“Wohnt da wirklich die ganz echte Pippi?“ fragt meine kleine Tochter, kaum dass wir im Flieger sitzen. Sie kann es kaum erwarten, den Figuren aus Astrid Lindgrens Geschichten zu begegnen. Womit ein Besuch im Lindgren-Museum schon einmal ein Fixpunkt auf unserer Stockholm-Reise ist. Aber nicht nur die Kleinen erwartet jede Menge Spaß und Unterhaltung – auch uns Erwachsenen hat die Stadt am Wasser viel zu bieten. Kaum aus dem Flieger geklettert, können wir uns vom Leben, das hier herrscht, überzeugen. Per Schnellzug geht es in Höchstgeschwindigkeit direkt ins Zentrum, an uns vorbei fliegt die Landschaft, die wir als nicht viel mehr als grün mit kleinen rot-weißen Häuschen wahrnehmen. Zeit verliert man hier keine, das kommt uns für unseren Wochenend-Städtetripp auch durchaus gelegen.
Per pedes geht es von der Zugstation in unser Hotel, das praktischerweise direkt in einem Einkaufshaus gelegen ist. In unserem Hotelzimmer angekommen, stellen wir zum ersten und nicht zum letzten Mal auf dieser Reise fest: Wir scheinen uns in einem überdimensionalen Ikea-Einkaufshaus zu befinden. Unser Zimmer ist klein und dabei so etwas von praktisch eingerichtet, wie man es bei uns zu Hause vor allem aus dem schwedischen Möbelhaus kennt. Nachtkästchen schweben frei zu beiden Seiten des Bettes und sind zugleich Leselampen und Halterungen für Bücher und Kleinkram. Das Zustellbett tarnt sich so gekonnt als Sofa, dass wir es gar nicht als solches erkennen und an die Rezeption gehen, um uns zu beschweren. Um einige Informationen reicher – die Schweden sprechen so perfekt Englisch, dass uns die Verständigung nicht schwer fällt – kehren wir in unser Zimmer zurück und tatsächlich: Das Sofa lässt sich mit einem Handgriff zur Schlafstätte für zwei umfunktionieren und beinhaltet gleich auch das nötige Bettzeug.
Als wir dann in einem Lokal gleich ums Eck unseres Hotels sitzen und Fleischbällchen essen, sind wir endgültig sicher: Schweden ist Ikea – oder vielmehr: Ikea ist Schweden wie es leibt und lebt. Design in seinen verschiedensten Varianten begegnet uns dann auch am nächsten Tag bei unserem Besuch von Gamla Stan. Das alte Viertel geht auf das Jahr 1252 zurück und gehört zu den besterhaltenen Stadtkernen Europas. Die engen Gässchen – die schmalste ist gerade einmal 90 Zentimeter breit – ziehen sich über eine der insgesamt 14 Inseln, auf denen sich Stockholm erstreckt. Hier weht uns erst ein ziemlich touristischer Wind um die Nasen, aber je weiter wir uns vom Königspalast entfernen, umso authentischer wird die Atmosphäre. In einem malerischen Lokal, ganz im typischen Schweden-Stil eingerichtet und dekoriert, legen wir eine Pause ein. Günstig ist es hierzulande nicht, sich den Bauch voll zuschlagen. Wer einigermaßen preiswert über die Runden kommen möchte, ist mit den kleinen Cafés, die Herkömmliches wie Fleischbällchen,Püree, Lachs anbieten, gut beraten. Neben der klassischen Küche hat sich in Stockholm allerdings eine Haubenküche modernster Prägung einen Platz geschaffen. Restaurants wie Frantzén/Lindeberg, Mathias Dahlgren oder Lux Stockholm gelten als kulinarische Hot Spots der Stadt und sind auf Wochen ausgebucht.
Kunst im Untergrund
Von der mitreißenden Dynamik dieser Stadt machen wir uns auch unter der Erde ein abwechslungsreiches wie farbenfrohes Bild: Das Stockholmer U-Bahnnetz dient der hiesigen Kunstszene als überdimensionale Ausstellungsfläche. Etwa 150 Künstler haben sich hier seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit Skulpturen, Mosaiken, Gemälden, Installationen verewigt. So tauchen plötzlich überdimensionale Malereien quasi aus dem Nichts auf – und man vergisst glatt an der richtigen Station auszusteigen, so ist man mit Schauen und Staunen beschäftigt. Wir beschließen daher, gleich ein Ticket für eine Rundfahrt zu lösen. Sich in Stockholm mit Verkehrsmitteln fortzubewegen ist übrigens nicht immer ganz einfach. Aufgrund der zahlreichen Inseln, aus denen die Stadt besteht, ist das U-Bahnnetz ebenso wenig durchgängig wie das Busnetz, das Touristen in der warmen Jahreszeit zur Verfügung steht. Mit den Touristenbussen können aber die wichtigsten Sehenswürdigkeiten einfach und bequem erreicht werden und man bekommt auf den Fahrten einen guten Eindruck von der Stadt. Auch eine Bootsfahrt sollte man sich nicht entgehen lassen, es gibt die verschiedensten Routen und die meisten eröffnen interessante Perspektiven vom Wasser auf die diversen Stadtteile von Historisch bis Top-Modern. Per Boot geht es auch ins Schloss Drottningholm, seit 1991 UNESCO-Weltkulturerbe, wo die Königliche Familie ihren Wohnsitz hat. Mit der vor kurzem geborenen Prinzessin Estelle, Tochter von Kronprinzessin Victoria von Schweden, ist diese um ein weiteres Familienmitglied, für das die Herzen der Schweden schlagen, reicher. Die Geschichte des Königshauses wird auch bei der Besichtigung des Königlichen Schlosses mit seinen 600 Zimmern und fünf Museen gegenwärtig. Besonders beliebte Highlights sind Wachparade und Wachablöse der Garde vor dem Palast.
Vasa & Astrid Lindgren
Geschichte und Geschichten werden auch bei unserem Besuch im Vasa-Museum wach. 1961 gefunden, schaffe es das beeindruckende Kriegsschiff bei seiner Jungfernfahrt im 17. Jahrhundert nur bis zur zweiten Windböe auf dem Wasser zu bleiben. Heute ist es in einem eigenen Museum zu sehen, das eigens für das zu 95 Prozent original erhaltene Schiff erbaut wurde und aus deren Dach die Takelage der Vasa ragt – schon beim Näherkommen ein interessanter Anblick. Auf vielen auch interaktiven Stationen gibt die Ausstellung Einblick in den Bau, die Menschen auf dem Schiff und das Leben in jenen Tagen. Der Ansturm der Touristen auf diesen Fix-Punkt einer Stockholm-Besichtigung ist groß, aber der Besuch lohnt sich. Von der Vasa ist es nur ein paar Schritte bis zur Welt von Astrid Lindgren, wo wir per Miniatur-Zug durch nachgestellte Szenenbilder ihrer Geschichten geführt werden. Michel aus Lönneberga, Madita, Karlsson vom Dach und Pippi begegnen wir im Museum Junibacken ebenso wie weniger bekannten Figuren der großen schwedischen Kinderbuchautorin.
Groß und Klein haben auch in Skansen ihren Spaß. Highlight für die Kids ist der angeschlossene Zoo mit Rentieren, Wölfen und vielen anderen Tieren. Der große Park selbst ist der schwedischen Alltagsgeschichte gewidmet. In der Bäckerei aus 1870 duftet es so herrlich, dass wir den frischen Backwaren nicht widerstehen können. Ein willkommener Proviant, denn wie wir bald feststellen werden, sollte man für den Aufenthalt in Skansen einige Stunden einplanen. Weiter geht es an der Töpferei, der Post, dem Sommerhaus des Vikars vorbei zu den Farmen. An der alten Flachsmühle rauscht heute noch der Bach. Das Sympathische an dem ersten Open-air-Museum der Welt: Die Gebäude, die seit dem 19. Jahrhundert hier errichtet wurden, werden sozusagen von Menschen aus alter Zeit bewohnt. Sie stehen Interessierten Rede und Antwort und erzählen ganz zwanglos, wie das Leben einst war. Schweden zeigt sich eben selbst dann lebendig, wenn es um die Geschichte geht …
Text: Johanna Kröner