubertät, noch keine hemmenden Strukturen entwickelt, um diese blinde Jagd nach Glücksmomenten zu reflektieren und einzuordnen. Sie können deren langfristige Folgen nicht einschätzen und noch keine entsprechenden Handlungsmuster zu entwickeln, welche nicht triebgesteuert sind.
Sehr ähnlich ist das mit Süssigkeiten, denn auch da können Kinder noch nicht eigenverantwortlich eine Grenze ziehen. Bei den Süssigkeiten wissen die Eltern aber Bescheid und begrenzen ihre Kinder entsprechend – wohl wissend, dass dies auch zu kurzzeitigen Frustsituationen seitens der Kinder führen kann.
2. Verständnis und Interesse zeigen statt Vorwürfe machen
In der Situation des hilflosen Ausgeliefertseins des Kindes gegenüber seinen Emotionen und natürlichen Trieben nach Glückserregungen braucht das Kind von seinen Eltern Verständnis, statt Vorwürfe bezüglich seiner Machtlosigkeit und Inkompetenz die eigene Gefühlswelt zu beherrschen.
Um dieses Verständnis auch wirklich aufbringen zu können, sollten Eltern sich für die individuelle Mediennutzung ihres Kindes interessieren und herausfinden, wovon das eigene Kind sich in der digitalen Welt angezogen fühlt. Das dient dazu das Kind danach auf der emotionalen Ebene besser abholen und begleiten zu können. Dazu sollten sich Eltern für die individuelle Mediennutzung des Kindes ganz konkret interessieren, sich vom Kind Spiele oder Apps erklären und vorführen lassen und auch selbst mal mit dem Kind in die digitale Welt eintauchen. Dies schafft nicht nur Verständnis auf Seiten der Eltern, sondern auch ein gewisses Vertrauen auf Seiten der Kinder und das ist sehr wichtig, denn…
3. Vertrauen schafft Sicherheit
Gegenseitiges Vertrauen in der Medienerziehung ist ein elementarer Bestandteil für die Sicherheit von Kindern im digitalen Raum. In diversen Umfragen hat eine Mehrheit der Kinder angegeben, dass sie in einer Situation, in der sie Opfer von Cybermobbing oder gar Cybergrooming werden, sich nicht an ihre Eltern wenden würden, weil sie ihren Eltern nicht vertrauen und befürchten, dass ihre Eltern überreagieren und ihnen einfach ihr Handy wegnehmen.
Wie können Eltern also vorgehen, um dieses Vertrauen herzustellen? Neben den drei Grundpfeilern über die ich gerade berichtet habe, gilt es eine offene Gesprächsebene anzustreben, in der Eltern die Ansichten des Kindes über seine digitale Umwelt respektieren. Außer dem bereits angesprochenen Interesse zeigen, ist für so eine offene, möglichst hürdenlose Gesprächsebene ein Versprechen der Eltern unerlässlich: Versprich deinem Kind, dass es, wenn es einmal Opfer von Cybermobbing oder Cybergrooming werden sollte, oder etwas Irritierendes oder Angsteinflössendes im digitalen Raum erlebt, jederzeit zu dir kommen und mit dir darüber reden kann.
Versprich, dass es kein Handyverbot gibt, wenn dein Kind dir etwas erzählt
Du solltest dem Kind versprechen, dass es deshalb nicht befürchten muss, dass du ihm Verbote aufbrummst oder gar sein Handy oder ein anderes Mediengerät wegnimmst. Dieses Versprechen kann das Vertrauen deines Kindes in dich massiv erhöhen. Eine solche Beziehungsebene, die auf Vertrauen aufbaut, erleichtert schlussendlich auch eine klare Strukturierung der Mediennutzung und der abgemachten Medienzeiten des Kindes.
Zuletzt ist wichtig, dass Eltern sich stets selbst in der Medienerziehung und ihrer eigenen Medienkompetenz weiterentwickeln. Die gute Nachricht dazu ist, dass dies für Eltern immer einfacher wird, denn es gibt immer mehr Hilfestellungen und das sogar in den digitalen Medien selbst. Zum Beispiel in Form meines YouTube Kanals «Lösungen für die Medienerziehung».
In diesem Sinne wünsche ich dir in deiner Medienerziehung die nötige Ruhe und Ausdauer und die Einsicht, dass das Vertrauen deines Kindes wichtiger ist als die pünktliche Beendigung der Medienzeit. Wenn dein Kind also das nächste Mal eine zusätzliche Runde zocken möchte, erlaube es ihm unter der Bedingung, dass du mitmachen darfst. Lasst das Spiel beginnen!
Ben Fisch
Bild: pixabay/Gerd Altmann