Zwillinge – doppeltes Glück?

„Ich brauchte in kein Schaufenster zu schauen, um mir über mein Aussehen klar zu werden. Ich musste nur Kerstin ansehen, denn sie ist mir fast noch ähnlicher als ich selber. Wenn man seit sechzehn Jahren ein Zwillingspaar ist, macht sich das bemerkbar, das kann ich versichern. Und wenn ich nicht einen kleinen braunen Fleck auf der linken Wange hätte, könnte kein Mensch wissen, wer Barbro ist und wer Kerstin“, stellt Barbro, das Zwillingsmädchen in Astrid Lindgrens Jugendbuchklassiker „Kerstin und ich“, klar.

Nicht jedes Zwillingspärchen besitzt als Unterscheidungsmerkmal einen Leberfleck oder andere Auffälligkeiten. Die Eltern der achtjährigen Zwillingsbrüder Florian und Fabian griffen bereits kurz nach der Geburt und einigen Verwechslungen zu einer eindeutigen Maßnahme: Florian trägt am linken Ohr ein „Flinserl“. Die Lehrerin der beiden lebhaften Buben ist den Eltern ebenso dankbar dafür wie die Schulkameraden, die gerne wissen möchten, mit welchem der beiden sie spielen oder streiten. Schon früh haben Florian und Fabian ihre Eltern gefragt: „Warum sehen wir aus wie Kopien?“

Eineiig oder zweieiig?

Eineiige Zwillinge, in ihrer Erbanlage, ihrem Aussehen und vielen Eigenschaften praktisch identisch, sind aus einer befruchteten Eizelle entstanden. Die Zwillingsgeburtenrate liegt in Österreich bei elf auf 1000 Neugeborene. Ein Drittel davon ist eineiig (monozygotisch). Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau identische Zwillinge bekommt, liegt durchschnittlich bei eins zu 300.

Diese Zahl variiert individuell, allerdings sind Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen im Gegensatz zu jenen mit zweieiigen nicht erblich begünstigt und können Frauen jeden Alters betreffen. In den letzten Jahren ist der Anteil an Mehrlingsgeburten vor allem durch Hormonbehandlungen und die In-vitro- Fertilisation (IVF) rasant gestiegen. Durch die Einpflanzung mehrerer befruchteter Eizellen steigt die Wahrscheinlichkeit, zweieiige Zwillinge zu gebären.

Wie der Name schon beschreibt, werden hier zwei Eizellen mehr oder weniger gleichzeitig von zwei verschiedenen Samenzellen befruchtet. In der Folge nisten sich beide in der Gebärmutter ein. Diese Kinder sehen meist recht unterschiedlich aus, besitzen verschiedene Temperamente und Begabungen und können im Gegensatz zu den eineiigen Zwillingen auch verschiedenen Geschlechts sein. Hier besteht auch eine erbliche Begünstigung: Wenn es bereits zweieiige Zwillinge in einer Familie gibt, sind die Chancen, Kinder im Doppelpack zu bekommen, wesentlich größer!

Faktoren, die eine Zwillingsschwangerschaft begünstigen

Neben der familiären Häufung spielt auch das Alter der Mutter eine große Rolle. Statistisch gesehen bekommen 37-Jährige am häufigsten zweieiige Zwillinge. Man vermutet, dass dies mit den hormonellen Veränderungen in diesem Alter zu tun hat. Auch zeigt sich eine leicht steigende Tendenz bei Frauen, die bereits mehrfache Mütter sind bzw. zweieiige Zwillinge geboren haben. Großgewachsene Frauen werden ebenfalls häufiger mit einem Zwillingspärchen beglückt.

Globale Studien belegen zudem, dass afrikanische Frauen wesentlich öfter Zwillinge auf die Welt bringen als Mütter anderer Rassen. Viele Frauen, die heute Mehrlinge bekommen, haben sich zuvor einer Fruchtbarkeitsbehandlung unterzogen. Bei einer intrauterinen Insemination (IUI) hingegen werden die Samenzellen mit einem Katheder in der Gebärmutter platziert – somit erhöht sich das Risiko für eine Mehrlingsschwangerschaft nicht!

Schwanger mit Zwillingen

In der 13. Schwangerschaftswoche erfuhr Gerlinde Grabner, dass sie zweieiige Zwillinge erwartete. Von diesem Zeitpunkt an war nichts mehr wie vorher. Gerlinde hatte den Eindruck, dass sie „die Ärzte im Krankenhaus in einen gläsernen Kasten stellten“, ganz besonders, als sie erwähnte, bereits Mutter des zweijährigen Erik zu sein. In der 32. Schwangerschaftswoche nahm man die aktive junge Frau stationär ins Krankenhaus auf, weil ihr Gebärmutterhals verkürzt war.

Danach folgte noch eine hauptsächlich liegend verbrachte Zeitspanne zu Hause – bis es in der 36. Woche so richtig losging! „Ein Zwilling lag verdreht im Bauch und so musste ein Kaiserschnitt durchgeführt werden!“, berichtet die mit ihrer Familie in Neumarkt im Mühlkreis wohnende Frau. „Eigentlich hatte ich mich ja auf eine Normalgeburt eingestellt, aber das Risiko war dann doch zu groß!

Zunächst kam Elias und eine Minute später Jana!“ Werdende Zwillingsmütter werden von ihrer Umgebung, aber auch vom medizinischen Personal oft mit besonderer Vorsicht behandelt. „In erster Linie sind Frauen, die Zwillinge erwarten, gesunde Schwangere“, erklärt Dr. Karin Müller, Medizinerin und Hebammenstudentin. „Da der Körper einer Frau bei einer Zwillingsschwangerschaft aber deutlich mehr leisten muss, treten viel häufiger als bei Einlingen Beschwerden (z. B. etwa frühzeitige Wehen) auf. Ich empfehle daher jeder Zwillingsschwangeren, schon in der Schwangerschaft zusätzlich zu den Vorsorgeterminen beim Gynäkologen Kontakt mit einer Hebamme aufzunehmen, die viele hilfreiche Tipps hat und sich Zeit nimmt für ausführliche Informationen, positive Selbststärkung und individuelle Vorsorge!“ Frau Dr. Müller empfiehlt hier insbesondere ausreichend Schlaf und gesunde, ausgewogene Ernährung mit vielen frischen Früchten, Gemüse und Vollkornprodukten.

Wichtig ist es auch, ausreichend Flüssigkeit (täglich mindestens acht große Gläser Wasser) aufzunehmen. Dies gilt bei Zwillingsschwangerschaften noch mehr, weil das Risiko einer – durch Dehydrierung des Körpers begünstigten – Frühgeburt besteht. Gegen Ende der Mehrlingsschwangerschaft empfehlen Ernährungsberater möglichst mehrere kleinere Mahlzeiten, da größere Mengen nicht mehr so leicht verdaulich sind. Manche Geburtskliniken bieten für Zwillingsmütter extra Kurse an oder haben eine Ernährungsberaterin, die spezielle Tipps geben kann. Dürfen Schwangere, die Zwillinge erwarten, Sport machen? Wie viel Bewegung ist überhaupt erlaubt?

Es gelten die gleichen Empfehlungen wie für werdende Mütter von Einlingen: Sportarten wie Schwimmen, leichte Gymnastik, Walken oder Spazierengehen sind gestattet, solange sich die Schwangere wohl dabei fühlt. Sportarten, bei denen man Stößen ausgesetzt ist oder ein erhöhtes Sturzrisiko besteht, sollten hingegen vermieden werden.

Die Geburt

Solcherart gerüstet gehen Zwillingsmütter mit mehr Selbstvertrauen zur Geburt. Denn sie sehen: Auch andere Mütter haben diese Hürde und noch viele andere geschafft. Frau Dr. Müller weiß: „Zwillinge kommen durchschnittlich etwas früher zur Welt als Einlinge, statistisch gesehen in der 38. Schwangerschaftswoche. Der Geburtsmodus ist von der Lage der Kinder abhängig.

Wenn zumindest das erste Kind in Schädellage (Kopf voran) liegt, ist eine vaginale Geburt zu empfehlen.“ Die Medizinerin bedauert, dass das den Zwillingseltern nicht in allen geburtshilflichen Abteilungen angeboten wird. Und sie rät: „Möchte eine Mutter ihre Zwillinge nach Möglichkeit spontan zur Welt bringen, sollte das Paar dieses Kriterium bereits bei der Auswahl der Klinik berücksichtigen.“ Die Eröffnungsperiode erfolgt im Prinzip genauso wie bei Einlingen, allerdings wird normalerweise eine kontinuierliche CTG-Überwachung durchgeführt. Häufiger als bei Einlingen sind auch Wehenmittel nötig, da die Gebärmutter durch die zwei Kinder so stark gedehnt ist, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Wehenschwäche steigt. Zwillingsgeburten erfolgen meist in Rückenlage.

„Ist das erste Kind geboren, wird es sogleich von einem Kinderarzt untersucht, während die Hebamme den Bauch der Mutter hält, um zu verhindern, dass sich das zweite Kind in eine andere Position dreht, weil es plötzlich so viel Platz hat! Nach einer kurzen Verschnaufpause setzen wiederum Wehen ein, die nach einigen Minuten bis längstenfalls einer Stunde zur Geburt des zweiten Kindes führen. Nach der Geburt bekommt die Mutter noch einmal Wehenmittel, damit sich die Gebärmutter zusammenziehen kann und stärkere Nachblutungen verhindert werden. Nachdem auch das zweite Kind vom Arzt untersucht wurde, ist Zeit für Bonding und das erste Stillen“, beschreibt Karin Müller die spezielle Situation einer Zwillingsgeburt.

Diese sollte schwangere Zwillingsmütter nicht von einer vaginalen Geburt abschrecken, ist sie doch „dem Kaiserschnitt eindeutig vorzuziehen, denn sowohl die Mutter als auch die Kinder gehen gestärkt und voll von Liebeshormonen (Oxytocin) aus diesem Ereignis hervor, und das ist der beste Start für eine befriedigende Mutter- Kind-Beziehung sowie für das Stillen“, zeigt sich die begeisterte Hebammenstudentin überzeugt.

Zwillinge stillen?

Ihre beiden kleinen Schätze mit Muttermilch versorgen: Das war auch der Wunsch von Gerlinde Grabner. Die kleine Jana, bei der Geburt 2,14 kg leicht, saugte ab dem zweiten Lebenstag auch eifrig an der Brust. Der um eine Minute ältere und 15 dag schwerere Elias wollte nicht so recht trinken und schaffte auch mit Hilfe engagierter Hebammen und Schwestern gerade einmal 10 ml. Gerlinde Grabner pumpte daher für ihren kleinen Sohn Milch ab und probierte bis zum dritten Monat immer wieder, auch ihm die Brust anzubieten, doch er schaffte das Saugen nie so richtig.

„Eines Tages akzeptierte ich, dass ich nur einen Zwilling stillen konnte und der andere eben mit dem Fläschchen gefüttert wurde. Im Grunde war es eine enorme Arbeitserleichterung für mich!“, berichtet die Mühlviertlerin von den ersten anstrengenden Wochen. Die fünffache Mutter Barbara Knauder aus Freistadt in OÖ informierte sich bereits vor der Geburt ihres mittlerweile 13-jährigen Zwillingspärchens intensiv über das Stillen. Larissa und Julian waren bereits Kind drei und vier, zudem „unkompliziert“. Die Hebamme empfahl ihr – damals revolutionär –, ein Stillkissen zu verwenden, und dank des Selbststudiums diverser Bücher wusste sie, dass es besser sei, die „Zwillinge zu parallelisieren“.

Was so schrecklich nach Mathematikunterricht in der Schule klingt, bedeutet nichts anderes, als die Zwillinge gleichzeitig zu stillen. Dies gelang so gut, dass die aktive Oberösterreicherin beide Babys sechs Monate lang voll stillte. Nur nachts bekamen die zwei hintereinander die Brust, weil der Bub viel gieriger trank und so seine Schwester beunruhigte. Julian war von Beginn an kräftiger und hungriger. Er wurde früher zugefüttert, Larissa wollte elf Monate lang gestillt werden. „Noch nie in meinem Leben habe ich so viel gelesen wie in jenen Monaten!“, erzählt die erfahrene Mutter. Gelesen? Als vierfache Mutter? Es klingt glaubhaft, wenn Barbara Knauder lachend bekräftigt: „Ja, und den anderen beiden Kindern, der damals siebenjährigen Daniela und dem vierjährigen Alexander, habe ich viele Bilderbücher vorgelesen während des Stillens. So waren die beiden gar nicht eifersüchtig auf die Babys. Im Gegenteil, sie fragten immer wieder: ,Wann stillst du endlich, damit du uns etwas vorlesen kannst?’“

Wer die fröhliche Mutter kennen lernt, merkt, dass sie ihre Kinder wirklich aufrichtig liebt. Nach ihrem Geheimnis für solch ein gelassenes Mutterglück befragt, meint sie ehrlich: „Mein Mann, der extrem gut mit Kindern umgehen kann. Ich musste ihm nie sagen, was zu tun war. Er half, wo es nötig war!“ Die ersten Wochen mit den Zwillingen waren auch für Gerlinde und ihren Mann Mario sehr anstrengend: „Die Kinder weckten sich oft gegenseitig auf, der große Bruder kam viel zu kurz. Es war schon ein Quantensprung von einem auf drei Kinder. Der Tagesablauf war ein ständiges Wickeln, Füttern, Stillen, Abpumpen, Tragen … und die Nächte waren genauso. Oft kam ich nur auf zwei bis drei Stunden Schlaf pro Nacht. Ab dem vierten Monat wurde es langsam besser. Erst mit etwa zwei Jahren haben sie durchgeschlafen! Wie groß war oft mein schlechtes Gewissen meinem ,Großen’ Erik gegenüber!“

Hilfsangebote annehmen

Um diese anstrengende Baby- und Kleinkindphase zu überstehen, empfiehlt die erfahrene Zwillingsmutter, Hilfe von Praxisschülerinnen, z. B. der Familienhelferinnenschule der Caritas, in Anspruch zu nehmen. Andere Zwillingsmütter haben – in Ermangelung von Verwandten in der Wohnumgebung – gute Erfahrungen mit „Leihomas“ gemacht. Die Wiener Zwillingsmutter Beate ist begeistert von ihrer Leihoma: „Während die alte Dame unsere Twins betreute, konnte ich mich zwei Stunden ins Schlafzimmer zurückziehen und entspannt lesen oder meinen fehlenden nächtlichen Schlaf nachholen!“ Zwillingsgeburten bringen oftmals auch einen Platzmangel mit sich.

Wohnung und Auto sind plötzlich zu klein, Babysitze, Kinderwagen und Betten – alles im Doppelpack – finden nicht mehr ausreichend Platz. Auch den Grabners ging es nicht anders und so wurde nicht nur ein großer Chrysler angeschafft, sondern auch mit dem Hausbau begonnen. Ein enormer Kraftakt in einer ohnehin belastenden Zeit.

Doppelte Arbeit oder doppeltes Glück?

Und wie sieht die Zwillingsmutter diese Zeit im Rückblick? Sind Zwillinge doppelte Arbeit oder doppeltes Glück? „Unsere Zwillinge spielen – speziell am Vormittag – viel miteinander. Sie sind wirklich eine Einheit. Erik ist vormittags im Kindergarten, die Jahre vorher besuchte ich mit ihm einmal wöchentlich eine Spielgruppe, damit ich Zeit mit ihm ganz alleine verbringen konnte. Die ersten Jahre kamen wir auch als Ehepaar viel zu kurz, aber jetzt ist es schön mit den bereits etwas größeren Kindern im neuen Haus. Ich denke, Zwillinge sind wirklich doppeltes Glück, denn es ist wunderschön, wenn in allen Ecken und Räumen geplaudert und gesungen wird. In der anstrengenden Anfangszeit habe ich mir diese Aussage oft vor Augen gehalten, um alles durchzustehen.“

Und was ist Frau Grabners Tipp an werdende Zwillingseltern? „Durchhalten und immer wieder tief durchatmen! Es wird alles besser, spätestens wenn die Kinder halbwegs selbstständig sind und schon alleine spielen können! Denn bei Zwillingen gibt es immer einen gleichaltrigen Spielpartner: eine Erleichterung für die Eltern. Und der zweite Tipp: Vergessen Sie nie – jedes Kind ist ein Individuum! Regeln sind gut, aber jedes Kind ist eine eigene Persönlichkeit, auch wenn es vielleicht genauso aussieht wie das zweite!“ „Aber ich bin jedenfalls Barbro, das möchte ich ein für alle Mal festhalten“, betont die Heldin in Astrid Lindgrens Buch gleich zu Beginn.

Und das ist ihr gutes Recht! Denn Zwillinge sind zwei Menschen, die zeitgleich in ihrer Mutter herangewachsen sind und manchmal sogar wie Kopien aussehen. Zwei Menschen, die sich zeitlebens besonders verbunden fühlen, aber doch zwei Individuen sind. Eltern, die das nie aus den Augen verlieren, sind am besten Weg dazu, ihre Zwillinge glücklich groß werden zu lassen …

Buchtipps:

Zwillinge. Wie Sie mit ihnen fertig werden, ohne selbst fertig zu sein
von Marion von Gratkowski Trias Verlag
ISBN 978-3-830430-155

Hoppla Zwillinge!
von Susanne Holst und Sabine Klonk Trias Verlag
ISBN 978-3-830433-460

Das Stillbuch
von Hannah Lothrop und Vivian Weigert Kösel Verlag
ISBN 978-3-466344-987

Kerstin und ich von Astrid Lindgren Oetinger Verlag
ISBN 978-3-789141-577 

Dipl.Ing. Roswitha Wurm