Kindergruppe im Altersheim

Auch viele Senioren standen dem Projekt anfangs durchaus skeptisch gegenüberstanden. Eine Kindergruppe sollte Einzug halten und das verbanden viele Ruhe suchende ältere Herrschaften natürlich in erster Linie mit Lärm.

Doch mir wurde spätestens beim Betreten des Wohnhauses klar, dass dieser Versuch, alt und jung unter ein Dach zu bringen, offenbar geklappt hatte. Nur freudige Gesichter strahlten mir entgegen. Von einigen Senioren angefangen, die schon im Eingangsbereich des Wohnhauses sehnsüchtig auf die Kleinen warteten, über die Kinder, bis zu den Eltern, die sich gerade von ihrem Nachwuchs verabschiedeten!

Wie es anfing

Dass dieses Experiment zustande kam, ist zwei äußerst engagierten Kindergruppenbetreuerinnen, aber auch dem Direktor des Pensionistenwohnheims, Herrn Mag. Vinzenz Kiener, der letztendlich alles ermöglichte, zu verdanken.
Begonnen hatte alles mit der Idee zweier Tagesmütter. Claudia Schmid, ausgebildete Kindergruppenbetreuerin, spezialisiert auf Montessoripädagogik wollte nach 5 Jahren Beschäftigung als Tagesmutter, etwas Neues wagen. Sie war zwar eigentlich ganz zufrieden, denn ihre Tätigkeit ließ sich auch besonders gut mit ihren drei eigenen Kindern vereinbaren. Auch ein Grund an einen Neuanfang zu denken, war, dass sich einige Mitbewohner ihres Hauses öfters über angeblichen Kinderlärm beschwerten.

So überlegte sie gemeinsam mit Lilli Bardel, Kindergruppenbetreuerin und jahrelang, bedingt durch ebenfalls drei eigene Kinder, als Tagesmutter beschäftigt, sich mit einer Kindergruppe selbständig zu machen. Zunächst wollte man eine Wohnung oder ein Lokal anmieten, doch das stellte sich schnell als unfinanzierbar heraus ( Mietpreise zwischen 700 bis 900 Euro).

Sie hatten schon fast resigniert als eine gemeinsame Bekannte sie auf den Direktor des Pensionistenwohnheims Hetzendorf aufmerksam machte, der als besonders kinderfreundlich und aufgeschlossen gilt, nicht zuletzt auch deshalb, weil er selbst eine kleine Tochter hat. Man einigte sich schnell, nachdem vor allem drei große Bedenken der Pensionisten, die natürlich auch um ihre Meinung gefragt wurden, aus der Welt geschaffen waren: sie hatten Angst vor Lärmbelästigung, dass sie von den Kleinen einfach “niedergerannt” werden und als Kriegsgeneration, davor, dass alle nicht mehr genug zu essen hätten.

Erste “Bschnupperung”

“Natürlich”, so Direktor Kiener,”usste ich die Ängste der Bewohner sehr ernst nehmen. Kinderlärm ist nun einmal nicht jedermanns Sache und viele kommen ins Pensionistenwohnheim um hier einfach nur ihre Ruhe zu haben und gut umsorgt zu werden. Sie können und wollen sich auch nicht mit Kindern auseinandersetzen, andere haben sich von Anfang an irrsinnig gefreut und dem Einzug der Kinder entgegengefiebert. Ganz klar ist, dass wir niemanden zwangsbeglücken wollen!
Da es in Wien noch in drei anderen Pensionistenwohnhäusern Kindergruppen gibt, konnte ich bei den Kollegen schon einmal nachfragen, wie es dort funktioniert und aus deren Erfahrungen schöpfen. Beim Start im September wurde der Kindergruppenbetrieb zunächst noch getrennt von den Bewohnern, geführt.

Ein langsames Herantasten aneinander und eine Eingewöhnungsphase wurden vereinbart. Im Oktober wurde dann der Kontakt zueinander gesteigert, jetzt ist es so, dass entweder die Kinder einladen oder die älteren Menschen. Gemeinsam wird gebastelt, gebacken, gespielt, gelesen… Das Endziel ist eine offene Gruppe zu führen, die die Bewohner besuchen können, wann immer sie wollen.”

Kinder & Betreuung

Claudia Schmid: ”Vor dem Start waren wir natürlich sehr unsicher, ob alles klappen und vor allem auch genug Kinder kommen würden. Sieben Kinder wurden von Frau Bardel und mir in die Gruppe “mitgebracht”. Zusätzlich haben wir in der Umgebung Flugblätter verteilt. Der Vorteil war, dass sich hier alles sehr schnell herum spricht, wie in einem Dorf.
Der Erfolg war sensationell. Schon im September hatten wir eine enorme Nachfrage. Jetzt haben wir 14 Kinder, mehr dürfen es auch gar nicht sein, fünf stehen auf einer Warteliste. Zu uns kommen Kinder zwischen 1,5 Jahre und vier Jahren. Wir werden auch von der MA 11 betreut. (zuständiges Magistrat für Familien und Jugend, sowie Kindergruppen). Man muss dafür einige Auflagen erfüllen, wird überprüft, bekommt aber dafür eine finanzielle Unterstützung.”

Räumlichkeiten

Der Gruppe, die sich übrigens “Purz`lbaum” nennt, wurde der ehemalige Speisesaal des Personals zur Verfügung gestellt, der liebevoll eingerichtet wurde. Viel haben die beiden Tagesmütter mitgebracht, ihre Wohnungen waren jeweils vollgestopft mit Kindermöbel und Spielzeug, viel wurde auch von den Leuten aus der Umgebung gespendet. Von der gebrauchten Couch, über eine herrlich altmodische Küchenkredenz bis zu Unmengen an Spielzeug. So wurde eine wunderbare Welt für die Kleinen geschaffen.
An den sehr großen Raum, der für die Kinder zur Verfügung steht, grenzt ein kleinerer Küchenbereich, indem sowohl gekocht, als auch gegessen wird. Auch Toilette und Waschgelegenheit sind vorhanden. Obwohl der große Raum im Keller liegt, ist er äußerst hell, da er über sehr große Fenster verfügt.

Trotzdem ist auf längere Sicht geplant, die Kindergruppenräumlichkeiten ins Erdgeschoß zu verlegen, wo ein direkter Zugang zum großen Garten wäre. Dort wurden für die Kinder schon eine Rutsche und eine Schaukel aufgestellt.

Der Direktor ermöglichte es den “Purz`lbäumen” auch den großen, voll ausgestatteten Turnsaal mitzubenutzen, hier können sich die Kinder nach Lust und Laune austoben. Von der Kletterwand, Rutsche bis zu verschiedensten Spielmöglichkeiten wird hier alles geboten. Natürlich gibt es auch gemeinsames Turnen von Jung und Alt. Toll ist auch der Werkraum der Bewohner, der ebenfalls von den Kindern mitbenutzt werden darf. Gemeinsam wird hier mit verschiedensten Materialien gebastelt.

Jung und Alt gemeinsam

Mag. Kiener erzählt von weiteren Plänen:” Wir wollen gerne Spielecken, verteilt im ganzen Haus einrichten, einfach in den öffentlichen Bereich integrieren. Jung und alt sollen ganz selbstverständlich miteinander und nebeneinander leben.
Es ist wunderbar zuzusehen, wie hier eine Symbiose entsteht, von der letztendlich sowohl jung, als auch alt profitierten. Die Kinder lernen ganz natürlich den Umgang mit den alten Menschen und Rücksichtnahme, ohne sich dabei in ihrem kindlichen Übermut zurücknehmen zu müssen. Es bleibt noch genug Freiraum für sie, damit sie sich so richtig austoben können. Aber auch die Ruhe des Hauses überträgt sich auf die Kleinen.

Da gibt es zum Beispiel eine alte Frau, die kaum mehr Emotionen zeigt und fast nicht mehr reagiert. Sie hat an einer Kinderbastelstunde teilgenommen. Ein kleines Mädchen nahm eine kleine Stoffmaus und ist ihr über die Hand bis zur Schulter langsam hinaufgefahren, ganz selbstverständlich. Die alte Frau hat selig gelächelt. Das sind natürlich schöne Momente!

Nach den ersten Monaten, die die Kindergruppe jetzt bei uns ist, muss ich sagen, dass jetzt eher die Gefahr besteht, dass die Bewohner die Kinder “niederrennen”, weil sie einfach leicht “übersehen” werden. Auch Bedenken hinsichtlich des Essens konnten wir schnell aus dem Weg räumen. Die Gruppe kocht immer selbst, so muss keiner meiner Senioren befürchten, zu wenig zu essen zu bekommen!”

Zur Zeit kommen die ältern Menschen Mittwoch eine Stunde zum Basteln und Donnerstag von 10 bis 11. Doch viele Bewohner besuchen die Gruppe auch zwischendurch, oft auch nur um etwas zu bringen, wie Kekse oder Spielsachen. Sowie Herr Karl Kritsch und Frau Frida Wawruschka, obwohl sie diesmal nicht lange blieben, hatte ich das Gefühl, dass sie auftanken wollten an der Fröhlichkeit und Unbedarftheit der Kinder.

Frischer Schwung im Altersheim

Frau Wawruschka ist begeistert von der Existenz der Kindergruppe in “ihrem” Haus: ”Die Kleinen sind einfach ein Jungbrunnen für uns und wir sind für sie die Großeltern, die Zeit haben! Wir kommen regelmäßig vorbei, bleiben manchmal auch lange hier und spielen sehr gerne mit den Kindern!”
Claudia Schmid: ”Auch wir profitieren viel von den älteren Menschen, sie nehmen uns wirklich einiges an Arbeit ab. Ein Kind hat zum Beispiel in der Gruppe einmal fürchterlich geweint und hat sich erst im Werkraum beim gemeinsamen Basteln mit den alten Menschen beruhigt, die soviel Ruhe ausstrahlen. Ein anderes Kind wollte einmal, dass ich ihm etwas vorlese, ich habe aber noch viel mit den anderen zu tun gehabt. Das hat dann einfach eine der Bewohnerinnen übernommen und der Bub hat sich sehr gefreut.

Es hat auch noch keinerlei Beschwerden gegeben! Bis jetzt ist es nur einmal vorgekommen, dass ein kleines Kind etwas zu ungestüm auf eine alte Frau losgerannt ist, die im Rollstuhl saß und einen Fuß verletzt hatte. Aber es ist zum Glück nichts passiert, es zeigt uns aber, dass wir schon besonders aufpassen müssen!”

Eine Bereicherung für alle

Herr Mag. Kiener:” Die Bewohner, die regelmäßig die Kindergruppe besuchen, haben entweder selbst Enkelkinder, die vielleicht auch schon erwachsen sind. Andere hatten nie Kinder und stehen jetzt fast mit Tränen in den Augen da, und sagen, dass sie immer welche wollten, es aber nie geklappt hat und jetzt können sie es endlich ausleben. Ein ganz lieber alter Mann hat sich extra für eine kleine Vorführung eine neue Mundharmonika gekauft und den Kindern vorgespielt. Er wollte gar nicht mehr aufhören, so gut hat ihm das gefallen.
Dass alte Leute für die Kleinen sehr wichtig sind, erlebe ich bei meiner eigenen fünfjährigen Tochter. Sie war immer sehr viel bei ihren Großeltern. Mein Schwiegervater konnte anfangs meine Tochter noch mitbetreuen, das ist aber bald gekippt. Er begann an Alzheimer zu leiden. Jetzt ist es meine Tochter, die auf ihn aufpasst. Es ist für sie aber ganz “normal”, dass der Opa “nicht normal” ist. So wie es hier im Wohnhaus ganz selbstverständlich ist, dass manche Leute mit einem Rollwagen gehen oder einfach nur mehr sehr langsam unterwegs sind. Hier wird einfach Normalität wie im Alltag gelebt! Nach unserem Motto: Häuser zum Leben!

Man merkt einfach, wie die Bewohner strahlen. Man hört ja immer mehr, dass manche Kinder für ältere Leute nichts übrig haben, hier wird das aber gelernt. Manche Kinder haben auch keine Großeltern mehr, die profitieren natürlich besonders. Frau Bardel, Frau Schmid und ich sind einfach irrsinnig glücklich, dass das alles so gut funktioniert!

Generationen verbinden – die einen können noch nicht schnell, die anderen können nicht mehr schnell… Als ich das Haus verließ, dachte ich mir: ”Kind müsste man noch einmal sein, dann würde ich hier in den Kindergarten gehen wollen!”

Foto: Kristo-Gothard Hunor/Shutterstock.com

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