Un(ter)versorgt: Österreich fehlen die Kinderärzte

Österreich hat eine der höchsten Ärztedichten der Welt. Doch bei Kinderärzten sieht es düster aus. Zahlreiche von der Krankenkasse ausgeschriebene Stellen sind unbesetzt. Wer sich’s leisten kann geht zum Wahlarzt. Der Rest fällt durch den Rost.

Amstetten, Traiskirchen, Baden, Krems, Tulln, St. Pölten, … – Niederösterreich sucht Kinderärzte – Kinderärzt:innen auf Kassenvertrag. Insgesamt elf Facharztstellen für Kinderärzte harren derzeit in Niederösterreich einer Nachbesetzung, und das teilweise seit Jahren. Wie etwa jene in Mödling, die seit 1.7.2017 – als fast fünf Jahre – unbesetzt ist. In Lilienfeld wiederum ist die Kinderarztstelle seit 1.1.2017 vakant – wie es so schön im Amtsdeutsch heißt. Und in Purkersdorf (Bezirk St. Pölten Land) fehlt ein:e Kinderärzt:in seit dem 1. Oktober 2016.

Die Lage ist dramatisch – doch Niederösterreich ist nur die Spitze des Eisberges. In Wien fehlen in etwa genau so viele Kinderärzte, wie in Niederösterreich. Aber auch im Rest Österreichs ist die Unterversorgung von Kindern und Jugendlichen mit Kinderärzten auf Krankenschein hoch. Laut Recherchen der Journalisten von Dossier, , waren Ende 2021 österreichweit 99 Stellen für Fachärzte unbesetzt. 38, also fast 40 Prozent der unbesetzten Stellen, waren Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde.

Eine Frage des Geldes

Wer es sich leisten kann geht zum Wahlarzt oder zur Wahlärztin, doch das geht ins Geld, wie etwa der Fall einer niederösterreichischen Familien zeigt, die mit dem fünfjährigen Sohn wegen einer Mittelohrentzündung zum Kinderarzt ging. Die Behandlungen, die sich über ein paar Wochen hinzogen kosteten fast 400 Euro. Zwar ersetzt die Krankenkasse einen Teil der Kosten des Wahlarztes, doch diese Ersatzleistungen „machen das Kraut nicht fett“, wie es der Volksmund so schön ausdrückt. Denn die Krankenkasse zahlt nur 80% dessen was sie einem Kassenarzt zahlen müsste. Der Rest bleibt bei den Eltern haften.

Wie krass der Unterschied zwischen dem tatsächlichen Honorar und dem Kostenersatz der Kassa sein kann, rechnet der Standard am Beispiel einer Hautarztuntersuchung vor: „Eine Kassen-Hautärztin erhält rund 18 Euro für eine Muttermalkontrolle. Patienten, die dafür bei einer Wahlärztin waren, können ihre Wahlarztrechnung (zum Beispiel in der Höhe von 100 Euro) bei der ÖGK einreichen, erhalten dann aber nicht 80 Euro, sondern 80 Prozent von den 18 Euro Kassentarif, in dem Fall etwas mehr als 14 Euro.“ Bleiben 86 Euro an Kosten, die der Patient:in selbst berappen kann.

Kein Wunder, dass zahlreiche Österreicher:innen sich eine Zusatzkrankenversicherung nehmen. Die Kosten für Kinder sind auch nicht exorbitant hoch, wie ein Berechnungsbeispiel am Online Portal der Wiener Städtischen zeigt: So kostet eine Zusatzversicherung für ein elfjähriges Kind in der Basisvariante (inkludierte Leistungen bis zu 2.405 Euro) 26,67 Euro/Prämie im Monat. Die Zusatzversicherung deckt dann jene Wahlarzt-Kosten ab, die von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht übernommen werden ()

Unentdeckte Entwicklungsverzögerungen

Versichern beruhigt, heißt es – doch manche Eltern können sich selbst diese Prämien nicht leisten. Sie wechseln mit dem Kind zum Allgemeinmediziner – vulgo praktischen Arzt. Nicht immer die beste Idee, wie ein Fall aus Oberösterreich zeigt. „Vor kurzem war ein dreijähriges Kind mit einer starken Verzögerung bei der Sprachentwicklung im Krankenhaus“, erzählt der Mitarbeiter einer Klinik im Salzkammergut. Der Allgemeinmediziner, der die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen durchführte, habe zuvor eine völlig unauffällige Entwicklung diagnostiziert. „Einer Kinderärztin wäre das wohl nicht entgangen. Das ist traurig. Die entsprechenden Schritte wurden dann zwar eingeleitet, aber das hätte früher passieren sollen“, sagt der Mitarbeiter gegenüber Dossier. »Wenn man auf Kinderärzte verzichtet und zum Allgemeinmediziner geht, geht natürlich Kompetenz verloren. Ein Allgemeinmediziner kann aufgrund der kürzeren pädiatrischen Ausbildung einfach viele Dinge der Kinderheilkunde nicht so gut erlernen«, sagt Reinhold Kerbl, Primar am Landeskrankenhaus Hochsteiermark/Leoben und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ). Hausärzt:innen absolvieren drei Monate ihrer Ausbildung in der Kinderheilkunde, Fachärzt:innen für Kinder- und Jugendheilkunde hingegen fünf Jahre und drei Monate.

Ein Mangel mit Folgen

Insgesamt stehen den rd. 8,9 Millionen Österreicher:innen laut Ärztekammer 47.674 Ärzt:innen zur Seite. Mit 5,3 Ärzt:innen pro 1000 Einwohner:innen hat Österreich eine der höchsten Arztdichten der Welt. Bei den Kinderärzt:innen sieht es etwas anders aus. Da liegt die Arztdichte bei 1,3 – auf 1,29 Milionen Kinder und Jugendliche unter 14 kommen 1.629 Kinderärzt:innen. Bei 262 von ihnen übernimmt die Krankenkasse die Kosten, doch es werden immer weniger. Eine gefährliche Entwicklung, die auch die Zukunft der un(ter)versorgten Kinder massiv beeinflussen kann. Denn unerkannte Krankheiten oder Entwicklungsverzögerungen begleiten die Kinder ein Leben lang. Und sie beeinflussen nicht zuletzt auch die Schulkarrieren und damit wohl auch das spätere Berufsleben.

Bild: pixabay/PublicDomainPictures

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Aus dem Inhalt:

  • Zuckerschock – Diabetiker:innen werden in Österreich schlecht versorgt – welche Systemschwächen das offenlegt.
  • Zur Kasse gebeten – Kassenärzt:innen für Kinder- und Jugendheilkunde werden dringend gesucht – ein Hilferuf.
  • Kopfsache – Psychische Erkrankungen verursachen Leid. Die Folgen können teuer sein.
  • Harakiri in Zeitlupe – Österreichs Kinder- und Jugendpsychiatrie als Fallstudie für Politikversagen
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