Bei den Erwachsenen liegen die Nerven blank, doch die Psyche der Kinder und Jugendlichen leidet am stärksten unter den Folgen der Corona-Pandemie bzw. den damit verbundenen Lockdowns. Schulschließungen, Fernunterricht, Kontaktverbote lassen die jungen Menschen vereinsamen und sorgen für psychische Belastungen. Einer Studie der Donauuni Krems zufolge haben mehr als 50 Prozent der Jugendlichen Depressionen und rund jeder Sechste hat schon einmal an Selbstmord gedacht hat. Die klinische Psychologin Judith Raunig hat gemeinsam mit der Filmemacherin Patricia Marchart den Film „Lockdown:Kinderrechte“ produziert, in dem Experten und Betroffene zu Wort kommen.
fratz.at: Frau Raunig, sind Sie eine Corona-Leugnerin?
Judith Raunig: Nein, und ich bin auch alles andere als rechts. Ich denke nur es ist hoch an der Zeit, dass man bei den Maßnahmen die gesetzt werden Abwägungen trifft. Natürlich müssen wir die älteren Menschen und auch jene mit Vorerkrankungen schützen, aber man sollte dafür nicht die psychische und körperliche Gesundheit unserer Kinder opfern.
fratz.at: Entschuldigen Sie die provokante Frage zu Beginn, aber derzeit herrscht in Österreich eine derartige Polarisierung, dass jeder der nicht sofort alle getroffenen Maßnahmen für gut und richtig hält sofort in das Lager der Corona-Leugner eingeordnet wird. Jetzt zum eigentlichen Thema: Sie haben gemeinsam mit der Filmemacherin Patricia Marchart den Film „Lockdown Kinderrechte“ gemacht. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Judith Raunig: Durch Zufall. Ich bin von Beruf Klinische Psychologin und habe relativ rasch festgestellt, dass im Zusammenhang mit den Lockdowns die Menschen aber vor allem die Kinder unter die Räder kommen. Da habe ich mir gesagt ich muss etwas tun, um auf die Situation der Kinder aufmerksam zu machen und bin dabei auf die ICI (Initiative für evidenzbasierte Corona Informationen) gestoßen. Dort habe ich die Filmemacherin Patricia Marchart kennengelernt, die irgendwann meinte: „Machen wir doch einen Film. Anfangs wollten wir nur einen eher kurzen Film machen, um auf die Situation der Kinder aufmerksam zu machen. Es sind dann aber so viele spannende Menschen dazugestoßen, dass aus dem Film eine richtige Dokumentation geworden ist.
fratz.at: Sie haben selbst drei Kinder, wie haben Sie die Lockdowns bzw. das Homeschooling empfunden?
Judith Raunig: Sie haben Recht ich bin selbst betroffen. Ich habe allerdings das Glück, dass ich am Land lebe wo meine Kinder raus können. Ich bin – Gott sei Dank – nicht in der Stadt mit drei Kindern in einer kleinen Wohnung eingesperrt. Aus meiner täglichen Praxis weiß ich aber, dass einige meiner Klientinnen durch die aktuelle Situation hochbelastet sind. Meine Kinder gehen ins Gymnasium bzw. in eine NMS und ich muss sagen die Lehrer dort machen das sehr gut. Natürlich geht meiner Tochter, die in eine NMS mit Sportschwerpunkt geht, das Volleyballtraining ab.
Dazu kommt, dass ich das Glück habe, dass meine Kinder was das Lernen betrifft sehr selbstständig sind. Es gibt aber auch viele andere Kinder die brauchen die Schule. Die können Sie online nicht abholen, die vereinsamen zusehends.
fratz.at: Wie waren die bisherigen Reaktionen auf Ihren Film?
Judith Raunig: Überraschend positiv. Wir haben im Internet speziell auf Youtube, wo unser Film abrufbar ist (Link: http://bit.ly/fratz_lockdown_kinderrechte_film) eine Welle an Zuspruch und ganz viele positive Stellungnahmen bekommen. Mittlerweile wurde der Film, den wir ja erst kürzlich online gestellt haben von fast 50.000 Menschen aufgerufen. In der APA war unsere Presseaussendung am Sonntag die meistgelesene Aussendung. Was mich ein bisserl verwundert hat war, dass in den Medien eigentlich gar nichts berichtet wurde.
fratz.at: Im Film, an dem unter anderen auch die Schauspielerin Nina Proll mitwirkt, geht es auch um die Werbung mit denen die Schutzmaßnahmen angepriesen werden. So etwa um einen Spot in dem ein Mädchen sagt, dass es die Oma nicht besucht, weil sie nicht will, dass diese krank wird. Wie sehen Sie diese Werbespots?
Judith Raunig: Da wird Angst verbreitet. Vor allem dieser eine Spot ist ganz perfide, weil er unterschwellig mit Schuldzuweisungen arbeitet. So als ob der Besuch des Kindes bei der Oma unweigerlich zu einer Erkrankung der Oma führen würde. Den Kindern wird suggeriert da ist Gefahr in Verzug, man muss höllisch aufpassen. Als Trauma-Therapeutin weiß ich, dass das dazu führt, dass die Kinder permanent unter Strom stehen. Von Klientinnen weiß ich, dass die Kinder in der Schule schon zusammenzucken wenn im Klassenzimmer gehustet wird. Man muss aufpassen, dass man dem Hustenden ja nicht zu nahekommt. Unser ganzer Fokus ist völlig verzerrt. Wir versuchen nicht herauszufinden wo und wie die Ansteckungen stattfinden, sondern setzen seit einem Jahr auf das Androhen von Strafen. Wir bestrafen 14 und 15jährige dafür, wenn sie sich zu nahe kommen, was sich im Alltag aber nur schwer vermeiden lässt.
Was mich verwundert ist, dass die Politik trotzdem weitermacht wie bisher. Wie es den Kindern und Jugendlichen geht wird ausgeblendet. Gut der Bundeskanzler hat keine Kinder, aber es gibt ja auch noch andere in der Politik bzw. der Regierung die Kinder haben.
fratz.at: In einer Studie der Donauuniversität Krems, für die mehr als 3000 Schülerinnen und Schülern befragt wurden heißt es, dass mehr als 50 Prozent der Jugendlichen Depression haben und rund jeder sechste schon einmal an Selbstmord gedacht hat. (https://orf.at/stories/3203595/)
Judith Raunig: Erschreckend. Das Thema kommt auch im Film vor. Katrin Skala, die Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, hat etwa erzählt, dass sie so vorher noch nie erlebt hat, dass bereits Elfjährige Selbstmordversuche unternehmen. Die Zahl der Kinder mit psychischen Erkrankungen wird massiv zunehmen.
fratz.at: Das eine massive Zunahme von psychischen Erkrankungen zu erwarten ist habe ich so auch schon von anderen Psychologen gehört. In der Öffentlichkeit will darüber aber keiner reden. Es ist fast wie eine Mauer des Schweigens.
Judith Raunig: Ja, es ist eine Mauer des Schweigens. Mit dem Film versuchen wir diese Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Das viele nicht reden wollen hat auch mit der Angst vor möglichen Konsequenzen zu tun. Ich bin selbstständig, mir ist das relativ Wurscht. Bei der Demonstration, die ich am 20. November dem Tag der Kinderrechte zu dem Thema mit organisiert habe, haben zahlreiche Redner abgesagt, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen durch ihren Arbeitgeber hatten.
fratz.at: Noch eine Frage zu den Kosten und zur Finanzierung des Films: Sie haben gleichzeitig mit dem Filmstart auch eine Fundraising-Kampagne gestartet. Weshalb und wer hat sie bereits unterstützt?
Judith Raunig: Das war zugegeben etwas schwierig. Wir haben den Film gemacht, weil er uns ein echtes Anliegen ist. Wir haben losgelegt ohne viel über die Finanzierung nachzudenken. Auch auf das Risiko hin, dass wir das Meiste selbst finanzieren müssen. Die ICI und Christian Fiala haben uns ermöglicht, überhaupt zu beginnen.
Bekannte haben uns dann auf die Möglichkeit, eine Fundraisingkampagne zu starten , hingewiesen. Ich bin da eine ziemliche Anfängerin. So versuchen wir, die Kosten etwas zu minimieren. Eigentlich habe ich mir erwartet, dass die Menschen so an die 10 Euro spenden würden, ungefähr das was eine normale Kinokarte kostet. Es sind aber auch einige die an die 100 Euro spenden- daran merken wir wie wichtig den Menschen dieses Thema ist. Über die Fundraising-Kampagne wollen wir rund 20.000 Euro hereinbekommen. Eigentlich nicht viel, wenn man bedenkt, dass normalerweise eine Minute eines Dokumentarfilmes an die 1.000 Euro kostet. Das weiß ich, weil ich schon einmal mit dem ORF einen Dokumentarfilm gemacht habe. Bei unserem 83minütigen Film wären das 83.000 Euro. Sollten wir mehr als die anvisierten 20.000 Euro hereinbekommen würden wir das Geld in ein neues Projekt stecken. Wir haben da schon einige Ideen, denn es gibt noch sehr viel zu tun!
Danke für das Gespräch.
Hier geht’s zum Film:
Hier geht es zur Fundraising-Kampagne für den Film:
Bilder: pixabay_Vasadi_Viorel, bzw. beigestellt von Judith Raunig