„Ein Baby? Damit warten wir noch!“

Kinderkriegen in den Zwanzigern hat bald Seltenheitswert. Warum unsere Gesellschaft späte Mütter schafft, was wir davon haben, welche Probleme, das mit sich bringen und welche Vorteile eine späte Elternschaft haben kann.

 

Ein Blick in die Runde der versammelten Mamas am Spielplatz, im Freibad oder beim Elternabend bestätigt den gesellschaftlichen Trend: Beinahe jede zweite Mutter ist bei der Geburt ihres Kindes über 30. Wesentlich über 30 in vielen Fällen! Sie sind aktiv. Sie sind erfolgreich. Sie haben zunächst einmal ihr Leben gelebt, um jetzt ihr Wunschkind zu bekommen. Spricht etwas dagegen? Ist das ein neues Phänomen? Schaffen es „dann“ noch alle?

Fakten

Die Frau von heute lebt länger. Bekommt ihr erstes Kind später. Meist bleibt es auch bei diesem einen. Und noch einiges mehr erzählt uns die Statistik übers Kinderkriegen: Während die Anzahl der Babys, die jährlich auf die Welt kommen, auf niedrigem Niveau vor sich hin stagniert, steigt das Alter ihrer Mamas. Es sind vor allem die Gruppen 35plus bzw. 40plus, die massiv zugelegt haben. Dass Frauen jenseits der 35 Kinder bekommen, ist allerdings kein neues Phänomen.

1965 – zu einer Zeit, als bzw. bevor unsere eigenen Mütter schwanger waren – wurden absolut gesehen sogar wesentlich mehr Kinder von Mamas der Generation 35plus geboren. Das liegt einfach daran, dass damals fast 70 Prozent mehr Kinder auf die Welt kamen: knapp 130.000 pro Jahr. Zum Vergleich: Heute sind es rund 78.000. Seit Mitte der 70er-Jahre findet eine anteilsmäßige Verschiebung statt. Das Gebären übernehmen die Älteren. Anders ausgedrückt: Das Alter der Frau bei der Geburt des ersten Kindes steigt kontinuierlich. Nach einer Erhöhung um fast dreieinhalb Jahre während der letzten beiden Jahrzehnte liegt es aktuell bei 27,5 Jahren. Allerdings: Das Feine am Leben ist, dass Statistiken zwar für die Bevölkerungsgesamtheit interessant sind, für das Individuum – so auch für das weibliche – jedoch eine endenwollende Aussagekraft besitzen … erkennbar allein schon an der Schwierigkeit, die aktuelle durchschnittliche Anzahl von 1,4 Kindern zu bekommen!

Wie früh beginnt die späte Mutterschaft?

Weil sich die Statistik mit dem Kategorisieren leichter tut, wurde hier bisher mit 35plus oder 40plus hantiert. 35 ist überhaupt eine magische Altersgrenze, die sich in der medialen Diskussion hält. Aber: Ab welchem Alter wird man mit der Geburt seines Kindes nicht nur Mutter, sondern späte Mutter? Dr. Peter Husslein, Vorstand der Universitätsfrauenklinik in Wien, meint, die Zahl 35 sei „zu vergessen“, weil völlig willkürlich; und aus einer Zeit stammend, da gerade mal jede 20. Gebärende über 35 war. Damals wurde eben irgendwo ein Strich gezogen. Heute ist es bald jede Fünfte. Tendenz: stark steigend.

Warum  sich Frauen mit dem Kinderkriegen Zeit lassen

Biologische Tatsache ist: Es wäre besser, ein Kind mit 24 denn mit 38 zu bekommen (um zu Illustrationszwecken wiederum willkürliche Altersangaben zu nennen). Zu diesem Zeitpunkt ist es aber durchaus auch vernünftig und erstrebenswert, an Ausbildung und Berufserfahrung zu denken. Ein Dilemma, das zu lösen jungen Frauen in unserer Gesellschaft nicht unbedingt leicht gemacht wird. Carl Djerassi, mittlerweile 83-jähriger Erfinder der Antibabypille, meint dazu: „Wenn junge Mutterschaft entsprechend gelebt werden kann, werden Frauen auch früher Kinder bekommen.“ (Profil, 21. Mai 2007) Aber es geht um mehr, als dem (potenziellen) Nachwuchs einen optimal gebärfreudigen Körper und taufrisches Gen-Material zur Verfügung zu stellen. Nicht unwesentlich für das weitere Leben sind die Umstände, in die man hineingeboren wird. Die aber sind bei 24-jährigen Frauen, um beim Beispiel zu bleiben, und deren eventuellen Partnern heute meist (noch) nicht auf Nestbau ausgerichtet. Wie war das bei Ihnen Anfang 20? Hatten Sie einen festen Partner? Kindesvatertauglich? Hatten Sie eine abgeschlossene Ausbildung? Eine eigene Wohnung? Finanzielle Absicherung? Karriere-Ambitionen? War Kinderkriegen mehr als ein fernes Zukunftsszenario? Späte Mutterschaft (so wie auch Kinderlosigkeit) ist selten bewusst gewählt, sondern eine Reaktion auf Lebensbedingungen – das hat das Österreichische Institut für Familienforschung der Universität Wien herausgefunden. So ergibt sich aus ihren Biografien, dass Frauen oft erst nach dem 30. Geburtstag

• bestens ausgebildet und beruflich etabliert sind,

• den richtigen Partner gefunden bzw. ihn überzeugt haben,

• sich „alt genug” fühlen, nachdem sie ihre Jugend genossen haben,

… und das Projekt Nachwuchs starten. Diese „Individualisierung” der Gesellschaft – und damit jene der Frauenleben – stößt durchaus auch auf kritische Stimmen: „Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten, nur weil es seit 30 Jahren unserem Lebensgefühl entspricht, ein anthropologisches Programm außer Kraft setzen, das seit 30.000 Jahren läuft“, sagt Heribert Kentenich, Chefarzt und Gynäkologe in Berlin. (Wirtschaftswoche, 9. Juli 2007)

Was ist das Problem dabei?

Ab 30 wird es schwieriger. Nicht immer. Nicht genau per Stichtag. Nicht für jede Frau. Aber eben tendenziell. Das beginnt mit dem Schwangerwerden: Die weiblichen Eizellen sind beim Mädchen von Geburt an angelegt. Nach 37 Jahren („Hausnummer”, wieder einmal) haben sie solidarisch alle Krankheiten und Umwelteinflüsse mitgemacht und sind gealtert, was ihre Qualität nicht verbessert und im Befruchtungsfall das Einnisten in der Gebärmutter erschwert, erklärt Dr. Suat Parta vom Kinderwunschzentrum Heidelberg. Die Fruchtbarkeit der Frau nimmt ab 35, 40 – je nachdem, wo man nachliest – massiv ab. Man spricht von einer nur noch zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit pro Zyklus, schwanger zu werden. Andererseits – davon zeugen seit jeher alle Nachzügler-Nesthäkchen – werden viele Frauen genauso einfach oder auch unerwartet schwanger wie 15 Jahre jüngere Fruchtbarkeitsgöttinnen. So oder so: Einmal schwanger, sieht sich eine Frau, die nicht nur guter Hoffnung, sondern auch schon guter Lebenserfahrung ist, mit einer mit dem Alter zunehmenden Wahrscheinlichkeit von sämtlichen Schwangerschaftsproblemen und -komplikationen konfrontiert:

• Schwangerschaftsdiabetes
• Bluthochdruck
• Plazenta-Insuffizienz (Gefahr der Unterversorgung des Babys)
• Schwangerschaftsgestose (Vergiftung): Ab 35 verdoppelt sich die Wahrscheinlichkeit von 1–2 auf 3–4 Prozent. (Profil, 21. Mai 2007)
• Innere Blutungen
• Thrombosen
• Myome: Muskelknoten in der Gebärmutter, die gutartig sind, Befruchtung und Schwangerschaft aber erschweren können.
• Chromosomenstörungen: z. B. Trisomie 21 (Down-Syndrom). Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind mit Down-Syndrom geboren wird, beträgt 1:100 ab 35 bzw. 1:50 ab 40. (Profil, 21. Mai 2007)
• Kaiserschnitt-Risiko: Das liegt aber oft eher in der vorauseilenden Vorsicht der Ärzte begründet denn in handfesten medizinischen Ursachen. Natürlich gibt es neben dem Alter noch andere Einflussfaktoren. Auch solche, die sich (im Moment) beeinflussen lassen: Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum etc.

„Pro Age“

So eine ältere Mama kann ihrem Kind einiges bieten, was in jugendlicheren Jahren vielleicht weniger verbreitet ist:

• Festigkeit in ihrer Person und Rolle
• Toleranz
• Ruhe und Gelassenheit
• Ganz bewusstes Erleben und Da-Sein
• Finanzielle Sicherheit
• Erfahrung

Es wird ihr auch nachgesagt, dass sie sich gesünder ernährt, besser auf Schwangerschaft und Geburt vorbereitet und in der Vorsorge besonders gewissenhaft ist. Wie der Verhütungspionier Carl Djerassi meinte: „Elternsein erfordert Weisheit“. (Profil,  Mai 2007) Und die setzt wohl einen gewissen Erfahrungsschatz voraus.

Pränataldiagnostik: Kinderwunsch mit Sicherheitsnetz?

Wie alt auch immer die Schwangere ist: Im Mutter-Kind- Pass sind zwei Ultraschalluntersuchungen vorgesehen. Die meisten Frauen unternehmen viel mehr in Sachen vorgeburtlicher Diagnostik; teils sehr bewusst, teils nicht wissend, dass es ihre freie Entscheidung ist und keine Verpflichtung. Wie Peter Husslein erklärt, hat sich das Screening auf chromosomale Besonderheiten (z. B. Trisomie 21) sehr verbessert. Früher wurde ab 35 generell eine Fruchtwasserpunktion (Amniozentese) durchgeführt bzw. empfohlen. Damit wurden viele Frauen punktiert (und dem inhärenten Fehlgeburtsrisiko ausgesetzt), aber nur 35 Prozent der Trisomien entdeckt. Heute ist das Selektionskriterium nicht alleine das Alter, sondern der so genannte Combined-Test. Und zwar für Schwangere jeden Alters. Er ermittelt durch die Kombination von Nackenfaltenmessung des Embryos (Ultraschall), Hormonanalyse (Blutabnahme) und Alter der Mutter eine Risiko-Zahl (keine Diagnose!), auf Basis derer dann gegebenenfalls punktiert wird, um ein definitives Ergebnis zu erhalten. Laut Husslein werden so nun 95 Prozent der Trisomien entdeckt. Und dann? „Fast alle Frauen, die das Screening machen, sind zu einem Schwangerschaftsabbruch bereit“, weiß der Gynäkologe. Gedanken darüber, wie man mit einem negativen Ergebnis umgehen würde, sollte man sich also machen, bevor man zum Screening einwilligt. Denn Verpflichtung ist es, wie gesagt, keine. Verpflichtet ist nur der Gynäkologe – nämlich dazu, die Schwangere über die Möglichkeiten, Risiken und eventuell notwendigen Entscheidungen der Pränataldiagnostik aufzuklären.

Vaterschaft

„Und wo bleiben bei der ganzen Sache die Männer?“, mag sich schon die eine Leserin oder der andere Leser gedacht haben. Natürlich sind sie am Phänomen „Späte Mutterschaft” massiv mitbeteiligt. Etwa wenn es darum geht, Lebensbedingungen entsprechend zu formen – oder eben nicht. Als Partner, als Arbeitgeber, als Vorbild. Aber warum redet keiner vom Phänomen „Späte Vaterschaft”? Hat das väterliche Alter keinen Einfluss? Peter Husslein nennt diesen „ziemlich belanglos“, weil einfach der (biologische) Beitrag des Vaters zur Schwangerschaft so gering ist im Vergleich zur Mutter. Na dann: auf dass sein sozialer und emotionaler Beitrag das wettmacht!

Zukunftsszenario

Wie wird diese Entwicklung weitergehen? Wird das gesellschaftliche Klima familienfreundlicher und so jungen Frauen Lust machen, früh Kinder in die Welt zu setzen? Werden sich unsere Kinder mittels Reproduktionsmedizin völlig altersunabhängig fortpflanzen (wollen)? Man wird sehen … Laut aktueller Jugendwertestudie des Österreichischen Instituts für Jugendforschung wollen 93 Prozent der 16- bis 24-jährigen Jugendlichen einmal Kinder haben. Der beste Zeitpunkt dafür wird auch dann der sein, den sie selbst für den besten Zeitpunkt halten!

Mag. Barbara Windisch

u_2014_n_08_2022

Foto: Sujetbild – pixabay/Hermann & F. Richter

Related Stories
Search Posts