„Bei der Arbeit wird nicht gelacht …

…erst recht nicht im Krankenhaus.“ Wenn zwei Kinderchirurgen ein Buch schreiben, haben Sie einiges zu erzählen. Die Kinderdocs Benedict-Douglas Sannwaldt und Till Rausch im Fratz&Co Interview über Lappalien, Papierkram und die richtige Reaktion wenn tatsächlich mal was passiert.

Die Zeiten ändern sich: „Früher waren die Kollegen in der Notaufnahme wirklich alarmiert, wenn ein Rettungswagen angekündigt war, heute fahren die im Stunden- oder gar Minutentakt vor“, erzählt Benedict-Douglas Sannwaldt aus der Praxis eines Kinderchirurgen. In Ihrem Buch „Verknackst, Verschluckt, Verbrannt – Wie ihr euren Kids zu Hause helft – und wann ihr in die Klinik solltet“ haben sie – mit Anekdoten die zum Schmunzeln anregen – einen mehr als hilfreichen Ratgeber für den Alltag mit Kindern verfasst. Wir haben die Kinderdocs zum Interview gebeten.

 

Fratz&Co.: Warum setzt man sich als Arzt bzw. Kinder-Chirurg nach einem nicht gerade kurzen Arbeitstag – so nehme ich an – hin und schreibt ein Buch. Was war Ihr Motivation zu „Verknackst, verschluckt, verbrannt: Das Buch, das die Notaufnahme ersparen kann“?
Dr. Benedict-Douglas Sannwaldt: Wir haben in der Notaufnahme – obwohl wir unseren Job sehr gerne machen – unglaublich viel mit kleinen Wehwehchen und Lapalien zu tun, wegen der wir früher nicht einmal unsere Eltern informiert hätten geschweige denn zum Arzt gegangen wären. Fragt man ältere Kollegen, hat sich das Profil in den Notaufnahmen deutlich gewandelt, die Unsicherheit ist größer geworden. Die Menschen können nicht mehr aushalten und abwarten, alles muss sofort behandelt und geheilt werden. Dadurch haben wir deutlich weniger Zeit für die wirklich kranken oder verletzten Patienten. Da haben wir uns gefragt, kann man das wieder ändern? Naja und dieses Buch ist nun ein Versuch, Aufklärung zu betreiben und den Menschen etwas mehr Sicherheit zu vermitteln. Es hat uns einfach viel Spaß gemacht, unser alltägliches Tun zu verschriftlichen und uns zu überlegen, wie man unsere Themen möglichst einfach erklären kann. Zu guter Letzt sind wir nicht nur Kollegen, sondern auch gute Freunde geworden und haben viel Spaß daran zusammen zu arbeiten.

Bürokratie nimmt (mitunter) die Freude am Beruf

Ich gehe davon aus, dass Sie selbst in der Notaufnahme arbeiten bzw. gearbeitet haben. Wenn man in Österreich in eine Krankenhaus-Notaufnahme kommt, hat man oft das Gefühl, dass zuerst einmal der Papierkram erledigt werden muss bevor man sich um das Kind bzw. den Patienten kümmert. Sprich die Bürokratie – die in den letzten Jahren wie es scheint zugenommen hat – geht vor? Ist das in Deutschland ähnlich?
Ja sehr! Ebenfalls einer dieser Punkte die uns Klinikmitarbeiter und – mitarbeiterinnen sehr stört! Es kommt immer noch mehr hinzu, hier ein Dokument, da eine Unterschrift, alles zur Qualitätssicherung. Dazu kommt durch die zunehmende Ökonomisierung eine ohnehin häufig unzumutbare Zahl an Patienten in den Sprechstunden und auf den Stationen. Natürlich ist eine sorgfältige Dokumentation auch fachlich wichtig, aber es nimmt darüber hinaus wirklich oft zu große Ausmaße an. Und all diese bürokratischen Tätigkeiten werden auf uns Ärzte und Ärztinnen bzw. die Pflegenden abgewälzt. Für viele von uns nimmt es wirklich ein Stück weit die Freude an dem Beruf, denn wir möchten ja in erster Linie an und mit den Menschen arbeiten und zur Heilung beitragen. Ja, in Deutschland ist es ähnlich und wir hätten es gerne wieder anders!

 

Panik und Hektik helfen Niemandem

Wie sollten Eltern reagieren, wenn es wirklich einmal zu einem Unfall kommt?
Auf jeden Fall erst einmal Ruhe bewahren und den Überblick behalten, das können wir nicht oft genug betonen! Panik und Hektik helfen weder dem Kind noch dem medizinischen Personal. Ist es wirklich schlimm, sollte man sich immer Hilfe aus der Umgebung holen, damit sich eine möglichst vertraute Person um das Kind kümmern und jemand anderes Hilfe holen kann. Wird ein Notruf abgesetzt, natürlich immer die W-Fragen beantworten!
Wo ist das Geschehen, wer ruft an bzw. ist verletzt, was ist geschehen und wie viele sind beteiligt. Auch wenn man noch so aufgeregt ist, für die Kleinen ist es immer besser nach außen hin Ruhe auszustrahlen.

Was sind die häufigsten Verletzungen bei Kindern, die Ihnen im Alltag begegnen?
In der Notaufnahme sind das vor allem Prellungen des Schädels und der Nase bzw. leichte Gehirnerschütterungen, Wunden aller Art (vom Kratzer über Schürfwunden bis zu tieferen Schnittwunden), Prellungen und Brüche an den Extremitäten (vor allem am Unterarm) oder Verletzungen des Sprunggelenkes nach einem Umknicktrauma.

Gibt es da einen Unterschied zwischen Kleinkindern bis sechs und den etwas Älteren?
Ja, es gibt schon typische Verletzungen die bei Jugendlichen eher auftreten als bei Kleinkindern und umgekehrt. Zum Beispiel ändert sich die Struktur der Knochen im Wachstum. Bei den Kleinsten sind die Wachstumsfugen an den Knochen eine Schwachstelle für Brüche, das heißt bei Verletzungen bricht der Knochen öfter in diesem Bereich und Verletzungen der Gelenke der Bänder sind eher selten. Ab dem Jugendalter, wenn die Wachstumsfugen sich verschließen, kann es dann auch eher zu Brüchen mit Gelenkbeteiligungen kommen oder zu Bänderrissen, da der Knochen dann im Vergleich zu den Bändern stabiler wird.

 

… aber morgen ist ein Fussballturnier …

Viele Eltern denken sich, wenn etwas passiert zuerst einmal: „Sicher ist sicher“ und fahren sofort in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Was spricht dagegen?
Naja, wenn es dem Kind recht gut geht und der Unfall nicht besonders schlimm war, dann kann in vielen Fällen zumindest erst einmal etwas abgewartet werden ob Besserung eintritt. Man darf auch zuhause Schmerzmittel geben. Viele Eltern haben Angst, dass wir dann den Ernst der Situation verkennen. Das ist Quatsch! Wir können an dieser Stelle nicht einzeln aufzählen bei welchen Verletzungen man wirklich in die Notaufnahme muss oder wann nicht. Aber wenn keine Lebensgefahr besteht und die Situation aushaltbar ist, warum nicht erstmal abwarten? Klar, ist der Arm nach einem Sturz völlig krumm und schief, dann muss man nicht lange überlegen. Überlegt man aber ewig hin und her ob das Handgelenk tatsächlich etwas geschwollen ist oder nicht, dann kann auch ruhig erstmal eine Nacht drüber geschlafen werden. Oft hören wir Sätze wie: Naja, morgen ist ein Fußballturnier, da wollten wir es vorher noch einmal abklären lassen. Das ist für uns eben kein Argument, nachts in die Notaufnahme zu rennen. Ein Bruch tut ohnehin am nächsten Tag noch so sehr weh, dass ein Fußballturnier nicht möglich wäre. Und sollte es nur eine Prellung sein, heilt diese durch den Arztbesuch auch nicht schneller ab….

Ist es wirklich so, dass ein großer Teil der Arbeit in der Notaufnahme darin besteht besorgte Eltern zu beruhigen und viele Besuche in der Notaufnahme nicht notwendig sind?
Ja, das ist wirklich so. Wir haben selbst keine Statistik geführt, das wäre auch nicht so leicht zu erfassen. Aber viele Fälle müssten unserer Meinung nach nicht einmal ärztlich behandelt werden, geschweige denn in einer Notaufnahme. Zum Beispiel die Bauchschmerzen, die seit 3 Wochen bestehen und nicht schlimmer geworden sind…. Früher waren die Kollegen in der Notaufnahme wirklich alarmiert, wenn ein Rettungswagen angekündigt war, heute fahren die im Stunden- oder gar Minutentakt vor.

 

Nur 30 % sind echte Notfälle

Wie würden Sie – prozentuell betrachtet – die Zeit einschätzen, die Sie tatsächlich für echte Notfälle aufbringen?
In der Notaufnahme vielleicht geschätzt 30%? Es gibt natürlich einen weiteren großen Teil der eine ärztliche Behandlung rechtfertigt, aber einfach nicht so dringlich ist. Klar, wir können nicht immer verlangen das die Patienten das selbst einschätzen können, sonst hätten wir ja auch kaum noch Daseinsberechtigung. Aber ein bisschen mehr Gefühl für die Dringlichkeit der Verletzungen und Erkrankungen fänden wir gut. Es liegt aber auch nicht immer nur an den Patienten, auch die ambulante Versorgungsstruktur in den Praxen scheint überlastet zu sein. Viele Praxen sind überlastet, es ist schwer an Termine zu kommen. Die Behandlung erfolgt teilweise im 3-Minuten Takt und sobald es etwas aufwändiger wird, dann landen all diese Kinder eben doch in der Notaufnahme.

 

Ein Spiegelei am verknacksten Knöchel

Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas: Gibt es ein oder zwei Episoden aus Ihrem Berufsalltag, bei der Sie im Nachhinein schmunzeln mussten?
Ohja… Die gibt es immer wieder. Die Kleinen können ja wirklich immer wieder erfrischend ehrlich sein. Ein Kind hat uns neulich verboten zu lachen, als wir beim Verbandswechsel viel herumgescherzt und gelacht haben. Bei der Arbeit würde nicht gelacht, erst recht nicht im Krankenhaus. Natürlich haben wir dann noch mehr Spaß gehabt.
Ein anderer, für die Patientin nicht so lustiger Fall lief folgendermaßen ab: Eine Jugendliche kam aus einem Ferienlager mit einer Verbrennung am Knöchel zu uns. Sie war umgeknickt, und ein Betreuer hatte ihr ein gebratenes Spiegelei auf den Knöchel gelegt. Klar muss man da in sich hineinschmunzeln, aber es muss auch echt unangenehm gewesen sein.

Last but not least – können Sie uns noch ein wenig über sich selbst erzählen?
Ich (Benedict) bin gebürtiger Ostwestfale und nach Schule und Zivildienst zum Studium nach Lübeck gezogen. Erst spät im Studium kam mir die Idee mit Kindern zu arbeiten, obwohl mir Freunde das schon häufiger nahegelegt haben. Nach einem kleinen Abstecher in die Allgemeinchirurgie wurde es dann die Kinderchirurgie. Ich lebe mittlerweile seit 8 Jahren in Hamburg und habe im Jahr zuvor meine Ausbildung zum Facharzt abgeschlossen. Neben der Arbeit bin ich begeisterter Sportler und Literaturfan.
Till und ich haben uns früh bei der Arbeit kennengelernt und sind nun seit einigen Jahren Kollegen und darüber hinaus Freunde geworden.

 

 

Bild: Sujet/pixabay/Petra

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VERKNACKST, VERSCHLUCKT, VERBRANNT

Wie ihr euren Kids zu Hause helft – und wann ihr in die Klinik solltet

Die  Autoren von links: Dr. Benedict-Douglas Sannwaldt (links) und Till Rausch. (Foto: Junior Medien/Anja Jung)

Das Baby greift in den kochend heißen Brei. Das Kleinkind steckt sich die Erbse zu tief in die Nase. Die Tochter sticht sich mit einem Ast ins Auge. Der Sohn knallt auf dem Trampolin mit seinem Kumpel zusammen: Unfälle dieser Art gehören zum Familienalltag dazu. Der erste Impuls vieler Eltern: Ab in die Klinik! Dabei handelt es sich bei einer überwältigenden Mehrheit der Verletzungen gar nicht um echte Notfälle. Die Folge: Viele Notaufnahmen sind überlastet, die Nerven aller Anwesenden zum Zerreißen gespannt.

Mit ihrem Buch bieten die beiden Ärzte eine wertvolle Orientierungshilfe für die Frage, wie dramatisch die Lage nach einem Unfall oder bei einer Verletzung wirklich ist. Denn sie wissen: Die meisten kleinen Patienten in der Notaufnahme gehören nicht wirklich hierher. Mit viel Verständnis für besorgte Eltern bieten die Kinderdocs einen herrlich ehrlichen Einblick in den hektischen Alltag der klinischen Notaufnahme – und wollen dort unnötige Besuche vermeiden.

Das Buch können Sie unter anderem hier bestellen: https://shop.falter.at/detail/9783982299297/verknackst-verschluckt-verbrannt