Kaum zu glauben welche Schreikraft so ein Zwerg entwickeln kann. Doch die Faszination hält sich bei seinen Zuhörern in Grenzen. Während weniger nahe stehende Personen schnell das Weite suchen, macht sich bei den zurückbleibenden geplagten Eltern Hilflosigkeit breit, die nicht selten nach einiger Zeit in Verzweiflung umschwankt.
Wenn “Erste Hilfe” Beruhigungsversuche nicht klappen, bricht Hektik aus, im Kopf geht man die “To-do” Liste für Baby Bedürfnisse durch – Windeln wechseln, Hunger, Schlaf,… Es ist ja auch wirklich zu dumm, dass so ein Säugling nicht einfach sagen kann, was ihn stört, sondern gleich all seine Probleme in die Welt hinausschreien muss.
Dr. Joachim Bensel, Verhaltensbiologe, erforscht Probleme der kindlichen Verhaltensentwicklung und schrieb darüber das Buch “Was sagt mir mein Baby, wenn es schreit?”. Er erklärt darin, dass Säuglinge sehr wohl mit den Menschen in ihrer Umgebung “sprechen”. Zwar noch nicht mit der Sprache, aber mit Lauten und Gesten. Viele Eltern spüren instinktiv, was ihr Baby jetzt braucht, doch anderen gelingt das nicht so einfach und vor allem auch nicht immer.
Die Lautsprache richtig verstehen
Ein kurzer einzelner Kontaktlaut wird vor allem nach dem Aufwachen geäußert. Manche Babys wollen gleich Ansprache, andere beschäftigen sich noch eine Weile allein, bis sie: ”Hallo, ich bin wach – ist jemand da?” “rufen”. Wenn man rasch darauf reagiert und sich dem kleinen Liebling zuwendet, ihm zeigt, dass jemand da ist, bleibt die heile Welt meist bestehen.
Beim Unmutslaut gibt das Baby eine Serie von kurzen Einzellauten von sich, die sich rhythmisch wiederholen. Irgendetwas stört Babys Seelenfrieden. Gründe dafür gibt es auch genug, vielleicht gelingen gerade die ersten Liegestützversuche nicht, es kann die Rassel nicht erreichen oder es wurde zu schnell ins Badewasser gesetzt,….. Jetzt muss Mama blitzschnell reagieren und entscheiden ob sie seine Situation verbessern kann oder ob der quengelnde Zwerg sich mit den Gegebenheiten einfach abfinden muss. Zumindest kann man die Situation entschärfen – in den Arm nehmen und beruhigendes Reden. Wenn man selbst ungehalten und nervös ist, spürt es das Baby sofort und schreit letztendlich für zwei.
Babys geben auch im Schlaf Laute von sich, meist wenn sie ihre Schlafposition ändern. Es ist ein wohlig klingender Ton. Manche Eltern antworten sogar (bewusst oder unbewusst) mit einem ähnlichen Laut. Wichtig ist, sofern es bei diesem wohligen Ton bleibt, in diesem Fall ausnahmsweise nicht zu reagieren. Schon gar nicht das Kind hochheben, denn dann würde man es nur aufwecken.
Der Trinklaut begleitet jedes Füttern. Wenn alles passt, die Trinkmenge in der richtigen Geschwindigkeit und Temperatur fließt, dann wird geschmatzt und gegluckst, was das Zeug hält.
Neben der Lautsprache geht es bei so einem kleinen Menschen, wie bekannt, allerdings auch noch einige Oktaven höher und wenn er da so richtig loslegt, heißt es vor allem Nerven bewahren, schließlich gibt es nach jeder Flut auch wieder Ebbe. Wenn man die Lautstärke eines Babygeschreis misst kommt man auf ca. 82dB (das entspricht etwa einem Presslufthammer). Da allerdings Schreien nicht nur den Zuhörer, sondern auch das Baby sehr anstrengt, gibt es ein paar Warnsignale ab, bevor es richtig zur Sache geht.
Gründe für normales Schreien
Hunger kündigt sich meist mit einem leichten Quengeln an. Das steigert sich allmählich in Lautstärke, Häufigkeit und Intensität bis es letztendlich in ein schrilles Schreien übergeht. Ein sicheres Zeichen für Hunger ist auch, dass das Baby zusätzlich meist an seinen Fingern oder der Faust lutscht und lauthals schmatzt. Wenn die letzte Mahlzeit schon eine Weile zurückliegt, dann ist die Quengelursache gefunden. Jetzt müssen nur noch Brust oder Fläschchen her, dann ist die Welt schnell wieder in Ordnung!
Auch Müdigkeit kündigt sich zunächst durch ein leichtes Quengeln an! Wenn alles nach Plan läuft, werden nach einiger Zeit die Glieder schlaffer, die Händchen entspannen sich und das Baby schläft ein. Wenn nicht, dann geht die Quengelei langsam, aber sicher in lautes Schreien über. Das Einschlafen will einfach nicht gelingen, die Augen oder die Nase werden gerieben und es wird kräftig gegähnt!
Wenn die letzte Schlafphase auch schon ein Weilchen zurückliegt, dann ist alles klar! In erster Linie muss man jetzt für Ruhe sorgen, Säuglinge im Arm sanft in den Schlaf wiegen. Ältere Babys hingegen, die schon möglichst allein einschlafen sollen, in ihrem Bettchen lassen, sanft anreden und ihm das Gefühl geben, dass jemand in der Nähe ist. Man lernt recht schnell den Schlafrhythmus seines Babys kennen und weiß nach kurzer Zeit, wann wieder einmal ein Nickerchen fällig wäre.
Am schrillsten, intensivsten und lautesten ist der Schmerzensschrei! Wenn etwas wehtut, dann sollen es auch alle wissen, also wird geschrieen was das Zeug hält! Oft so lange bis das Baby keine Luft mehr bekommt, dann wird zwischen zwei Schreien erneut Luft geholt. Auch Gesicht und Körper des armen Würmchens sind angespannt und der Kopf knallrot.
Der Puls rast, ein älteres Baby kann auch leicht zu schwitzen beginnen, die Augenlieder sind zusammengepresst, die Lippen verkrampft und die Finger zu Fäusten geballt. Wenn man die Ursache nicht erkennt und das Schreien andauert, dann in jedem Fall einen Kinderarzt aufsuchen!
Doch nicht immer sind Schmerzen die Ursache für ein lautes, schrilles Schreien. Das Gefühl der Einsamkeit ist auch schlimm. Wenn es auf “normales” Schreien keine Antwort bekommt, geht es eben noch eine Stufe höher.
Vielleicht ist ihm aber schlichtweg fad und es verlangt nach Beschäftigung. Die Pausen zwischen dem anfänglichen Quengeln werden immer kürzer, um letztendlich in lauthalses Schreien überzugehen. Den Unterschied zum Schmerzensschrei erkennt man rasch, denn sobald man sich dem Kind zuwendet, hört es auf.
In Babys Leben spielt Unterhaltung natürlich eine große Rolle, doch in der richtigen Intensität bitteschön. Babys werden zum Beispiel liebend gerne geschaukelt. Doch was dem einen nicht wild genug sein kann ist dem andern schnell zuviel und das meldet das Baby. Der Gleichgewichtssinn von Babys wird leichter durcheinander gebracht. Mit der Zeit lernt man sein Kind natürlich immer besser kennen und weiß dann, welcher Spaß ihm in welcher Laune jeweils zumutbar ist.
Ein weiterer Grund für den Unmut eines Kleinkindes kann auch das Gefühl von Kälte, Hitze oder Nässe sein. In den ersten Lebensmonaten funktioniert die Regelung der Körpertemperatur noch nicht so richtig. Das Baby hat zwar ein so genanntes braunes Fettgewebe, aber es fehlt ihm die isolierende Schutzschicht durch starkes Muskelgewebe. Vor allem im Schlaf kühlt der Körper stark ab. Ein Neugeborenes friert deshalb besonders schnell.
Wenn man also die Unmutslaute des Babys nicht richtig zuordnen kann, sollte man die Haut- Temperatur des Säuglings mit seiner eigene vergleichen. Wenn er friert, fühlen sich sein Bauch und seine Füße kühler an als die eigene Hand.
Wenn es ihm zu heiß ist, sind sein Bauch und die Füße deutlich wärmer als die eigenen Hände. Nässe hingegen, sofern sie durch eine volle Windel verursacht wird, beeindruckt Babys relativ wenig, sie verursacht bei ihm noch keinen Schreianfall. Trotzdem muss man natürlich öfters die Windeln wechseln, allein schon um keinen wunden Po zu riskieren, denn dann gibt es natürlich ganz schnell wieder einen Grund zum Schreien.
Psychohygiene
Aletha J. Solter streicht in ihrem Buch “Warum Babys weinen” die grundlegende Bedeutung des Weinens für die Psychohygiene des Kindes heraus. Diese Art und Weinens setzt dann ein, wenn alle Bedürfnisse gestillt sind – oft am Nachtmittag oder abends. Das scheinbar “grundlose” Schluchzen und Weinen des Babys dauert oft sehr lange und versetzt Eltern oftmals in Sorge.
Aber eigentlich ist es ein gesunder und positiver Vorgang, denn weinen ist die adäquate Form des Kindes vergangene schmerzliche Erfahrungen zu verarbeiten. Das können traumatische Geburtserfahrungen sein, Enttäuschungen oder Verwirrungen, wie sie in jeder noch so guten Eltern-Kind Beziehung vorkommen oder eben Missverständnisse die aufgrund der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten zustande kommen. Beim lösenden Weinen werden solche Spannungen abgebaut und das seelisch-körperliche Gleichgewicht wieder hergestellt. Das Baby braucht in solchen Momenten die Nähe von Mama oder Papa.
Warum schreien Babys an manchen Tagen mehr als an anderen?
Grund gibt es immer. Dieser kann sich aus unterschiedlichen Tagesabläufen ergeben, der Tagesverfassung des Babys oder aber auch der Eltern. Nicht immer haben sie die Nerven und die Zeit gleich auf die Wünsche und Bedürfnisse des Babys einzugehen. Zahnen oder körperliche Entwicklungsschübe machen den kleinen Zwerg natürlich auch unruhiger als sonst.
Dr. Joachim Bensel empfiehlt ein Verhaltenstagebuch zu führen, so kann man unruhigere mit ruhigeren Tagen vergleichen. Dadurch gelingt es besser Situationen, die unruhigere Tage eher provozieren, in Zukunft zu vermeiden.
Entwicklungssprünge
Babys schreien im Normalfall gegen Ende des ersten Lebensmonats und Anfang des zweiten Monats am meisten. Bis zu diesem Zeitpunkt nimmt das Schreien zu, danach kontinuierlich ab.
Das niederländische Forscher -Ehepaar Hetty van de Rijt und Frans Plooij hat über 25 Jahre lang Babys über die ersten 1,5 Jahre begleitet und dabei beobachtet, dass sie zu ganz bestimmten Zeitpunkten – so auch im typischen Schreibabyalter – weinerlicher und einfach anstrengender waren als vorher oder nachher. War diese Phase überstanden hatte das Baby einen deutlichen Entwicklungssprung gemeistert.
Von einem Moment auf den anderen konnte es sich plötzlich auf seinen Ärmchen aufstützen oder sich umdrehen. Oder es konnte plötzlich Dinge wahrnehmen, die es vorher ignorierte. Es scheint damit zusammenzuhängen, dass auch das Baby diese sich anbahnenden Veränderungen spürt und deshalb besonders viel Zuwendung braucht. Dadurch bekommt es die nötige Sicherheit um diese Phase zu bewältigen.
Während dieser Zeit kommt es nicht selten zu Rückschritten. Zum Beispiel quengelt es plötzlich wieder beim Einschlafen, obwohl es vorher schon so gut geklappt hatte. Ist diese Entwicklungskrise gemeistert ist alles wieder in Ordnung und seine bereits gekonnten Fähigkeiten kommen wieder zum Vorschein, zeitgleich mit den neuen. In solchen Zeit sollte man eine ruhige Atmosphäre schaffen und das Kind vor Reizüberflutung schützen.
Tipps für Eltern
… für einen möglichst entspannten Umgang mit dem Baby
· schon vor der Geburt ein soziales Netz spannen, das einen nach der Geburt auffängt, damit man sich mit dem Säugling nicht allein gelassen fühlt und dadurch natürlich schnell überfordert ist
· Gleichgesinnte suchen- sich einer Mutter-Kind oder Stillgruppe anschließen
· für einen möglichst regelmäßigen Tagesablauf sorgen
· späte Schläfchen am Tag möglichst vermeiden, dann bleibt das Baby in der Nacht ruhiger, möglichst einen Schlafrhythmus am frühen Vormittag und Nachmittag einführen
· nach Bedarf füttern, nicht unbedingt alle 4 Stunden
· wenn möglich bei Säuglingen gleich auf die Unmutslaute angemessen reagieren. Bei älteren Babys ein bisschen abwarten, ob sich die Situation nicht von selbst wieder reguliert.
· Stundenlanges “Schreien lassen” ist schlichtweg Unsinn, denn das löst höchstens das Gefühl der Hilflosigkeit aus und führt zur Dämpfung der Verhaltens Äußerungen. Das Baby braucht in jedem Fall die Begleitung seiner Bezugspersonen.
· Ein Baby fühlt sich geborgen und entwickelt eine sichere Bindung zu seinen Eltern, wenn es merkt, dass es sich auf sie verlassen kann und fühlt, dass immer jemand für es da ist.
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