Eltern krempeln gerne die Ärmel hoch und fungieren als Streitschlichter. KiddyCoach Gerhard Spitzer macht sich für fratz&co auf die Suche nach den „Schuldigen“.
Der neunjährige Dominik kommt mit blauen Flecken nach Hause. Es hat ganz offensichtlich wieder einmal Streit gegeben in der Schule. Dagegen ist Sarah N., seine Mutter allerdings schon ziemlich allergisch. Ihr Detektiv-Instinkt erwacht augenblicklich: „Wer hat denn da diesmal wieder angefangen?“, fragt sie, bereits jetzt spürbar genervt. Als der Bub kleinlaut etwas von: „… naja, der Julius …“ vor sich hin murmelt, schaltet Sarah augenblicklich von ihrem Detektiv-Modus um in den Anwalt-Modus: „Also hat schon wieder dieser Raufbold angefangen? Da werde ich gleich bei seiner Mutter anrufen! Na die kann was erleben …“
Sie denken, dass das schon die ganze Geschichte war? Weit gefehlt. Einen Modus hat Dominiks Mutter nämlich noch parat: den der Richterin. Mit geröteten Wangen beendet Sarah das Telefonat mit der Mutter des „Bösewichts“ Julius. Jetzt sieht die Sache anders aus: Vor dem Beginn des handfesten Streits hat es offenbar noch einen „Anfänger“ gegeben und dessen Name ist Dominik. Der Richterspruch fällt dementsprechend aus: „Es reicht mir jetzt mit deinen ewigen Raufereien! Du hast drei Wochen Hausarrest!“ Ende der Geschichte. Eltern spielen im Streitfall nur allzu gerne den Detektiv oder Anwalt für ihr Kind. Besonders zielführend, im Sinne von zu erwartender VerhaltensÄnderung ist das allerdings aus mehreren Gründen nicht: Erstens fühlen sich Kinder ohnehin oft von ganz allein schon „schuldig“ genug, vor allem wenn ein massiver Streit vorangegangen ist.
Noch wichtiger aber ist es zu verstehen, dass Streitigkeiten durch unser Eingreifen und / oder beharrliches Nachhaken erst so richtig aufgewertet werden. Erst jetzt wird das Problem für die kindliche Wahrnehmung unlösbar und es entstehen vielleicht Gedanken wie diese: „Ich kann einen solchen Streit sowieso niemals alleine lösen. Jetzt kann nur noch Mama helfen!“ Im kindlichen Denken macht sich nach jedem Eingreifen eines Erwachsenen das Gefühl breit keinen Konflikt selbst auf die Reihe zu bekommen. So geht es anderntags übrigens auch Dominik, als seine Mutter wegen des Vorfalls auch noch in der Direktionskanzlei vorspricht, um doch noch als Anwältin ihres Sohns aufzutreten. Zur Beratung werde ich erst gerufen, als Sarah am Verzweifeln ist, weil ihr geliebter Sohn seit neuestem einfach dicht macht, ihr also kaum noch etwas von der Schule erzählt. Vor allem berichtet er nach Streitfällen nicht die Wahrheit.
Doch selbst wenn er das wollte, er könnte es gar nicht … Jeder Mensch nimmt nämlich eigene Erlebnisse ganz individuell wahr. Wer trägt denn nun wirklich die Schuld an dem Streit? Vielleicht der- oder diejenige, der die „bessere“ Wahrheit zu bieten hat? Harmlose, „unblutige“ Rangeleien und Streit in der Schule oder daheim sind ganz normale Dinge, die dazu dienen, eine Rolle oder Position innerhalb einer Gruppe oder unter Geschwistern zu finden. Agieren Sie also bei bestehenden Konflikten eher dezent und vertrauensvoll aus dem Hintergrund.
Das heißt: motivieren und den Rücken stärken. Das klingt dann vielleicht so: „Ich freue mich schon darauf, wie du das beim nächsten Mal selber lösen wirst!“ Und die Konflikte zwischen Freunden und Geschwistern werden die Kids weiter bringen als wenn Mama oder Papa stets einschreiten.
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