Nicole und ihre Eltern sind mit ihrem Problem nicht allein: Etwa zehn Prozent der Siebenjährigen und ein bis zwei Prozent der Jugendlichen sind von Bettnässen betroffen.
Nico schämt sich. „Bettnässer“ sagt seine große Schwester zu ihm. Und er weiß nicht genau, ob sie es nicht auch ihren Schulkolleginnen erzählt. Peinlich. Nicos Eltern sind bestürzt. Jetzt geht der Junge schon in die dritte Klasse Volksschule und seine Blase läuft nachts immer noch über. Doch eines gleich vorweg: Nico muss sich weder genieren, noch ist Bettnässen eine Krankheit. Vielmehr ist es ein Symptom mit verschiedenen, sowohl physisch als auch psychisch bedingten Ursachen. Also kein Grund, sich zu genieren. Außerdem lässt sich das Problem mit der richtigen Therapie lösen.
Etwa 60.000 Kinder und Jugendliche in Österreich sind Bettnässer. Gründe für das Bettnässen sind aber weder fehlgeleitete Mutter-Kind-Beziehungen, noch Schulangst oder psychischer Druck. Univ.-Prof. Dr. Christian Radmayr, Leiter der Abteilung für Kinderurologie an der Medizinischen Universitätsklinik Innsbruck betont: „Fälschlicherweise werden sehr oft psychische Probleme oder Unreife als Ursache vermutet. Seelische Störungen sind jedoch vorrangig für die Entstehung einer sekundären Enuresis (Anm. Bettnässen) verantwortlich – wenn das Kind schon mindestens sechs Monate durchgehend trocken war. Bei einer primären Enuresis spielt die Psyche fast ausschließlich nur als mögliche Folge einer unbehandelten Enuresis eine Rolle: Vom verminderten Selbstwertgefühl, sozialen Rückzug des Kindes bis hin zu schweren Entwicklungsdefiziten und sogar Persönlichkeitsstörungen reicht die Palette möglicher Konsequenzen.“
Erbanlage
Die medizinisch als Enuresis nocturna bezeichnete Erkrankung wird durch ein Enuresis-Gen verursacht, das sich auf dem Chromosom 12, 13 oder 22 befindet. Hat es ein Elternteil, haben die Kinder ein 43-prozentiges Risiko, das Problem zu entwickeln. Sind beide Elternteile Träger der Erbanlage, steigt das Risiko auf 75 Prozent.
Kinder, die mit derartigen Erbanlagen ausgestattet sind, leiden unter einem Mangel des ADH-Hormons. Dieses Hormon Adiuretin wird in der Hirnanhangsdrüse gebildet. Es ist verantwortlich dafür, dass die Harnmenge auf ein der Größe der Harnblase entsprechendes Maß reduziert wird. Wird jedoch zu wenig Adiuretin produziert, bildet sich verstärkt Harn, der von den Kindern nicht gehalten werden kann. 80 Prozent der Bettnässer haben eine verminderte Ausscheidung des Hormons Adiuretin. Sie erwachen erst, wenn die Blase schon übergelaufen ist. Eltern sollten daher, wenn ihr Kind im Alter von fünf Jahren mindestens zwei Mal pro Monat im nassen Bett aufwacht, mit diesem den Arzt aufsuchen.
Psychischer Druck
Zum ernsten Problem wird die Sache, wenn das Kind durch die belastende Situation des Bettnässens psychischem Druck ausgesetzt ist. Wenn das Übernachten bei Freunden oder das Mittagsschläfchen im Kindergarten zur Risikozeit werden. Eltern sollten daher das Problem mit entsprechender Behutsamkeit thematisieren und nicht noch zusätzlichen Druck machen. Eine Behandlung des Hormonmangels ist heute gut möglich. Nach einem Gespräch mit dem Arzt kann dieser spezielle Hormonersatzstoffe verordnen. Sie wirken auf die Nieren und führen dort zu einer Konzentration des Harns in der Nacht, sodass die Blase weniger voll wird. Die Mittel werden in Form eines Nasensprays oder von Tabletten verabreicht. Nach etwa neun Monaten stabilisiert sich üblicherweise die körpereigene Produktion des ADH-Hormons und die jungen Patienten können wieder sorglos durchschlafen.
Fratz Tipps
So stärken Sie Ihr Kind
Tabuisieren Sie das Problem nicht, sondern reden Sie mit Ihrem Kind darüber.
- Machen Sie Ihrem Kind klar, dass Sie keinen Schuldigen suchen, sondern ein gemeinsames Problem lösen wollen.
- Vermitteln Sie Ihrem Kind täglich, dass Sie das Bettnässen mit Sicherheit gemeinsam in den Griff bekommen werden.
- Erklären Sie Ihrem Kind, dass es nicht allein mit dem Bettnässen dasteht und vergleichen Sie es niemals mit anderen, nicht Bettnässenden Kindern. In Österreich gibt’s rund 60.000 Bettnässer!
- Unterstützen Sie Ihr Kind psychologisch, es darf sich nicht allein gelassen fühlen.
Auf einen Blick:
Packen Sie das Problem an der Wurzel – durch eine rasche Diagnose.
Machen Sie sich bewusst, dass das Problem körperlich, nicht seelisch bedingt ist.
Der Körper Ihres Kindes bildet das Hormon noch nicht selbst, sondern braucht medizinische Hilfe und Ihre Anleitung.
Ein sicheres Medikament nimmt den Druck, denn eine sofortige Therapie hilft acht von zehn Betroffenen.
Infos: www.clubmondkind.at
Infos: Univ.-Prof. Dr. Christian Radmayr, FEAPU
Leiter der Abteilung für Kinderurologie an der Medizinischen Universitätsklinik Innsbruck (www.kinderurologie.at)
Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Club Mondkind
Foto: Renata Osinska – Fotolia.com
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