Viele Eltern sehen den kommenden Monaten mit Unbehagen entgegen: Ihre Kinder sind besonders anfällig für Erkältungskrankheiten. Immer wieder holen sie sich in der kalten Jahreszeit Schnupfen, Husten oder einen Infekt mit Fieber. Experten beruhigen: Diese vermeintliche Krankheitsanfälligkeit hängt fast nie mit einer Immunschwäche zusammen. Häufige Infekte sind in den ersten Lebensjahren völlig normal. Das Immunsystem muss die verschiedenen Krankheitserreger erst kennen lernen und die richtige Immunantwort darauf finden.
Die körpereigene Abwehr ist ein komplexes biochemisches System, es besteht aus Millionen von Zellen und Dutzenden unterschiedlichen Zelltypen. Jede Einzelne dieser Zellen setzt sich wiederum aus tausenden Molekülen zusammen. Vom Zusammenspiel dieser Elemente hängt letztlich ab, ob und wie sich die Immunabwehr gegen eindringende Krankheitserreger durchsetzen kann. Auch ob an sich harmlose Eiweißpartikel wie Birkenpollen eine Immunreaktion und damit eine Allergie auslösen oder ob Abwehrzellen körpereigene Zellen attackieren und damit Autoimmunerkrankungen von Rheumatoider Arthritis bis zu Multipler Sklerose verursachen, wird auf dieser molekularen Ebene des Immunsystems entschieden.
Weshalb die Körperabwehr bei den Menschen unterschiedlich funktioniert, ist wegen der Komplexität des Systems noch nicht zur Gänze erforscht. Erst seit kurzem kann die Wissenschaft dank neuer Technologien einzelne Moleküle der Immunzellen quasi live beobachten und damit die Spielregeln des Systems besser verstehen. Die Forscher hoffen, durch die dabei gewonnenen Erkenntnisse das Immunsystem in Zukunft gezielt beeinflussen zu können.
Bei Infekten spielen vor allem die Fresszellen sowie B- und T-Lymphozyten die Hauptrolle. Die Fresszellen – Makrophagen genannt – bilden quasi die erste Verteidigungseinheit. Sie sind in der Lage, selbst unbekannte Krankheitserreger zu erkennen und quasi zu inhalieren. Diese angeborene Immunabwehr kann einen großen Teil der Infektionen bereits selbst bekämpfen. Allerdings richtet sie gegen Viren, die das Immunsystem noch nicht kennt – und dazu gehören vor allem auch Schnupfenund Grippeviren –, meist wenig aus.
Dafür gibt es eine zweite Verteidigungslinie, die Lymphozyten. Sie erhalten von den Makrophagen Informationen über die Struktur des Eindringlings, sozusagen den Hinweis „Das ist ein Feind, den es zu bekämpfen gilt“. Dieser Lernprozess ist notwendig, damit nicht körpereigene Zellen attackiert werden. Lymphozyten können einmal erkannte Erreger selbst abtöten oder Antikörper produzieren, die sie unschädlich machen. Stehen in kurzer Zeit genug passende Abwehrzellen bzw. Antikörper zur Verfügung, werden die Bakterien oder Viren vernichtet, bevor sie eine Erkrankung auslösen. Beim untrainierten Immunsystem eines Kindes gewinnen allerdings Viren oft die Oberhand – und dann ist die Erkrankung da.
Infektionen sind wichtig
Infektionen sind für das kindliche Immunsystem also eine Art Lernprozess und in gewissem Maß durchaus notwendig. Einmal produzierte Antikörper verbleiben im Körper. Bei einer neuerlichen Infektion kann die Körperabwehr dadurch sofort reagieren und die Bakterien oder Viren rasch bekämpfen. Dass Infekte mit fortschreitendem Alter zwar seltener, aber doch immer wieder auftreten, hängt damit zusammen, dass es unzählige verschiedene Viren gibt. So sind allein mehr als 100 Schnupfenviren bekannt. Grippeviren ändern außerdem ihre Struktur und werden dann vom Abwehrsystem nicht mehr erkannt.
Den Lernprozess des Immunsystems macht sich die Grippeimpfung zunutze. Dabei werden abgetötete Erreger injiziert, das Immunsystem produziert in der Folge Antikörper und ist bei einer Infektion mit den echten Grippeviren in der Lage, sofort zurückzuschlagen und die Krankheit abzuwehren. Neue Untersuchungen zeigen übrigens, dass eine Grippeimpfung das Immunsystem generell belebt und es dadurch auch etwa harmlose Schnupfenviren besser abwehren kann.
Eltern können dazu beitragen, das Immunsystem des Kindes zu stärken. Etwa durch richtige Ernährung. Bei den biochemischen Prozessen der Körperabwehr spielen zahlreiche Vitamine und Mineralstoffe wichtige Rollen. Und nicht nur diese: Kohlenhydrate, Fette und Eiweiß müssen ebenfalls in richtigem Maß aufgenommen werden, damit das Immunsystem leistungsfähig bleibt. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist also Grundlage einer intakten Körperabwehr. Die klassische Regel heißt: fünf Portionen Obst oder Gemüse täglich. Vollkornbrot, Fisch, Fleisch und Milchprodukte sollten ebenfalls nicht fehlen. Eine solche Ernährung hält auch den Verdauungstrakt in Schwung, was sich ebenfalls positiv auf das Immunsystem auswirkt.
Kinder, die sich ausgewogen ernähren, müssten eigentlich keine Nahrungsergänzungen zu sich nehmen. Selbst das im Zusammenhang mit der Immunabwehr viel gepriesene Vitamin C würde dann ausreichend zugeführt werden. Allerdings: Statt des Apfels zur Jause locken Süßigkeiten, das Essen im Kindergarten ist oft auch nicht so, wie es sein sollte, und manche Kids verweigern hartnäckig Obst und Gemüse. Da kann als Vorbereitung auf die Verkühlungszeit die unterstützende Gabe von Vitaminen und Spurenelementen sinnvoll sein. Wichtig für die Immunabwehr sind die Vitamine A, B, C und E sowie das Spurenelement Zink. Kinder sollten aber keinesfalls Vitaminpräparate für Erwachsene nehmen. In Apotheken und Drogerien finden sich speziell auf Kids abgestimmte Präparate.
Bewegung gefragt
Ein gutes Training für das Immunsystems ist ausreichende Bewegung, möglichst im Freien an der frischen Luft. Das gilt auch für Kinder, die anfällig für Infekte sind. Die Temperaturreize härten den Körper zusätzlich ab, durch das Herumtoben werden die Körperzellen besser mit Sauerstoff versorgt. So kommt das Immunsystem auf Touren. Und wie wär’s nach der Bewegung im Freien mit einem Saunabesuch? Der Wechsel zwischen Heiß und Kalt stimuliert den Stoffwechsel und führt zu einer stärkeren Durchblutung der Blutgefäße und der Muskulatur. Das wirkt sich positiv auf die körpereigenen Abwehrkräfte aus. Einen ähnlichen Effekt hat Kneippen … und das können auch kleine Helden: tautreten – ein paar Minuten lang durch das feuchte Gras gehen – im eigenen Garten, die Füße anschließend nur trockentupfen und noch einige Minuten in Bewegung bleiben. Saunen und Kneippen wirkt sich – regelmäßig durchgeführt – erwiesenermaßen positiv auf das Immunsystem aus. Ausreichend Schlaf trägt ebenfalls zu einem starken Immunsystem bei: Etwa 13 Stunden sollten Zweijährige schlafen, im Volksschulalter sind noch etwa zehn Ruhestunden notwendig. Die Psyche ist ein weiterer Faktor, der das Immunsystem nicht unwesentlich beeinflusst. Niedergeschlagenheit, emotionelle Erschöpfung und depressive Stimmung haben meist erhöhte Infektanfälligkeit zur Folge. Zeit, Vertrauen und Liebe tun nicht nur der gesamten Entwicklung der Kinder gut, sie halten auch ihr Immunsystem in Schwung – mitunter besser als eine dicke Wollmütze an gar nicht so kalten Tagen.
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