Drüber Unschuld, drunter Sünde – das Dessous

Am Anfang war das Feigenblatt, im Biedermeier folgte die Tortur namens Korsett. Die Kulturgeschichte des Dessous hat viele Facetten – eines jedoch ist gewiss: Das Verhüllen ist ein Spiel, das sich durch viele Bereiche unseres Lebens zieht. Ein Essay.

Eigentlich ist Sex ja eine ziemlich neumodische Erfindung: Viel jünger, zum Beispiel, als ein Berg oder ein Meer. Und viel jünger auch als die Erfindung der Verdauung oder der Atmung.

Sex ist allerdings älter als die Entwicklung des Gehirns. Was, Sie meinen nun, das würde ja vieles erklären???

Im Anfang war kein Sex

Im Ursprung, da teilten sich Zellen eben, wann und wo sie Lust hatten: Das war effizient. Sie brauchten keinen Partner, verschwendeten nicht wertvolle Lebenszeit mit Anbaggern, Vorspiel und Frühstück danach und hatten immer die Garantie, dass ihre Kinder sie verstehen würden – waren ja exakte Kopien ihrer Elternzellen. Doch eines Tages, da beschlossen zwei Zellen sich zu vereinigen. Schwupp. Das war’s. Von nun an hieß das Sex.

Ergonomisch war das ja nicht gerade. Und so musste sich die Natur wohl etwas ausdenken, das Einzeller, Mehrzeller, Vielzeller und auch Gehirnbesitzer dazu brachte, es trotz aller Nachteile immer wieder zu tun. Seitdem macht Sex Spaß. Und die Menschheit bemüht sich fast kollektiv seit Jahrtausenden herauszufinden, wie man den Spaß noch ein bisschen fröhlicher machen kann.

 

Und was wäre da besser geeignet als Verpackung?

Die Urform war natürlich das Feigenblatt: Jeder weiß, was darunter ist, aber anschauen kann es keiner. Gertrude Katta, Diplompsychologin, erklärt: “Das Verhüllen ist ein Spiel, das sich durch viele Bereiche unseres Lebens zieht. Denken Sie an Geschenkverpackung, an die Masken beim Venezianischen Karneval, einen Theatervorhang oder auch an den Jogurtbecher.

Natürlich ist es uns schon vorher klar, dass eine Schachtel Pralinen in dem Packerl steckt, dass unter einer Maske auch nur Augen, Mund und Nase zu finden sind, hinter dem Theatervorhang Bühnenarbeiter werken – und wie Erdbeerjogurt aussieht, wissen wir auch. Aber das Verschleiern weckt unsere Fantasie. Und es spannt unsere Vorfreude noch ein bisschen auf die Folter.” Fantasie und Spannung! Zwei Komponenten, die doch schon viel versprechend klingen!

Das fanden auch die Modemacher des 19. Jahrhunderts: Denn damals, im Biedermeier, da bastelte man und frau erfolgreich an einer niedlichen Scheinwelt, in der ihre Fantasie lebte. Saubere Fantasie, natürlich. Mit Sex hatte die gar nichts zu tun. Außer vielleicht, dass sie das Korsett zur Welt brachte: Ein Spielzeug, das auch im 21. Jahrhundert noch in unseren Köpfen – und vielleicht auch auf unseren Körpern – seinen Platz hat.

Wespentaille, hochgequetschter Busen, eine Konstruktion, die sehr eng und sehr steif saß und sitzt. Nun, außer dem praktischen Aspekt, dass so mancher Bauchansatz einfach verflacht: Sehr weiblich ist es schon. Und auch wenn Sie mit Ideen über Lack und Leder nicht allzu viel anfangen können, so ein Torselett zum Beispiel, das sieht besonders unter festlicher Kleidung ziemlich gut aus – auch unter einem Hochzeitskleid, oder?

Denn gerade hier passt das symbolträchtige Dessous mit all seinen unterbewussten Einsatzmöglichkeiten auch besonders gut hin. Das doch etwas steife Gefühl lässt frau Haltung bewahren und immer daran denken, dass der Anlass ziemlich öffiziös ist. Drüber Unschuld, drunter Sünde: Auch wenn die Hochzeitsnacht meistens keine Premiere darstellt – etwas Besonderes darf sie schon sein!

 

Untendrunter

Doch warum so viel Aufwand für etwas, das frau ohnehin meist nur selber sieht? Dr. Gertrude Katta weiß wieder die Antwort: “Ganz genau darum geht es doch! Wenn Sie schicke Unterwäsche tragen, dann wissen Sie das auch. Und strahlen viel mehr Sex aus als mit Baumwoll-Feinripp.

Was noch dazukommt: Sie wissen, dass kein anderer weiß, wie sündig Ihre Dessous aussehen. Ein kleines Geheimnis, ein Spiel mit Verbergen und Verstecken – ein bisschen Erotik für den ganzen Tag.” Ganztagserotik, ein gutes Stichwort! Denn Dessous-Hersteller denken natürlich in erster Linie an Frauen – und verwenden Materialien, die nicht nur erotisch aussehen, sondern sich auch danach anfühlen. Sicher, Unterwäsche ist dann gut, wenn man sie nicht fühlt.

Aber das gilt natürlich nur fürs Kneifen, Scheuern oder Rutschen. Sanft darf sie schon sein. Und kuschelig, seidig, glatt oder weich. Denn die Tage von Fischbein, Spiralfedern oder eingeschlagenen Metallösen sind für die meisten Menschen – zumindest im Alltag – doch vorbei. Obwohl: “Unterwäsche, die nicht weh tut, sondern nur etwas fester oder strammer sitzt, ist für viele Frauen sehr angenehm. Sie gibt Halt. Und das wirkt sich manchmal auch angenehm auf Alltagssituationen aus.”, ist sich Frau Dr. Katta sicher. Schön, wir wissen jetzt: Scheitert die Gehaltsverhandlung mit dem Chef, ist der BH schuld. Beruhigend irgendwie, oder?

Apropos BH: Natürlich die Krone der Dessous. Und gar nicht so leicht einzuordnen, wann seine Geburtsstunde schlug: Immerhin gibt’s mehrere Patente zwischen 1884 und 1914, die “Brusthalter” verschiedener Designer und findiger Wäschemacher schützten.

Zwei Trendlinien allerdings, die ließen sich schon ausmachen: Da gab es einerseits die Methode, zwei Baumwollkappen am Gürtel festzumachen und sie dann am Hals durch Bänder zu fixieren: Geschaffen einerseits für die brave Hausfrau, die ihre Arbeit damit besser erledigen konnte und andererseits für Damen aus der Gesellschaft, die besonders dünne Kleider trugen, durch die man sonst das sündige Korsett zu sehen bekam.

Die zweite Trendlinie war einfach zweifach: Damit auch nichts dem Zufall überlassen blieb, trug man unter dem Korsett eben noch ein zweites, das sich aber nicht in erster Linie der Taille, sondern dem Busen widmete. Wie auch immer: Der “Allgemeine Verein für die Vereinfachung der Frauenkleidung” hatte so vor einem Jahrhundert zwar berühmte Unterstützer wie Gustav Klimt und Dauerfreundin Emilie Flöge – Sie kennen doch deren wehende Reformkleider! – aber wenig Erfolg. Denn die Frauenwelt blieb im Korsett. Und sie stopfte sich ihre Brusthalter nun mit einer Busenattrappe aus.

 

Mogelpackung Wonderbra

Erinnert Sie das nicht an etwas? Selten sind BHs auch heute nur einfach zwei gewölbte Dreiecke am Band. Die meisten existieren zumindest auch in der Variante “selbstrundend”. Mehr oder weniger dicke und steife Schaumstoff- oder Kunststoffeinlagen verleihen den perfekten Busen – auch dort, wo gar keiner ist.
Den Gipfel des Erfolges aber erklomm 1994 ein Wunder der Ingenieurskunst: Der Wonderbra verschaffte über Nacht Millionen von Frauen die begehrte Furche zwischen den Brüsten. Ein Mr. Canadelle aus Kanada tüftelte und puzzelte 42 Stoffteilchen so zusammen, dass der Super-BH nun auch zusammenquetschte und rundete, was gar nicht vorhanden ist – heute gibt’s schon Modelle, bei denen man den Quetschgrad und so die Dekolletegröße variieren kann.

Aber auch wenn – no na! – ein Mann den ersten Wonderbra zurechtgeschnitzt hat: Die Idee dazu kam schon viel früher. Und zwar von einer Frau. Marilyn Monroe, Sex-Symbol der 50er, konstruierte sich bereits vor 50 Jahren selbst ihre BHs. Solche natürlich, die hochrückten und spitzformten, was noch jahrzehntelang die Männerwelt zum unruhig Träumen brachte. Allerdings waren die Büstenformer der guten Marilyn Gestelle, die aus Drähten, Verschnürungen und Ösen bestanden.

That’s Showbiz. Schließlich: MMs Dessous waren für untendrunter gedacht, sicher nicht zum Herzeigen!

Gar nicht so viel später, in den späten 60ern, da hätte Marilyn Monroe allerdings vermutlich die Welt nicht mehr verstanden: Denn die brannte gerade wieder einmal. Und als Unterzündmaterial der Feuer mussten die BHs herhalten. Die Stundentenrevolten brachten auch eine neue Welle des Feminismus made in the Sixties mit sich.

Die bestand eben darauf, dass Männer und Frauen gleich sein müssten: Bis ins Herz. Bis ins Mark. Und bis zum BH. Wer ein bisschen mehr Busen vor sich herwogen ließ, der hatte eben ein paar Schwierigkeiten beim Sport. Und meistens aufgescheuerte Brustwarzen. Aber was zählte das schon? Kein Wunder, dass sich flachbrüstige Ladys durchsetzten: Twiggy zum Beispiel. Und schwupp: Der BH stand wieder auf. Denn wie sonst hätte sich die Normalfrau ihren Busen so weit einschnüren können, dass er eine theoretische Ähnlichkeit mit Twiggys Minibrüstchen aufwies?

 

Und heute – Rückschritt des Feminismus?

Kaum. Nur – Frauen haben gelernt ihren Körper auch einfach nur für sich ganz allein schön zu finden. Und sie schmücken ihn eben auch mit Wäsche. Wenn ein Mann den feigen Hund, der seine Magengrube bewohnt, an die Kette legt, dann traut er sich vielleicht auch einmal, seiner Partnerin ein paar schöne Dessous mitzubringen.

Aber eines sollte ihm halt schon klar sein: Wenn sie sie trägt, dann nicht unbedingt für ihn. Denn er will ja doch meist bloß eine Verpackung, die zum Auspacken reizt. Für sie ist Verpackung Lebensart. Und die will auch sexy sein. 24 Stunden lang.

 

Foto: pixabay Philip Stauts

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