Alles zu seiner Zeit

Babys Rituale etc.

Jetzt ist unser Kind schon 10 und hält sich nicht an Regeln, hört nicht auf mich, folgt mir nicht …“ Klagen solcher Art sind beinahe „Tagesroutine“ in meiner Beratungspraxis. Meist fragen mich die besorgten Eltern aber auch: „Was hätte ich denn besser machen können?“ und „… ab wann hätten wir es besser machen sollen?“. Die Antwort: „Liebe Eltern! Das Erlernen von Grenzen und Einhalten von Regeln beginnt schon im zarten Babyalter.“

Trösten oder Füttern?

„Schon wieder!“, denkt die Mutter der 6 Monate alten Lilly beinahe verzweifelt und sieht auf die Uhr: „Ein Uhr früh! Ist es nicht erst knapp eine Stunde her, seit dem Stillen?“ Klein Lilly schreit aus vollem Halse. Schnell ist das Baby auf den Arm genommen. Doch trotz dieser bevorzugten Position denkt die Kleine gar nicht an ein Herunterschalten der Lautstärke. „Na gut!“, denkt Mama: „Dann bekommst du halt zusätzlich jetzt ein Fläschchen. Das wird schon richtig sein.“

Doch diesmal irrt Mami sich!

Es ist leider nicht richtig. Auch, wenn das nächtliche Stillen – im wahrsten Sinn des „still Machens“ – damit natürlich oft leichter geht! Doch jetzt ist einfach nicht die passende Zeit für ein Fläschchen. Und irgendwie spürt das auch das Baby. Doch obwohl der Grund für Ihr nächtliches Geschrei diesmal wohl nicht der Hunger, sondern vielleicht die unerträgliche Hitze in ihrem Bettchen war, beginnt die kleine Prinzessin sich schon jetzt an diesen „außerplanmäßigen“ Fütterungsvorgang zu gewöhnen. Die Fachleute nennen das …

Ersatzbefriedigung

Eines darf ich Ihnen als erfahrener Pädagoge jedenfalls an dieser Stelle versichern: Bis um den 8. Lebensmonat schreit ein Baby niemals ohne guten Grund. Entweder hat es Schmerzen, Ängste, fühlt sich einsam oder einfach unwohl. Aber es kann auch schon ein erster Versuch sein, einfach irgendetwas „extra“ zu bekommen. Grundsätzlich sind es einfach Momente, in denen Zuwendung und Trost gefragt sind.

Was die meisten Eltern aber oft nicht wissen ist, dass Babys in den ersten Monaten noch keine Zeitvorstellung wie wir haben, weshalb sie eben noch nicht wissen, dass die Welt nicht gleich untergeht, wenn sie ein paar Augenblicke auf Mama oder Papa warten müssen. Sie wollen eben gleich befriedigt werden. „Sofort her mit dir, oder ich schreie alle Nachbarn zusammen!“ In dieser Phase ist es egal, woher die Befriedigung kommt. Kinder rechnen nicht mit der Zeit, daher ihre langen und gründlichen Beobachtungen.

Klar kann für Geschrei zu den unmöglichsten Zeiten auch zuweilen Hunger ein guter Grund sein. Doch eben nicht immer. Eltern, die dies jedoch von vornherein annehmen und die Sache mit sofortiger Fütterung zu lösen versuchen, können so die Nahrungsaufnahme rasch zu einer dauerhaften Ersatzbefriedigung erheben, die dann rasch immer öfters eingefordert wird. Auch, wenn gar kein Hungergefühl besteht.

Nicht nur, dass so die Neigung entsteht, auch im späteren Alter das Essen als Befriedigung für manches kindliche Unwohlsein einzusetzen. Auch das Einhalten und Akzeptieren von Regeln und Strukturen wird so vielleicht bei manchem Halbwüchsigen schwieriger.

Grenzen oder Strukturen?

Ein Baby braucht und versteht natürlich noch keine Grenzen und Regeln! Dafür aber nimmt es sehr dankbar einen gut geregelten Tagesrhythmus an, der sich noch besser einprägt, wenn hinter jeder Tätigkeit ein bestimmtes leicht erkennbares Ritual verborgen liegt. Im Falle der Mahlzeiten wäre mein Tipp: Ein bestimmtes Geräusch, zB ein sanftes Klingeln, Rascheln, usw., bevor die Stillzeit beginnt. Oder ein zeremonielles, längeres Einrichten der Sitzposition bevor die Nahrungsaufnahme beginnen kann, eine bestimmte leise Melodie zum entspannten Nuckeln, oder Ähnliches. Am meisten prägt sich zu einer bestimmten Tätigkeit übrigens ein typischer Umgebungsgeruch ein. Dann weiß Baby: „Jetzt ist Essenszeit, Spielzeit, Zeit zum Krabbeln, zum Baden, später Zeit für den Topf.“ Im späteren Zusammenleben und in erzieherischen Dingen wird Ihnen die frühe Einhaltung solch klarer Abläufe sehr entgegenkommen, und das Setzen von Grenzen wird ganz ent spannt vonstatten gehen. Jedenfalls können Eltern mit der möglichst frühen Einführung von spürbaren Strukturen und gleichen Abläufen, vor allem mit ihrer „richtigen Reaktion“ auf Babys Schreien einen erzieherischen Grundstein für einen guten Start ins Leben legen.

Eindeutigkeit und Regelmäßigkeit sind sozusagen die „LightVersionen“ späterer Regeln und erzieherischer Grenzen.

Konsequent sein?

„Konsequenz im ersten Lebensjahr heißt also vor allen Dingen: möglichst regelmäßige Essens und Schlafenszeiten, viele Rituale und so oft es geht dabei eine vertraute Umgebung. Aber bestimmt nicht, einen Säugling einfach schreien zu lassen, wie man des Öfteren hört. Eine britische Studie hat sogar bestätigt, dass weinende Säuglinge, die in den ersten Lebenswochen beim ersten Laut getröstet werden, in den darauf folgenden Monaten um die Hälfte weniger weinten, als jene Kinder, deren Eltern eher spät reagierten.

Seien Sie also schon bei Ihrem Baby konsequent, indem Sie zwar reagieren, aber auch klarstellen – und durchhalten, dass es jetzt eben für ganz bestimmte Dinge nicht die passende Zeit ist. „Alles zu seiner Zeit“ eben!

Foto: Jo Tunney/Shutterstock.com





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