Wir alle kennen die Geschichte von Pinocchio oder Baron Münchhausen. Zwei lustige Gesellen, die sich so durchs Leben schummeln. Der eine wird bestraft, in dem seine Nase immer länger wird, der andere meistert sein Leben durch seine Schwindeleien ganz gut.
Wann ist eine Lüge eine Lüge und wann eine Schwindelei?
Kinder beobachten uns Erwachsene. Von Klein auf wird Papa imitiert wie er sich eine Zigarette anraucht oder die Schuhe werden mit der selben Handbewegung angezogen wie Mama das tut. Kinder lernen, indem sie zusehen, nachahmen und Handlungen kopieren. Kinder bemerken natürlich auch, wenn Erwachsene so genannte Notlügen gebrauchen. Da wird der Besuch von lästigen Verwandten abgewimmelt, indem man behauptet bereits seit Wochen anderweitig verplant zu sein oder die Verspätung beim Arzt wird mit dem nicht und nicht kommenden Bus entschuldigt, anstatt mit dem Mittagsschläfchen, das ein wenig zu lange gedauert hat. Ist man sich dessen bewusst und kann mit seinem Kind offen darüber reden, dann erhält das Kind einen anderen Zugang zur Notlüge als ein Kind, dessen Wahrnehmung dann als falsch hingestellt wird, indem sich die Erwachsenen herauszureden versuchen.
Birgit und Thomas haben zwei Kinder und planen seit einem Jahr den einmonatigen Aufenthalt in den USA während der Sommerferien. Birgits Mutter, die im selben Haus wohnt und Herzkrank ist, betont immer wieder, dass sie einen Herzinfarkt bekäme, würde die Familie diese weite Flugstrecke zurücklegen. Birgit und Thomas sind zu feige, zu ihrer Entscheidung zu stehen und beginnen ein Gerüst aus Lügen aufzubauen. Von einem Kärntner Badesee, wo Birgits Freundin ein Wochenendhaus hat, werden Ansichtskarten mitgebracht und fein säuberlich vorgeschrieben. Birgits Freundin, die den Sommer in Kärnten verbringt, wirft wöchentlich eine Karte an die Oma in den Postkasten während Thomas und Birgit samt Kindern in den USA weilen. Die Oma ist beruhigt und Birgit und Thomas haben das Gefühl, die kranke Mutter geschont zu haben. Der einjährige Jonas kennt den Unterschied zwischen Florida und Kärnten nicht, die sechs jährige Nicole allerdings weiß sehr wohl, dass hier gelogen wird und dass das nicht rechtens ist. Sie wird durch ihre Eltern angehalten, der Oma zu verheimlichen, dass sie geflogen ist und dass sie auf einem anderen Kontinent war. Diese Problemlösungsstrategie ihrer Eltern, die sich auf viele Bereiche ausdehnt wird ihr zum Verhängnis, denn sie sieht, dass sich ihre Eltern das Leben durch Lügen erleichtern. Ihre Eltern sind verzweifelt als ihre Tochter mit neun Jahren in der Schule nur mehr Lügnerin gerufen wird und die Lehrerin eine psychologische Beratungsstelle vorschlägt, um Nicoles Lügen endlich in den Griff zu bekommen.
Warum lügen Kinder?
Zwischen drei und sechs Jahren glauben Kinder nicht nur an das Christkind und den Osterhasen, sondern auch an Gespenster und Monster unterm Bett. Sie halten jedes Wunder für möglich, weshalb man diese Phase auch das magische Alter nennt. Fiktion und Realität, Wirklichkeit und Traum können sie noch nicht trennen. Deshalb erleben Vierjährige auch Alpträume so schrecklich. Wenn sie nachts aufschrecken, weil sie das Ungeheuer fressen will, können sie sich noch nicht – wie Acht- oder Neunjährige – selbst wieder mit dem Gedanken beruhigen, dass das alles nur im Kopf passiert ist und gar nicht wahr ist. In diesem Alter erfinden Kinder auch Geschichten. Wenn sie sich in einen Karton setzen und durchs Wohnzimmer rudern, dann überqueren sie gerade einen wilden Fluss und jeder der behauptet, dass es doch bloß der Wohnzimmerteppich war, den sie bezwungen haben, wird von den Kindern kopfschüttelnd beäugt. Kinder müssen in diesem Alter mit ihren fantastischen Geschichten, die sie erzählen, sehr ernst genommen werden. Sie wollen bewundert werden, dass sie stärker als der Papa sind oder dass sie ein eigenes Pony draußen vor der Tür angebunden haben, auf das sie jederzeit steigen und davon reiten können.
Ab dem Schuleintritt, also um den sechsten Geburtstag herum, können Kinder sehr gut zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Tauchen Unwahrheiten ab diesem Alter auf, dann haben sie immer einen Grund.
Lügen aus Angst vor Strafe
Kinder machen manchmal Dinge, die nicht in Ordnung sind. Das 2 Euro Stück, das am Küchentisch liegt, wird eingesteckt oder zur Mutter, die darauf drängt jetzt endlich das Kinderzimmer aufzuräumen wird „blöde Mama“ gesagt und auf die Frage der Mutter, was denn da gerade gesagt wurde, wird gestammelt: „Nichts“.
Natürlich ist es für Eltern unangenehm, wenn sie von den eigenen Kindern angelogen werden. Man darf es allerdings auch nicht überbewerten. Kinder schätzen die Konsequenzen ihres Tuns oft wesentlich härter ein, als sie in Wirklichkeit sind und lassen sich, geleitet von der Angst vor Strafe, zu Lügen hinreißen. Ein Kind, das Angst vor einer Strafe hat, wird eher lügen als ein Kind, das sich auch in seinem Fehlverhalten angenommen und geliebt fühlt.
Stellen Sie Ihr Kind niemals bloß
Wenn Sie eindeutig gesehen haben, dass Ihr Kind die 2 Euromünze eingesteckt hat, dann nicht fragen: „Hast du das Geld hier weggenommen?“ sondern: „Ich habe gesehen, dass du das Geld genommen hast, was möchtest du denn damit machen?“ In der Folge kann man dann klären, dass es einem lieber ist, wenn das Kind fragt, ob es sich das Geld nehmen kann. Machen Sie Ihrem Kind klar, dass Sie nicht möchten, dass in Ihrer Familie Sachen, die einem nicht gehören, weggenommen werden.
Ertappen Sie Ihr Kind beim Lügen, dann sollten sie behutsam vorgehen. Mault Ihnen das Kind ein „blöde Mama“ zu und sie fragen nach, was das Kind gerade gesagt hat, dann wird es den Satz sicher nicht wiederholen. Schalten Sie dann auf stur und sagen, dass sie ohnedies genau gehört haben, dass es „blöde Mama“ gesagt hat, dann verhärten sich die Fronten. Das Kind wird kaum zugeben, dass es das gesagt hat und sie nennen ihr Kind einen Lügner. Versuchen Sie es anders herum. Wenn Sie also deutlich gehört haben, dass dieser Satz gefallen ist, stellen Sie sich nicht ahnungslos und fragen was das Kind gesagt hat, sondern sagen Sie direkt, dass sie es nicht mögen als blöde Mama beschimpft zu werden. Sollte Ihr Kind aus Scham dann sagen „Das habe ich nicht gesagt“, dann kommen Sie ihm entgegen, indem Sie sagen, dass sie sehr wohl glauben, dass es das nicht sagen wollte, aber dass ihm der Satz doch herausgerutscht ist. Fragen Sie Ihr Kind, ob es das eigentlich gar nicht sagen wollte und ob es ihm leid täte. So reichen Sie dem Kind die Hand und es erleidet keinen Gesichtsverlust.
Lügen um im Mittelpunkt zu stehen
Kinder lügen auch, um sich in den Mittelpunkt zu stellen. Da wird den Klassenkameraden aufgetischt, dass man beim Eminem Konzert war und danach den Star sogar persönlich kennen gelernt hätte, oder es wird geflunkert, dass man den 10 fachen Betrag Taschengeld erhält, den man tatsächlich bekommt. Der Grund ist immer derselbe. Man erntet Bewunderung und steht im Mittelpunkt. Besonders Kinder, die ein schwaches Selbstbewusstsein haben oder sich schwer tun, mit anderen Kindern Kontakt aufzunehmen bekommen durch die Lüge schnelle Bewunderung und Anerkennung. Nur leider folgt bald darauf der tiefe Fall, wenn die anderen hinter die Schwindeleien kommen. Neigt Ihr Kind zu solchen Übertreibungen, dann versuchen Sie, es zu unterstützen und nicht mit ihm zu schimpfen. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind, wie der Konflikt zu lösen wäre. Warum erzählt es solche Geschichten? Warum glaubt es, dass es nicht so, wie es ist, interessant für andere ist. Meist liegen den Lügen Ängste zugrunde, die in einem Gespräch aufgelöst werden können.
Was können Eltern tun, um Kinder zu bestärken die Wahrheit zu sagen?
- Vermeiden Sie es zu Lügen aus Bequemlichkeit zu greifen. Wenn Sie in der Früh verschlafen haben und Ihr Kind kommt zu spät zur Schule, schreiben sie auf die Entschuldigung als Grund „Verschlafen“ und nicht „Hatten einen Arzt Termin“. Fehler passieren jedem, ob Kind oder Erwachsener und ihr Kind bekommt die Selbstsicherheit, dass niemand perfekt sein muss.
- Hat Ihr Kind gelogen, dann überlegen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind, wie es beim nächsten Mal in einer ähnlichen Situation vorgehen kann, ohne zu lügen.
- Hat sich Ihr Kind durch eine Lüge in eine verfahrene Situation gebracht, bieten Sie ihm an, diese gemeinsam aus der Welt zu schaffen. So spürt es einerseits, dass sie vorbehaltlos hinter ihm stehen aber auch, dass es mit der Wahrheit weiter kommt als mit einer Lüge.
- Erwischen Sie Ihr Kind beim Lügen, dann stellen Sie es keinesfalls vor seinen Freunden bloß. Es hat genug mit der Blamage der Lüge zu kämpfen. Sprechen Sie alleine mit ihm.
- Freuen Sie sich, wenn Ihr Kind die Wahrheit sagt. Loben Sie es, indem Sie sagen „Danke, dass du mir die Wahrheit gesagt hast“. Damit belohnen Sie Ihr Kind.
- Haben Sie selbst in Gegenwart Ihres Kindes gelogen, erklären Sie Ihrem Kind warum. Lügen aus Höflichkeit ist etwas anderes als jemanden zu hintergehen.
- Lügen Sie Ihr Kind niemals an. Möchten Sie eine peinliche Frage nicht beantworten, dann sagen sie das deutlich. Wollen Sie Ihr Kind vor einer schmerzlichen Wahrheit bewahren, bemühen Sie sich um Offenheit und Erklärungen, die Ihr Kind versteht.
- Lügt Ihr Kind immer wieder, dann scheuen Sie nicht davor zurück, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen!
Foto: BlurryMe – shutterstock.com