10 Fragen an den Zwillingsforscher Dr. Andreas Busjahn
fratz&co: Was hat die Zwillingsforschung bereits für unsere Gesundheit getan? Und: Welche bahnbrechenden Erkenntnisse erhofft man sich für die Zukunft?
Busjahn: Das mit den bahnbrechenden Erkenntnissen ist leider nicht so einfach. Forschung ist immer ein eher mühsamer und langwieriger Prozess. Das gilt insbesondere für ein so komplexes Thema wie die Gesundheit. Mit Hilfe von Zwillingsuntersuchungen können wir vor allem für Merkmale wie die Blutdruckregulation oder den Blutfettspiegel, die durch extrem viele Faktoren beeinflusst werden, feststellen, ob es genetische Risikofaktoren gibt. Wenn das nachgewiesen ist, dann können wiederum mit Hilfe von Zwillingen einzelne Gene identifiziert werden, die eine Rolle spielen. Das können dann gern auch einmal mehrere hundert Gene sein, die in die Regulation eingreifen.
Manchmal können Zwillingsstudien aber auch wirklich unsere Ansichten über eine Erkrankung umstoßen: Autismus wurde lange als Folge falschen Erziehungsverhaltens der Eltern angesehen. Zwillingsstudien konnten dann aber ein genetisches Risiko nachweisen.
Zwillingsstudien können auch bei der Bewertung von Nahrungsergänzung eine große Rolle spielen: Es gibt ja immer mehr Nahrungsmittel mit gesundheitsfördernder Wirkung. Ein Nachweis dieser positiven Effekte ist schwierig, wir überprüfen dies mit Hilfe von eineiigen Zwillingspaaren, von denen dann einer das Testprodukt erhält und der andere ein ‚normales‘ Produkt.
fratz&co: Inwieweit sind wir durch die Gene vorgeprägt, inwieweit sind wir durch die Umwelt geformt? Sind die Gene oder die Umwelt dominanter?
Busjahn: Wir kommen nicht als unbeschriebenes Blatt auf die Welt, sondern mit Chancen und Risiken. Nicht für alle Merkmale ist dieser Einfluss der Gene gleich groß, beispielsweise ist unsere Körpergröße sehr stark genetisch vorbestimmt, unser Gewicht ist deutlich stärker auch von Umwelt und Verhalten abhängig. Sowohl für unsere körperlichen Merkmale wie auch für unsere Psyche und das Verhalten gibt es einige wenige Extreme mit überwiegendem Einfluss von Genen oder Umwelt, die meisten Merkmale aber bilden sich aus dem Wechselspiel von Anlagen und Umwelt.
fratz&co: Warum bekommen Spätgebärende eher Mehrlinge?
Busjahn: Hier kann ich eigentlich auch nur spekulieren: Entweder funktioniert die hormonelle Regulation des Eisprungs mit zunehmendem Lebensalter weniger gut oder aber der mehrfache Eisprung ist ein biologischer Ausgleich für die geringere Wahrscheinlichkeit, in höherem Lebensalter schwanger zu werden.
fratz&co: Ist es richtig, dass es eine familiäre Veranlagung für Mehrlingsgeburten gibt? (Stichwort Generationensprung)
Busjahn: Hier müssen wir eineiige und zweieiige Zwillinge getrennt betrachten. Für die zweieiigen Zwillinge gibt es tatsächlich eine familiäre Häufung. Weibliche Zwillinge haben eine größere Wahrscheinlichkeit, auch Zwillinge zu bekommen, männliche Zwillinge können diese Anlage an ihre Töchter vererben. Das führt vermutlich zu dem Mythos des Generationssprungs. Für die Geburt von eineiigen Zwillingen scheint es keine solche Veranlagung zu geben.
fratz&co: Gibt es bei der Entwicklung im Mutterleib Unterschiede zwischen ein- und mehreiigen Zwillingen?
Busjahn: Eineiige Zwillinge können sich eine Placenta und manchmal sogar die Fruchtblase teilen. Solche Zwillinge interagieren schon vor der Geburt, „kennen“ sich also besonders gut. Allerdings besteht hier die Gefahr, dass sich die Nabelschnur des einen Zwillings um den anderen wickelt. Auch eine Verbindung zwischen dem Blutkreislauf des einen Zwillings mit dem anderen kommt vor, ebenfalls ein Risiko. Zweieiige Zwillinge haben diese Risiken nicht, allerdings kann es vorkommen, dass aufgrund genetischer Unterschiede zu Beginn der Schwangerschaft ein Zwilling deutlich schneller wächst als der andere und dieser dann nicht mehr versorgt wird und abstirbt.
fratz&co: Wie ident sind eineiige Zwillinge wirklich?
Busjahn: Eineiige Zwillinge werden manchmal auch als „identische“ Zwillinge bezeichnet, das ist aber nicht korrekt. Schon bei den Genen gibt es Unterschiede im Bereich des Immunsystems. Im Laufe des Lebens sammeln wir alle genetische Veränderungen an (Kopierfehler, Mutationen etc.), dies gilt auch für Zwillinge. Dazu kommen epigenetische Unterschiede, also Veränderungen in der Regulation der Gene. Dies wird besonders deutlich beim X-Chromosom: Frauen haben zwei Kopien, von denen in jeder Zelle eine deaktiviert wird. Bei Zwillingen kann also die eine oder andere Kopie dieses Chromosoms aktiv sein, eine Mutation in diesem Bereich würde dann nur einen Zwilling beeinflussen. Im Verhalten finden sich besonders viele Unterschiede, zum einen durch die unterschiedlichen Einflüsse der Umwelt, zum anderen aber auch als mehr oder weniger bewusste Kontraste und Abgrenzung.
fratz&co: Ist bei Zwillingen das „Ich-„ oder das „Wir-Gefühl“ stärker?
Busjahn: Zwillinge haben durchaus auch den Wunsch nach Individualität. Was für uns „Einlinge“ selbstverständlich erscheint, ist für die Zwillinge ein schwieriger Entwicklungsprozess. Häufig betrachten andere die Zwillinge nur als Paar, Eltern fragen dann: „Was wollt ihr heute anziehen?“ oder „Wie war es bei euch in der Schule?“. Manche Kinder betonen von sich aus das Zwillingsdasein, fühlen sich darin geborgen, für andere ist das ein großes Problem und führt zu Konflikten. Eltern und Erzieher haben hier eine große Verantwortung und es gibt keine absolut geltenden Ratschläge.
Bei zweieiigen Zwillingen ist das „Wir-Gefühl“ nicht ganz so stark ausgeprägt. Durch die Unterschiede im Aussehen werden sie nicht sofort als Zwillinge identifiziert und bekommen nicht die gleiche Aufmerksamkeit wie die eineiigen. Die Hälfte aller zweieiigen Zwillingspaare sind Bruder/Schwester-Paare, hier kommt noch der Geschlechtsunterschied hinzu.
fratz&co: Würde man ein Baby klonen, hätte man dann so etwas wie eineiige Zwillinge?
Busjahn: Wenn sie einen Menschen klonen, also nach der Geburt Zellen entnehmen, dann gibt es ja immer eine getrennte Schwangerschaft für den Klon, hier entstehen dann schon erste Unterschiede. Die Science-Fiction Vision, einen Erwachsenen zu klonen mit all seinem Wissen und seinen Merkmalen ist also wirklich nur Fiktion.
fratz&co: Konnten Sie beobachten, ob es das „unsichtbare Band“ bei Zwillingen tatsächlich gibt?
Busjahn: Vor allem eineiige Zwillinge berichten manchmal von einer „inneren Verbindung“, allerdings gibt es hierfür keinen Beleg. Ich glaube, es gibt hier eine selektive Wahrnehmung, vergleichbar mit der Erfahrung, immer an der falschen Kasse zu stehen. Wenn ein Zwilling spürt, dass es dem anderen schlecht geht, dann wird er anrufen. Ist alles in Ordnung, dann freut man sich und vergisst das Ganze. Wenn dann aber tatsächlich mal etwas passiert ist, dann bleibt dieses „Ich habe es ja gewusst!“ in Erinnerung.
fratz&co: An welchem Forschungsprojekt arbeiten Sie derzeit?
Busjahn: Wir haben gerade untersucht, wie stark unsere Ernährung auf die Regulation der Gene Einfluss nimmt. Bisher hat man immer eher in die andere Richtung geschaut: Wie beeinflussen unsere Gene, was und wie viel wir essen. Das ist aber keine Einbahnstraße. Ob wir eher viel Fett oder viele Kohlenhydrate zu uns nehmen, wirkt sich auf die Aktivität unserer Gene z.B. im Fettgewebe aus. Wie stark unser Körper reagiert, hängt wiederum von unseren Genen ab, also ein sehr kompliziertes Wechselspiel. Wir stecken hier gerade in den statistischen Auswertungen.
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