Ehrlich gesagt, für mich brach zuerst einmal eine Welt zusammen. Wir hatten schon ein Kind und eigentlich waren nur zwei geplant. Unsere Wohnung war nicht groß genug und lag im dritten Stock ohne Lift. Und in unserem Mazda 323 war auch nicht genug Platz für einen Zwillingswagen.
”Warum passiert das ausgerechnet mir?” Solche oder ähnliche Gedanken haben fast alle schwangeren Frauen, denen der Arzt das süße doppelte Geheimnis entschlüsselt. Und bei den wenigsten stellen sich sofort über-schwängliche Glücksgefühle hinsichtlich des doppelten Nachwuchses ein.
Was ganz natürlich ist, denn immerhin war man auf ein Kind eingestellt! Das sehen selbst Frauen, die sich schon lange unbedingt ein Kind gewünscht haben und sich vielleicht einer Hormonbehandlung oder sogar einer künstlichen Befruchtung unterzogen haben, nicht anders. Doch mit Hilfe einiger Tipps und der Routine, die sich auch im Zwillingsalltag irgendwann einmal einstellt, lernen selbst die unerfahrensten Zwillingsmütter bald auch dieses besondere Glück zu genießen.
Zwei Kinder und ein Ei
Doch zunächst einmal zurück zu den Anfängen: Wie entstehen Zwillinge überhaupt? Wir wissen zwar heute, dass es eineiige und zweieiige Zwillinge gibt, aber wo ist der Unterschied? Eineiige Zwillinge entstehen, wenn sich die Eizelle teilt, nachdem sie befruchtet wurde.
Es entstehen dann sozusagen zwei Hälften mit haargenau dem gleichen Erbgut, deshalb sehen sich eineiige Zwillinge ja auch zum Verwechseln ähnlich. Sie haben natürlich auch immer das gleiche Geschlecht, was aber nicht heißen muss, dass sie sich auch wirklich wie “ein Ei dem anderen” gleichen.
Es gibt einige wahrscheinliche Ursachen, warum auch eineiige Zwillinge nicht immer ganz gleich sind. So kann zum Beispiel die Lage der Kinder in der Gebärmutter oder die Versorgung im Mutterleib zu unübersehbaren Unterschieden führen. Auch der Umwelt kommt eine bedeutende Rolle zu, was dazu führt, dass selbst Zwillinge mit exakt dem gleichen Erbgut im Wesen oft recht unterschiedlich sind. Verschiedene Verhaltensmuster oder die Beziehung der Zwillinge zueinander sollen bereits in der Gebärmutter (zum Beispiel durch Nahrungs- oder auch Platzmangel) geprägt werden.
Die italienische Psychoanalytikerin Andrea Piontelli untersuchte Zwillinge mittels Ultraschall vor der Geburt und machte weitere Beobachtungen, nachdem die Kinder geboren waren. Dabei fand sie heraus, dass sie im späteren Leben ähnlich miteinander umgingen wie in Mamas Bauch.
Zweieiige Zwillinge – ganz „normale“ Geschwister
Anders ist das bei zweieiigen Zwillingen: Hier werden zwei Eizellen gleichzeitig oder hintereinander von jeweils zwei Samenzellen befruchtet. Interessantes Detail am Rande: Zweieiige Zwillinge müssen nicht unbedingt zur gleichen Zeit empfangen werden.
Es können einige Stunden oder sogar Tage dazwischen liegen, da eine Frau auch über mehrere Tage hinweg fruchtbar sein kann. Sexuell sehr aktive Paare können also mit einer erhöhten Chance auf doppeltes Glück rechnen! Zwillinge, die aus zwei befruchteten Eizellen entstehen, teilen sich im Durchschnitt die Hälfte des Erbguts, manchmal ist es mehr, manchmal weniger.
Das erklärt, warum manche Zwillinge einander sehr ähnlich sind, während sich andere zueinander verhalten wie Tag und Nacht. Es gibt es bei ihnen sowohl die Kombination Mädchen-Bub, aber natürlich auch zwei Mädchen oder zwei Buben. Diese Art von Zwillingen kommt übrigens viel häufiger vor als die “echten” Zwillinge. In der modernen Geburtshilfe gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, die Ein – oder Zweieiigkeit schon in einem möglichst frühen Stadium festzustellen.
Ein erfahrener Gynäkologe kann den Unterschied schon ab der siebten Schwangerschaftswoche im Ultraschall erkennen, andernfalls verschafft die Untersuchung der Eihäute nach der Geburt oder ein Chromosomentest darüber Klarheit. Die Diagnose kann sehr bedeutend für den Verlauf der Schwangerschaft sein: Eineiige Zwillinge müssen zum Beispiel besonders gut überwacht werden, da manchmal Komplikationen mit der Nabelschnur auftreten können.
Welche Frauen bekommen Zwillinge
Je später eine Frau im Leben schwanger wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, Zwillinge (allerdings nur zweieiige) zu bekommen, und zwar deshalb, weil ein bestimmtes Hormon (FSH – follikelstimulierendes Hormon) mit zunehmendem Alter nicht mehr so gut funktioniert, so dass zwei Eizellen statt einer heranreifen, die dann wahrscheinlich auch beide befruchtet werden. Auf demselben Prinzip beruht eine Hormonbehandlung, weil durch die erhöhte Ausschüttung von Hormonen wiederum mehrere Eizellen gleichzeitig heranreifen.
Wer heutzutage die “Pille” nimmt, braucht jedoch keine Angst zu haben, nach dem Absetzen gleich mehrere Babys zu empfangen. Wenn jahrelange Versuche schwanger zu werden erfolglos bleiben, entschließen sich viele Frauen zu einer künstlichen Befruchtung. Dabei muss man fast damit rechnen, Zwillinge oder sogar Drillinge zu bekommen, denn es werden immer mehrere (in Österreich zum Glück nur höchstens drei) Eizellen außerhalb des Körpers befruchtet und in die Gebärmutter eingesetzt.
Wenn alle diese Eizellen den langen, mühsamen Weg in die Gebärmutter schaffen, um es sich dort gemütlich zu machen, könnte es ihnen dort mit der Zeit zu eng werden. Es gibt immer wieder Spekulationen über die “Vererbbarkeit” von Zwillingen.
Zwar wurde bislang noch kein Gen entdeckt, das für den zweifachen Segen verantwortlich gemacht werden kann, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit für eine Frau zweieiige Zwillinge zu bekommen, größer, wenn sie selbst Zwilling ist oder es in der Familie der Mutter schon irgendwann einmal Zwillinge gab.
Übrigens, auch noch so eifrige Samenspender haben keinen erwiesenen Einfluss auf die Möglichkeit, ein Produkt im Doppelpack zu erzeugen und es spielt auch keine Rolle, ob in der väterlichen Linie Zwillinge vorkommen. Auf die Entstehung eineiiger Zwillinge haben diese Faktoren überhaupt keine Bedeutung – sie sind ein reines “Zufallsprodukt”.
Häufigkeit der Zwillingsschwangerschaft
Zwillinge sind inzwischen gar nicht mehr so selten. In Europa entfällt etwa auf jede 80. Geburt eine Zwillingsgeburt, für Österreich bedeutet das 1.000 Mehrlingsgeburten (also Drillinge und Vierlinge miteingerechnet) pro Jahr.
Die Häufigkeit von zweieiigen Zwillingen ist aber nicht überall auf der Welt gleich: In Japan zum Beispiel kommen nur bei jeder 200. Geburt Zwillinge auf die Welt, während in der afrikanischen Bevölkerung, speziell in Nigeria, jede vierte Frau mit Zwillingen schwanger ist. Insgesamt betrachtet sind von allen Zwillingen auf der Welt etwa zwei Drittel zweieiig und ein Drittel eineiig.
Hallo da sind wir
Wie und wann werden Zwillinge entdeckt?
Mithilfe des modernen Ultraschalls kann eine Mehrlingsschwangerschaft heute schon ab der siebten Woche festgestellt werden. Wenn die zwei zunächst miteinander Verstecken spielen, kann es jedoch mitunter etwas länger dauern, bis der Arzt sie beide im Visier hat, und dann ist es für die meisten überraschten Zwillingsmütter ein Vorteil, dass die Ultraschalluntersuchung im Liegen gemacht wird. Manchen würde es sonst nämlich buchstäblich den Boden unter den Füßen wegreißen.
Drillinge oder Vierlinge überlagern sich in der Frühschwangerschaft besonders gerne und zeigen sich erst nach und nach im Ultraschall. Aber keine Angst – mit einer Überraschung während der Geburt ist heute dank der genauen Untersuchungen in einer Zwillingsschwangerschaft nicht mehr zu rechnen.
Doppelt schwanger
Ist die Nachricht vom doppelten Nachwuchs dann erst einmal verdaut, stellen sich werdende Zwillingsmütter meistens die Frage, was denn nun wirklich anders ist, wenn sich zwei Babys im Bauch tummeln. Die größte Gefahr in einer Zwillingsschwangerschaft liegt darin, dass die Babys zu früh auf die Welt kommen, da die Wehen vorzeitig einsetzen können.
Das steht in Zusammenhang damit, dass der Muttermund durch den starken Druck der Babys zu früh aufgehen kann. Auch ein vorzeitiger Blasensprung ist eine häufige Ursache für einen verfrühten Wehenbeginn.
Deshalb dauert eine Zwillingsschwangerschaft im allgemeinen einige Wochen weniger als bei Einlingen. Das Wichtigste ist in regelmäßigen Abständen zum Arzt zu gehen, denn nur durch genaue Ultraschalluntersuchungen kann festgestellt werden, ob es den Babys gut geht und ob irgendwelche Risiken bestehen. Die üblichen Beschwerden in der Schwangerschaft wie Übelkeit, Müdigkeit, Verdauungsbeschwerden und Wassereinlagerung aber auch Gefühlsschwankungen können in einer “doppelten Schwangerschaft” stärker ausgeprägt sein, aber erwarten sollte man das nicht!
Es gibt Schwangere mit zwei Babys im Bauch, denen es besser geht als so mancher Schwangeren mit nur einem Kind. Erwähnt sollte allerdings schon werden, dass es für uns nicht die natürlichste Sache auf der Welt ist, mehr als ein Baby auf einmal zu bekommen. Eine sorgfältige Auswahl der Geburtsklinik mit angeschlossener neonatologischer Intensivstation (Frühgeborenenstation) ist daher im Interesse der werdenden Zwillingseltern unbedingt zu empfehlen, damit sowohl für die neugeborenen Kinder als auch für die Mutter im Falle von Komplikationen sofort die richtigen Maßnahmen ergriffen werden können.
Alles überstanden – was nun
Da liegen sie nun, die kleinen Würmchen, und jeder bestaunt sie. Für frischgebackene Zwillingsmütter beginnt jedoch jetzt erst die wohl anstrengendste und herausforderndste Zeit ihres Lebens. Die meisten Zwillingsmütter sind sich einig: die ersten zwei Jahre sind hart (es soll zwar Zwillingsmütter geben, die sich zeitweise langweilen, doch das ist wohl eher die Ausnahme), aber dann geht es immer mehr bergauf.
Es ist eine wunderbare, sehr interessante Erfahrung Zwillinge – egal ob eineiig oder zweieiig – nebeneinander aufwachsen zu sehen, ihre im Kleinkindalter oft schon stark ausgepräg-te Beziehung zueinander zu beobachten und die Besonderheiten im Zwillingsalltag tagtäglich zu erleben. “Was gibt es Schöneres als zwei drei Monate alte Babys aneinandergekuschelt schlummern zu sehen, da vergisst man so manche Nacht, in der man selbst nicht zum schlafen gekommen ist”, berichtet eine Zwillingsmutter aus Wien.
Die Mühe der ersten Jahre macht sich jedoch später bezahlt: Wenn Zwillinge ins Alter der Rollenspiele kommen, ist immer ein Kunde für den “Kaufmannsladen” oder ein “Patient”, der “verarztet” werden muss, zur Stelle, und dann können sich Zwillingsmütter auch einmal entspannt zurücklehnen – vielleicht sogar öfter als Mütter mit “Einzelkindern”.
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Text: Jürgen Steiner
Foto: Ekaterina Shtern/Shutterstock