Der vierjährige Bub will im August dieses Jahres nur eben die Straße in Straden überqueren. Doch dieses Vorhaben wird ihm zum Verhängnis: Das Kind übersieht ein herannahendes Auto. Mit schweren Verletzungen wird der Vierjährige ins nächstgelegene Krankenhaus im Bezirk Bad Radkersburg transportiert und von dort per Hubschrauber in die Spezialklinik nach Graz verlegt. Der Fall des kleinen Jungen aus Straden ist nur eine Momentaufnahme. Denn im vergangenen Jahr wurden im Schnitt an jedem Tag vier Kinder im Alter bis 14 Jahre als Fußgänger, beim Radfahren oder beim Spielen auf Österreichs Straßen verletzt – nach Angaben des Kuratoriums für Verkehrssicherheit knapp 1500 insgesamt. Acht Kindern kostete der Unfall das Leben.
Altersbedingte Gefahren
So traurig diese Zahlen alleine schon sind – „Die meisten verunglückten Kinder gab es im Vorjahr als Mitfahrer im Pkw“, sagt Mag. Marion Seidenberger. Die Verkehrspsychologin arbeitet seit zwölf Jahren beim Österreichischen Automobil-, Motorrad- und Touring Club (ÖAMTC) und ist Mutter von zwei Söhnen im Alter von sechs und acht Jahren. Die Zahlen vom Kuratorium für Verkehrssicherheit für 2009: Rund 1700 Kinder bis zum Alter von 14 Jahren wurden als Auto-Mitfahrer verletzt, sieben starben. „Allgemein wird die Wahrnehmung und Einschätzung von riskanten Situationen im Straßenverkehr bei Kindern von altersbedingten Entwicklungsstufen bestimmt“, erklärt DI Klaus Robatsch. Der Bereichsleiter Prävention im Kuratorium für Verkehrssicherheit ist Papa von zwei Töchtern im Alter von 4 und 16 Jahren. Der Experte führt weiter aus: „Spezifische kognitive Leistungen wie Wahrnehmung, Erkennen und Bewerten von Gefahren sowie Aufmerksamkeit, motorische Aktivität, soziale Entwicklung und Gefahrenbewusstsein sind altersabhängig.“
Immer am Gehweg aussteigen
Kleinkinder bis zum Kindergartenalter sind besonders als „Mitfahrer“ im Auto gefährdet. Dabei gibt es zwei Kernbereiche: „Es fehlt an den geeigneten Rückhaltevorrichtungen und an der richtigen Sicherung der Kinder darin“, sagt Mag. Marion Seidenberger. Auf Punkt zwei macht DI Klaus Robatsch aufmerksam: „Kleinkinder sind vor allem beim Ein- und Aussteigen aus dem Pkw gefährdet.“ Es sei besonders wichtig, dass Mamis und Papis ein Auge darauf hätten, dass ihre Kinder immer auf der dem Gehweg zugewandten Seite ein- und aussteigen. Mit den Jahren werden die Zwerge immer mobiler. Damit geht auch eine Veränderung der Unfallursachen einher. „Die Kinder können jetzt noch nicht mehrere Reize gleichzeitig verarbeiten“, sagt der Experte vom Kuratorium für Verkehrssicherheit. Der Ball, der auf die Straße rolle, stehe deutlich mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit als etwa das herannahende Auto. Wenn sich die Eltern mit ihrem Nachwuchs gemeinsam auf Tour begeben, „sind die Begleitpersonen besonders gefordert“, sagt die ÖAMTC-Verkehrspsychologin. Daneben gelte es schon jetzt, das Gefahrenbewusstsein der kleinen Menschen nachhaltig zu schulen. Spätestens mit dem Start in die Schule sind die Kids im Mobilitätszeitalter angekommen. „Viele Kinder legen den Schulweg selbstständig zurück“, sagt DI Klaus Robatsch. Erst langsam beginnen die Volksschüler als Fußgänger oder Radfahrer die Gefahren richtig einzuschätzen, ergänzt Mag. Marion Seidenberger. „Das plötzliche Stehenbleiben fällt ihnen noch schwer“, sagt sie.
Eltern müssen loben
Die Basis für das unfallfreie Bewegen der Kinder im Straßenverkehr ist „ein grundsätzliches Interesse zur Verkehrserziehung bei den Erziehungsberechtigten“. Die Verkehrspsychologin erklärt, wie dies aussehe: Die Eltern müssten in jedem Fall mit gutem Beispiel vorangehen und so eine Vorbildfunktion erfüllen. „Mit Geduld und viel Lob führt man die eigenen Kinder langsam an den Straßenverkehr heran“, sagt Mag. Marion Seidenberger. Gemeinsam die üblichen Wege abzugehen ist eine Variante, um den Nachwuchs fit zu machen, da sind sich die Experten einig. „Man muss dem Kind erklären, worauf geachtet werden muss“, sagt DI Klaus Robatsch. Dabei biete sich ein Werktag an, weil dann das Verkehrsgeschehen deutlich hektischer sei als an einem ruhigen Sonntag. Mag. Marion Seidenberger empfiehlt Eltern, lieber einen kleinen aber dafür sicheren Umweg in Kauf zu nehmen. Und: „Wo eine gute Querungsmöglichkeit wie Schutzweg, Ampel oder Lotse vorhanden ist, sollte diese benutzt werden.“
Schutzweg kein Freifahrtschein
Aber gerade bei den Schutzwegen müssen Eltern und Sprösslinge die Augen offen halten. Denn eine Erhebung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit hat ergeben, dass „jeder zweite Autofahrer bei Schutzwegen, an denen sichtlich Fußgänger queren möchten, nicht anhält“. Da helfe auch die gesetzliche Pflicht nicht. Beim Schulwegtraining sei es daher wichtig, den Kindern zu vermitteln, dass ein Zebrastreifen keine Sicherheitsgarantie darstelle.
Dort, wie auch sonst beim Überqueren einer Straße, sollten die Kinder den Blickkontakt zum Lenker suchen. Denn oft genug würden die Autofahrer die Minis schlicht aufgrund ihrer Körpergröße übersehen. „Mit dem Blickkontakt stellen beide fest, dass sie sich wechselseitig wahrgenommen haben“, sagt DI Klaus Robatsch. Aus Straßenverkehrslaien werden erst durch viel, viel Üben sichere Teilnehmer. Eltern müssen bei all dem Training entspannt bleiben und „dürfen den Kindern“, so Mag. Marion Seidenberger, „keinesfalls Angst vor dem Straßenverkehr machen“. Üben kann auch nur der, der nicht ständig im Auto überallhin kutschiert wird. „Kinder, die täglich mit dem Auto in die Schule gefahren werden, verlernen, worauf sie im Straßenverkehr achten müssen“, sagt der Experte vom Kuratorium für Verkehrssicherheit. Außerdem nehme so die Zahl der Autos zu und erhöhe das Unfallrisiko für die anderen Schüler. Doch auch die sollen sicher ankommen!