Ich habe eine dunkle Seite in mir, wie beinahe jeder von uns. Und ich gebe dies auch zu. Klarerweise habe ich mich über die Wunschträume so mancher Frau hinweggesetzt, und noch öfter habe ich mir eingeredet, die Frauen zu verstehen. Ein Mann, der glaubt, die Sexfantasien der Frauen zu kennen … Igitt!
Keine Angst, liebe LeserInnen, dies ist kein schonungsloser Seelenstrip, sondern ein Versuch, aus 42 Jahren Frauenverstehertum eine Conclusio zu ziehen. Fantasie hat ja den Ursprung im real Erlebten (sagt Mann!). Wer jedoch hinter dem Begriff Feuchtgebiete den tropischen Regenwald vermutet, dem sei gleich zu Anfang gesagt: Jein! Eine – sagen wir mal so: – talentierte TV-Moderatorin aus unserem geliebten Nachbarland (dort, wo die sexuellen Uhren bislang nach dem Oswald-Kolle-Report tickten) hat sich aufgemacht, den Schocker-Roman des Jahres zu schreiben. Charlotte Roche jagt ihre Zeilen durch Vulva, Menstruation, Bremsspuren in der Untergattinger, Säfte, Sekrete und Ausdünstungen – und verdient damit gut Geld. Sexfantasien einer Spätpubertierenden … nun ja!
So ist die Realität
Die Frauen erleben uns Männer von Jugend an als drängende, pickelübersäte und ständig sabbernde, immer auf die Brüste starrende und ewig grabschende Wesen. Das erste Mal: Das ist ein schal schmeckender Kuss mit wild rotierender Zunge. Und das – nach Überwindung der viel zitierten Gummiallergie – folgende Erlebnis endet meist mit einem Vergleich: „Sagen wir, es war nix, und das nächste Mal wird’s nichts mehr geben.“ Das alles soll später die Fantasiegewalt des Weibes generieren?
Was wollen also Frauen wirklich? Und vor allem: Warum wollen sie uns Männer überhaupt? Sollten Sie zu den drei Personen zählen, die Til Schweigers „KeinOHRHasen“ nicht gesehen haben, sei Ihnen somit zwar verziehen, die Schmach aber dennoch nicht erspart. Sex mit Frauen ist so wie im Film. Zumindest wie in diesem. Die Freigabe desselben ab 12 Jahren sollte Ihnen zu denken geben. Bei Fragen nach tatsächlichen erotischen zwischenmenschlichen Abläufen befragen Sie daher Ihre Kinder. Doch zuerst muss Frau den Mann verstehen.
That’s it – Mann ist simpel!
Phase 1: das Kennenlernen
Gleich einer Rakete kurz vor dem Start legen wir Männer los: größer, schneller, weiter, ausdauernder und standfest wie ein Dieselmotor der W124er-Baureihe von Mercedes. Viagra? Pah, nur für Schwächlinge. Autos? Ich fahre zwar die Marke „Understatement“, davon allerdings das Beste. Beruf? Ich bin saugut … und die anderen sind Berufstrotteln. Liebe? Meine erste war schon vom Kuss an befriedigt. Zu mir oder zu dir? Männer müssen so sein. Wir behaupten uns unter Milliarden anderer Sieger. Wir sind die Krone der Schöpfung, des Liebens, der Sexualität und der Zuverlässigkeit … Amen. Unser Ziel: das Bett.
Phase 2: das endgültige Flachlegen
Nicht, was Sie meinen (könnten). Wir legen die Karten – flach auf den Tisch, denn wir sind beim ersten Mal schonungslos abgeblitzt. Wir kaufen Blumen, ersteigern in der „Bucht“, und wir sind zärtlich im Umgang mit Worten. Das Ziel: wenigstens in die Wohnung der Angebeteten zu kommen.
Phase 3: Telefone
Ja, die gibt’s. Doch nicht für uns Männer, denn unsere Nummer wurde gerade geändert, umgestellt, von Ganoven geraubt – kurz und gut: Lieber rufen wir (nicht) an. Wir hatten ja Phase 2 bereits rammelnd erledigt. Auto eingefahren – Ölwechsel ist angesagt. Das Ziel: möglichst keine Spuren zu hinterlassen. That’s it. Bitte, bitte, liebe LeserInnen – glauben Sie’s einfach. Es ist genau so simpel.
Nicht lesen!
Was habe ich gerade geschrieben? Und dennoch wandern Ihre Augen über diese Zeilen. Sie werden den Autor hassen. Egal. Lehnen Sie sich zurück, schließen Sie ihr geistiges Auge und lassen Sie Ihre Lippen leicht geöffnet. Benetzen Sie diese und denken Sie an die Dunkelheit. Nur der Atem umstreicht Ihren Hals. Von hinten. Sie wissen nichts über Ihr „Gegenüber“. Sie können ihn nicht sehen. Nur riechen. Leicht herber Geruch. Nicht unangenehm, holzig, leicht verschwitzt. Hände packen Ihre Hüften und pressen sie mit einem Ruck an sein Becken. Sie spüren die Härte seines Geschlechts. Sie merken, wie seine Hände Ihre Brüste fordern, seine Lippen Ihren Nacken berühren. Sie zittern wohlig und er drängt an Ihre Haut. Ihr Atem wird stockend. Was will er? Wer ist er? Wird er mir Böses …? Diese Gedanken ersticken in Ihrem Begehren, als Ihr Bauch von seinen Fingern berührt wird, eine Hand gekonnt Ihren Slip beiseiteschiebt. Kein Slip, Sie haben keinen an. Er beugt Sie, Sie spüren, wie er nackt hinter Ihnen steht.
Genommenwerden – mehr denn je
Vor mehr als 30 Jahren wertete die amerikanische Autorin Nancy Friday (Jahrgang 1933, sorry, der musste sein!) mehrere tausend Frauen-Briefe aus. Sie fand heraus, dass die Mehrzahl der weiblichen Sexualfantasien masochistischer Natur ist. An erster Stelle standen dabei Gedanken an einen anderen Mann (eine andere Frau), an zweiter Vergewaltigungsvisionen, an dritter „Perversitäten“. Sehr häufig stellten die Frauen sich auch Geschlechtsverkehr mit mehreren Männern gleichzeitig vor oder voyeuristische Situationen, in denen sie selbst beobachtet wurden oder andere ihnen zusahen.
Was heißt das? Dass alle Frauen geborene Masochistinnen sind, Lust an der Unterwerfung haben? Nein. Das „Genommenwerden“ stand im Vordergrund. In den 1970er-Jahren. Und heute? Ebendiese Nancy Friday fragte vor kurzem erneut nach. Und siehe da – laut Nancy-Statistik steigen die sexuellen Wünsche der Frauen im Ausleben der sadistischen Fantasien an. Da Sadismus seit Mitte der 90iger nicht mehr als „Störung der Sexualpräferenz“ angesehen wird und so die Türen der Legitimierung geöffnet wurden, gehört es heute wohl schon zum guten Ton, wenn Frau von sich behaupten kann, über sadistische Fantasien zu verfügen oder sie gar zu leben. Aber was heißt das denn genau? Kuschel-Domina-Spiele oder die richtige Hardcorevariante?
Gilt es als sadistische Fantasie, wenn sie ihm rosafarbende Puschelfesseln anlegt, ihm die Augen verbindet und ihn mit Kerzenwachs besabbert? Sich autoritär und breitbeinig in gelackten Overknees vor ihn stellt und die Rute kitzelnd über ihm schwingt? Ihre Kreolen an seinen Nippeln befestigt und ihn schmückt, als ginge es um die neue Weihnachtsdeko? Mit Sicherheit sind das keine versteckten Fantasien, sondern größtenteils Versuche: Wir haben es irgendwo mal aufgeschnappt, also wird’s ausprobiert. Meiner Meinung nach gibt es aber nur zwei Formen des Sadismus: Die eine findet sich immer und überall – „Verweigere ihm etwas, was er gern haben möchte“ – in unserem Alltag wieder. (An dieser Stelle fällt mir mein Kieferchirurg ein, den ich vor kurzem bat, mich mit einer wenngleich unangenehmen Kieferhöhlenspülung endlich von meiner Qual zu befreien … Er: „Sie sind Masochist, und da ich Sadist bin, verweigere ich Ihnen diese Spülung.“ Ganz simpel und aus dem Alltag auf den Punkt gebracht.)
Sadismus, dein Name ist Frau!
Seien wir doch mal alle ehrlich: Frau hat dieses Adjektiv doch regelrecht „geboren“. Noch morgens, nach dem Frühstück und dem Bussi an der Tür, eröffnet sie ihm die Perspektive auf einen hingebungsvollen und hemmungslosen Abend. Er quält sich mit Spannung in der Hose durch den Tag, in seinem Kopf spiegeln sich Rollen wider, schriebe man die nieder, manch pornografisches Drehbuch würde hier entstehen … und dann? Stunden später: „Schatz, schön, dass du da bist! Was war es anstrengend heute, die Kinder … bitte nicht … ich hab Migräne, bin völlig kaputt …“ Sadismus in Vollendung! Gut, sie hat dadurch natürlich auch keine sexuelle Befriedigung, aber wenn man Statistik und manchem „Taschenbuch- Sexual-Berater“ Glauben schenkt, braucht Frau ja keinen Orgasmus, um ihre Befriedigung zu finden, oder?
Apropos Befriedigung, es gibt ja auch noch die andere Seite – in Gestalt der Frau, die ihre Befriedigung ausschließlich in Anwendung von Macht und Gewalt findet. Entweder das Vorspiel oder der Geschlechtsverkehr selbst werden in einer Weise praktiziert, die den Partner demütigt oder ihm Schmerzen zufügt. Ein Geben und Nehmen. Die wahre Sadistin – im sexuellen Sinne – ist ohne ihren Masochisten nichts. Genauso wenig wie Cola ohne Kohlensäure, wie Ying ohne Yang. Bei diesem Zusammenspiel kommt es in der Regel weitaus weniger zu Trennungen als in der „Kuschelgruppe“. Rein statistisch natürlich! Ausprobieren, die Zonen zwischen Schwarz und Weiß entdecken, neue Spielfelder betreten, erfahren, was einem gefallen könnte, und es nicht nur in Gedanken kreisen lassen – unabhängig ob Kuschel-, Hardcoreoder Alltagserotik – bedeutet nicht gleich: „Ich bin … veranlagt“!
Fazit
1. Die Statistik nicht ins Bett schauen lassen!
2. Unsere Fantasien sind Produkte der sozialen Verhältnisse. Sie spiegeln die Tatsache der weiblichen Unterlegenheit in einer männerbeherrschten Gesellschaft wider.
3. Fantasiertes besagt nichts über real Gewünschtes. Das Gegenteil kann der Fall sein. Eine Frau, die sich lustvoll vorstellt, vergewaltigt zu werden, will deswegen noch lange nicht wirklich vergewaltigt werden.
Sie finden sich wieder? Und in der Realität?
Gilbert Brandl
Foto: pixabay_