Der Weg zurück zur Lust

Am Anfang jeder Beziehung ist Sex kein Thema. Gesellt sich der Kinderwunsch dazu bekommt, wird aus der Lust schon mal die Last. Junge Mütter wiederum reagieren auf einen Verführungsversuch oft so interessiert wie ein Meerschweinchen auf Wiener Schnitzel.

 

“Na? Geht’s wieder gut? Feinen Sex gehabt?” Die Frage meiner allerbesten Freundin war begleitet von einem fröhlich schmuddeligen Seitenblick. Sie hatte natürlich wie immer Recht: Mir ging es gut. Aber das mit dem “feinen” Sex, das war übertrieben. Stark übertrieben sogar. Es sei denn, man bezeichnete unsere “Null-Lust-Lösung” als fein.

Am Anfang der Beziehung ist Sex meist kein Thema – keines jedenfalls, über das man theoretisch diskutiert: Die Praxis macht mehr Spaß. Sobald sich allerdings der Babywunsch meldet, hat die sexuelle Leichtigkeit oft schon ein paar Bleifüßchen bekommen.
Ein Blick auf den Kalender: “Heute ist der richtige Tag!”, tötet die Lust gelegentlich schneller als die Vorstellung von Mr. Bean im Stringtanga. Trotzdem: Es ist ja für den guten Baby-Zweck. Und wenn dann die Mühe – wer von Ihnen hätte zu Beginn einer Beziehung jemals gedacht, dass Sexualität zur Mühe werden kann? – von fruchtbarem Erfolg gekrönt ist, trocknet das Liebesleben bei vielen Paaren oft noch weiter aus.

“Mir tat einfach alles weh”, erinnert sich Ulli an ihre Schwangerschaft. “Und abgesehen davon: Ich war auf die Schwangerschaft konzentriert. Viel Platz für etwas anderes war da nicht in meinem Kopf.”

Und viel Platz lässt einem auch der Körper nicht: Es wird mühsam. Alles. Jede Bewegung – und auch die Unbeweglichkeit. Nicht gerade die beste Voraussetzung für eine heiße Nacht, oder? Franz, seit fünf Jahren mit Ulli verheiratet, stimmt zu: “Für mich war das irgendwie eine Ausnahmesituation – schließlich hatte ich auch ein bisschen Scheu, dass unser Kind etwas davon mitbekommen könnte, wenn wir miteinander schliefen.

Und ich wusste natürlich: Wenn das Baby da ist, dann wird es wieder anders. Dann kann Ulli wieder meine Geliebte sein.” Ein Wissen, das höchstens unter den Begriff “Hoffnung” fällt – denn nach der Geburt, da ist der Sexualtrieb so ziemlich das Letzte, was es zu befriedigen gilt.

Aller Anfang ist lustlos…

Nun, all das ist ja wohl nichts Neues – und auch die Wochenbettphase, die nach der heutigen medizinischen Ansicht mindestens sechs bis acht Wochen dauert, ist ja nicht als besonders lust-intensiv bekannt, klar. Doch warum reagieren junge Mütter oft auf einen Verführungsversuch so interessiert wie ein Meerschweinchen auf Wiener Schnitzel? Nun, die Gründe dafür sind ziemlich vielschichtig. Dr. Gertrude Katta, Psychologin, Familien- und Paartherapeutin, ist beruflich sehr intensiv mit dem Themenkomplex befasst: “Erst einmal, ganz vordergründig, beansprucht natürlich das Baby mit seinen noch arhythmischen Bedürfnissen fast mehr als 100 Prozent seiner Eltern.” Stimmt – wer vor Müdigkeit gegen Türstöcke läuft, der findet nichts mehr erotisch. Außer vielleicht den Gedanken an traumlosen Schlaf.

“Gleichzeitig verändert sich der Körper der Frau, der in den 40 Wochen davor Enormes geleistet hat, in einem rasanten Tempo hin zu einer neuen Stabilität.” Stimmt auch – von “schwanger” zu “unschwanger” knipst der Körper beinahe so schnell, wie man einen Schalter umlegt, und das ist ungefähr so anstrengend, wie mit Tempo 100 gegen eine Mauer zu knallen. Die Folge ist fast in jeder Zelle des Mutterkörpers zu spüren – und auch in jeder Gehirnzelle.

Der Hormonhaushalt einer Stillenden ist nicht ganz so auf Sex eingestimmt wie der einer nicht stillenden Frau – logisch und von der Natur so eingerichtet, damit eine neue Schwangerschaft nicht das “alte” Baby gefährdet.

Außerdem, gar nicht so angenehm, übrigens, dass auch wenn – und falls! – ein paar Pfund überflüssiges Fett wieder verschwunden sind, die Silhouette doch ein bisschen anders aussieht als zuvor: Eine Schuhgröße mehr, vielleicht, ein etwas breiteres Becken, die Haut fühlt sich anders an und das Haar ist möglicherweise deutlich lockiger als vor der Schwangerschaft. “Der ‚etwas andere’ Körper will erst einmal wieder geliebt werden, und zwar von der Frau selbst – Männer haben mit den Veränderungen ihrer Partnerin ja meist keine Probleme.

Der Knackpunkt liegt eher in der Selbstwahrnehmung der Frau. Oft hat sie den Eindruck, dass die Mutterschaft ihre Sexualität ersetzt. Und der ,neue’ Körper will auch das Fühlen wieder neu entdecken”, weiß Gertrude Katta. Und wieder hat die Psychologin leider Recht. Schön, wenn Catherine Zeta-Jones aus jeder Schwangerschaft noch wunderbarer als zuvor schlüpft: Weniger schön vermutlich die vielen Narben, mit denen sie für ihren Designerkörper zahlen muss.

Verhütungsmittel Elternschaft

“Und schließlich ist auch in der Ehe selbst nach der Geburt eines Kindes fast kein Stein auf dem anderen geblieben: Die neue Rolle als Eltern muss erlernt werden. Die Konzentration darauf drängt die alte Rolle als Liebende leider oft in den Hintergrund.”

Versetzen Sie sich in diese Situation: Der Abendstress mit Füttern-Baden-Wickeln-Gutenacht-Ritual flaut ab. Baby schnauft sich zufrieden in den Schlaf, Mutter schnauft geschafft ins Bett, streckt ihre erschöpften Brustwarzen an die Frischluft und versucht den Geruch des Windeleimers aus dem Gedächtnis zu drängen.

Und dann Vaters dunkle Stimme: “Komm ein Stückchen näher, mein Schatz, ich brauche deinen Körper…” Nun, vergessen Sie’s. Dieser Mann kann von seiner Frau bestenfalls eines ernten: Einen verwirrten Blick. Wenn er Glück hat, jedenfalls. Und wenn sie ein ganz besonders höflicher Mensch ist.

Und dann wären da noch die Tipps der ganzen Welt rund um unser sexloses Paar: Ratschläge, gut und sicher teuer aus der Pharma- und Kosmetikindustrie, billiger und auch nicht schlecht aus Ratgebern und Foldern, gratis und ganz bestimmt nicht weniger wirkungsvoll von Freunden, die diese nachgeburtliche Sexdürre schon wieder hinter sich haben.

Der Weg zurück zur Lust

Wichtig ist eines: Es gibt kein Zu-spät-für-Sex. Und eigentlich auch kein Zu-früh-für-Lust nach der Geburt. Die Medizin empfiehlt schon etwas Zurückhaltung in der Zeit des Wochenflusses: Allerdings nicht, weil die Lochien so infektiös wären, sondern weil eine Blutung ein Zeichen dafür ist, dass die Geburtswunde in der Gebärmutter noch nicht ganz verheilen konnte. Kein Grund für generellen Lustverzicht – aber durchaus ein Grund, allzu wilde Ideen erst einmal nur in der Fantasie auszuleben. Nach dem Wochenfluss, ungefähr sechs Wochen nach der Geburt, hat aber nicht einmal der strengste Gynäkologe etwas gegen Sex einzuwenden, ab diesem Zeitpunkt entscheidet nur noch das Paar. Wenn auch beinflusst von den Hormondrüsen.
Ganz so einfach – hopp und schwupp! – geht es aber meist nur in der Theorie. Denn Geburtsverletzungen, Risse, Schnitte, Nähte und Narben, halten sich nicht an die Sechs-Wochen-Frist. Sie tun weh. Monatelang. “Ich war außen und innen gerissen”, schildert Claudia, “die Wunden verheilten zwar rasch, aber die Narben waren einfach viel weniger elastisch als das andere Gewebe.” Und es tat schon weh, wenn Claudia nur an Sex dachte. “Letztendlich konnte mir aber mein Arzt helfen, die Narben wurden mit ‚weich machenden’ Medikamenten behandelt.” Zähne zusammenbeißen, ewig leiden und Sex nicht mehr mögen, das ist also sicher keine Lösung – Ihr Arzt hat eine Reihe besserer Möglichkeiten zu bieten.

“Doch irgendwann – und das kann bei einem Paar zwei Monate dauern, bei einem anderen sechs und bei einem dritten ein Jahr – erinnern sich Kopf und Körper daran, dass der Mensch ein sexuelles Wesen ist. Und so schön das ist: Plötzlich gibt es da manchmal eine Hemmschwelle. ‚Wie sollen wir nach so langer Zeit geringen Interesses nur wieder mit Sex anfangen?’” Die Paartherapeutin hat diese Phase bei vielen Eltern erlebt. “Da helfen zwei Strategien: Langsame Annäherung oder der Sprung ins kalte Wasser.”

Strategische Erotik

Irgendwann also, das verspricht die Psychologin, das erzählen erfahrene Eltern und das bestätigt auch der gesunde Menschenverstand, irgendwann tauchen in einem Winkel unseres Kopf dann auch wieder nicht ganz jugendfreien Ideen auf. Und auch wenn man – und frau! – vielleicht monatelang nach der Geburt den Anblick des nackten Partners nur mit einem besorgten: “Ist dir denn nicht kalt?” quittiert hat, werden ganz allmählich die Gedanken wieder konkreter und erotischer.

Und dann ist die Zeit reif für Plan A: Ein bisschen Flirten. Ein paar Berührungen, jeden Tag eine mehr. Ein neues Badeöl? Probieren Sie es aus! Am besten zu einer Zeit, in der der Partner auch mitbekommt, dass ein genussreiches Badefest vorbereitet wird. Und wenn das nicht ausreicht?

Dann Plan B, der direkte Weg: Planen Sie einen Abend für sich allein, mit Babysitter und Rückkunft erst, wenn Ihr Kind schläft. Erleben Sie einander wieder einmal als Partner – möglichst in einem anderen Rahmen als dem gewohnten. Wenn Sie sich trauen: Ein Wochenende, wenigstens aber eine Nacht in einem Hotel, das wäre ideal für eine neue alte Liebesgeschichte.

Das funktioniert bei Ihnen auch nicht? Nun, dann hilft nur noch eines: Schubsen Sie Ihren Partner ins Schlafzimmer, lassen Sie ihn aufs Bett stolpern und schlüpfen Sie gemeinsam unter die Decke. Und auch wenn das Erste-Mal-nach-dem-Baby nicht gerade Höchstwerte am Erotikbarometer erreicht – das hat ein erstes Mal doch an sich. Denn Lust will geübt sein. Im Kopf und im Bauch.

 

Foto: Pixabay/Klaus Hausmann

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