Wenn Kleinkinder trotzen, stoßen Eltern an die Grenzen ihrer Geduld. Kiddy-Coach Gerhard Spitzer verrät, wie man die schwierige Trotzphase durchsteht.
Die meisten Eltern genießen die frühesten Jahre mit ihrem Kind. Klar doch! Ist ja auch eine schöne Zeit! Doch offenbar nicht für alle. Denn da ist beispielsweise Gaby, deren 3 -jähriger Sohnemann, Michi, gerade sowas wie eine permanente ich-mag-jetzt-aber-grad-nicht-Phase zu haben scheint! „Stimmt es denn wirklich“, fragt sich Gaby immer öfters verzweifelt, „was alle Mütter rund um den Kindergarten so meinen? Machen wirklich alle Kleinen so eine heftige Trotzphase durch? Oder sind wir bloß selbst schuld, wenn sie trotzen? Aber wenn nicht, dann kann ich ja ohnehin nichts Sinnvolles unternehmen!“, resigniert die junge Mutter schließlich. Ich bin natürlich anderer Meinung: Doch, liebe Mama! Man kann so einiges unternehmen! Dazu aber später …
Erstmal ist Michi grade so richtig gut drauf: Mit hochrotem Gesichtchen presst er hervor: „Mag nicht Essen!“ Schon ist er von seinem Kinderstuhl wieder herunter, während Mama noch das Fleisch klein schneidet. Noch ein Nachschlag gefällig? Aber gern! Ein wenig gekränkt interveniert Mami: „Aber, Michi, du musst doch groß und …!“ Da stampft der Kleine wütend mit dem Fuß auf und brüllt los: „Nääh! Mag nicht groß und stark…!“ Na ja, den Rest können Sie sich sicher vorstellen: Es war wohl mal wieder das berühmte Wort zuviel. Ein Wutanfall ist angesagt. Wie so oft in letzter Zeit. „Wieso lässt er sich nicht mehr auf mich ein?“, denkt Mami tief verletzt.
Einlassen, auslassen
Tja, das mit dem Einlassen ist leider nur ein Programm für etwa die ersten beiden Lebensjahre. Da wirken noch ganz einfache Beruhigungsstrategien. Selbst, wenn jedes normal entwickelte Kind auch schon mit zehn bis 12 Monaten sehr deutlich Ablehnung, Ärger oder gar Wut äußern kann. Aber da lassen sich die kleinen Schreihälse eben noch sehr rasch auf kleine „Tricks“ ein. Es entspricht einfach ihrem tiefen Bedürfnis, im Einklang mit den Wünschen und dem Willen der Eltern zu leben. Genau das aber verändert sich im so genannten „Trotzalter“. Ungefähr ab dem zweiten bis dritten Lebensjahr beginnt das Kind zu erkennen, dass es ein selbstständiges Wesen ist und dass es einen Unterschied zwischen sich und den anderen gibt. Und schon haben wir den Salat: Wut, Ablehnung, Rat- und Hilflosigkeit allenthalben. Aber das muss nicht sein.
Meine Erfahrung zeigt, dass allein schon tiefes Verständnis, was da im kindlichen Köpfchen so vorgeht, ein sehr hilfreiches Mittel ist, um mit dieser Phase gut umgehen zu können. Wissen und Verstehen führen schließlich in allen Lebenslagen stets ganz automatisch zu tollen, neuen Handlungs- Varianten.
Erst einmal sei rasch festgestellt: Die so genannten „Trotzphasen“ gehören zur Entwicklung eines gesunden Menschen dazu. Punktum. Die Fachleute nennen so etwas ein „Entwicklungsfenster“. Doch mir gefällt einfach dieses fiese Wort, Trotz, nicht. Es macht bloß alle Eltern dieser Welt total unsicher und stimmt aus erziehungswissenschaftlicher Sicht einfach nicht. Unter „Trotz“ stellt man sich immer etwas Schlechtes vor. Etwas, das kommt, weil man schon wieder danebengehauen hat. Das Wort allein ist ja schon total negativ besetzt. Also weg damit!
Allein, allein!
Endlich mal darf ich Ihnen, liebe LeserInnen, mal etwas aus meiner eigenen Vorschulzeit erzählen, an das ich mich aus irgendeinem Grund noch total gut erinnere. Ich freue mich, wenn es Sie interessiert. Also: Ich weiß noch sehr genau, wie mir meine Mutter wiederholt hat helfen wollen, die blöden Maschen zu binden. Ihre helfenden Hände waren halt dauernd um mich herum. Obwohl ich diesen Bandsalat an meinen Schuhen noch keineswegs hinbekam, meckerte ich andauernd lautstark: „Allein, allein, allein!“ Ob ich´s nun konnte oder nicht: Ich wollte schlicht autonom sein. Basta!
Tatsächlich sollte man diese Phase also als „Autonomiephase“ bezeichnen. Im fachlichen Kontext wird sie übrigens auch ganz genau so genannt. Nicht Widerstand und Trotz sind nämlich das Wesentliche dieser Entwicklungsphase, sondern eigentlich das Selbstständigwerden und die Ablösung des Kindes von einigen nun schon zu eng gewordenen Grenzen. Nichts weiter! Ist doch beruhigend, oder?
Schließlich ist das ja unser Job als Eltern: Unseren Kindern beim selbstständig Werden zu helfen. Schade nur, dass diese programmierte Autonomiephase eben schon so früh beginnt, denke ich insgeheim als Vater oft. Könnte die nicht bis zum Alter von 19 ausbleiben? Oder bis 35? Dann hätten wir alle keine Mühen und nur Freude an unseren Kids. Oder etwa doch nicht?
Entspannung
So, nun haben vielleicht unzählige Eltern und Großeltern schon etwas mehr Luft für Entspannung in der ganzen Misere. Sogar für unseren Zornbinkel, Michi, bricht eine Zeit ganz neuen Verstehens herein: Mami weiß nun, dass ihr Sohnemann nicht grundsätzlich ein Stinkstiefel sein will und sie auch nicht ursächlich selbst schuld dran hat. Oder ja, eigentlich doch: Denn sie könnte ein paar einfache Regeln befolgen, mit denen sie ihr Kind von Herzen in seinem Bestreben unterstützt, die Verschmelzung mit Mami durch sein eigenes Betätigungsfeld erweitern zu dürfen Also los, unterstützen wir den kleinen Racker eben: Michi darf ab heute das ohnehin kleine Stückchen Fleisch schon selber zu schneiden versuchen. Mami wartet ab, ob er selbst um „Scheidehilfe“ ansucht. Und siehe da: Das tut er! Es ist eben doch noch ein wenig mühsam. Schon strahlt der Kleine und der „Ich-mag-nicht-Essen-Anfall“ ist auch plötzlich kein Thema mehr. Jetzt hat er eben autonom entschieden … Cool, nicht? Und so entspannend!
Nerven bewahren
Was tun, wenn das Kind trotzt?
- Bleiben Sie im „Eskalationsfall“ zunächst mal ruhig und gelassen, auch wenn das schwer fällt. So fühlt sich Ihr Kind sicher und hat Zeit, mit seinen Gefühlen umzugehen.
- Nachgeben darf man als Elternteil schon auch mal. Aber bitte nicht während einer Trotzreaktion! Klar dürfen Sie Ihr Handeln und Ihre Verbote zuweilen ein wenig überdenken. Aber bitte erst nach dem Abklingen von Wut und Gebrüll.
- Je nach Alter des Kindes kann es helfen, wenn es seine Wünsche irgendwie begründen darf. Oft ist dann eine gemeinsame Lösung ganz leicht.
- Machen Sie sich klar, dass die Trotzphase nicht gegen Sie gerichtet ist, auch wenn Sie es grade abbekommen haben. Das kindliche Gehirn stößt einfach in dieser Zeit an ziemlich frustrierende Grenzen.
- Trauen Sie bitte Ihrem Kind viel mehr zu, als Ihnen im ersten Moment lieb wäre.
- Zeigen Sie bitte Ihrem Kind auch in schwierigen Situationen, dass Sie es lieb haben. Vielleicht gerade dann?
- Reden Sie nicht auf Ihr Kind ein, während es rumbrüllt, sondern nehmen Sie positiv wahr, sobald das Gezeter anfängt, nachzulassen: „Toll, du kannst ja von allein aufhören! Das gefällt mir gut, mein Schatz!“
Foto: altanaka – shutterstock.com