Bis zu 80 Prozent der frischgebackenen Mütter sind nach der Geburt ihres Kindes nicht uneingeschränkt glücklich. Babyblues und Postpartale Depression sorgen für Gefühlschaos. Wie man sie erkennt und was man dagegen tun kann.
Alexandra kann die Tränen kaum zurückhalten – dabei ist sie doch überglücklich, ihre kleine Lea endlich in die Arme schließen zu können. Wie sehr hat sie sich auf ihr kleines Mädchen gefreut, und nun kann sie sich die widersprüchlichen Gefühle nicht erklären. So hat sich Alexandra die ersten Tage mit ihrem Kind nicht vorgestellt. Alexandra schämt sich. Dabei ist sie nicht die einzige Mutter, die nach der Geburt ihres Kindes in ein Gefühlschaos stürzt: Die Geburt eines Kindes bedeutet immer eine schwerwiegende Veränderung der Lebensumstände und erfordert eine große Anpassungsleistung. Wer in der ersten Zeit mit dem Neugeborenen nicht gerade auf einer rosaroten Wolke schwebt, leidet möglicherweise am Babyblues oder an einer Postpartalen Depression.
Der „Babyblues“ (auch postpartaler Blues oder Postpartale Dysphorie) ist eine recht häufige Reaktion auf die vielen unterschiedlichen Veränderungen durch die Geburt eines Kindes und durch die hohen Anforderungen der neuen Rolle als Mutter. Er tritt zwischen dem dritten und zehnten Tag nach der Geburt auf und betrifft 25–80 Prozent aller frisch-gebackenen Mütter. Diese Zahlen schwanken so stark, da viele Frauen sich ihrer Symptome schämen, erwartet man doch wenige Tage nach der Geburt eines Kindes eine glücklich strahlende Mutter, die ihr Kind anhimmelt! Typisch für den Babyblues sind: Weinerlichkeit, Niedergeschlagenheit, Sorgen um das Baby und die Zukunft, Konzent-rationsstörungen, Reizbarkeit und Aggressivität, Stimmungslabilität, Gefühle der Verwirrtheit, leichte Schlaf und Appetitstörungen.
Was kann man tun?
Oft ist es schon entlastend, mehr Informationen zu erhalten. Wenn man erfährt, dass diese vorübergehende Verstimmung normal ist, werden die Schuldgefühle geringer. Der Partner und das soziale Umfeld der Frau können mit Verständnis und entlastender Hilfe (etwa im Haushalt oder bei der Babypflege) stark unterstützend eingreifen. Eine Geburt und der Übergang zur Mutterschaft (egal ob es die erste oder eine weitere Geburt ist!), erfordern eine enorme körperliche und psychische Anpassungsleistung. Der Babyblues ist also auf keinen Fall ein Zeichen von Schwäche! Eine Postpartale Depression kann in den ersten Wochen bis drei Monaten, seltener erst einige Monate nach der Geburt entstehen. Sie wird auch „Smiling Depression“ genannt,weil betroffene Mütter ihrer Umwelt ein Lächeln vorspielen und ihre Symptome zu verbergen versuchen. Manchmal handelt es sich nur um eine kurze depressive Episode, üblicherweise dauert der Zustand unbehandelt aber viele Wochen, manchmal sogar Jahre lang an. Jede Frau kann betroffen sein, unabhängig von Alter, Familienstand oder Anzahl der Geburten. Das Risiko für Frauen, die zu einem früheren Zeitpunkt entweder selber an einer psychischen Erkrankung litten oder familiär vorbelastet sind, ist deutlich erhöht. Jede sechste oder siebte Frau entwickelt, wenn sich zu viele Risikofaktoren ansammeln, nach einer Geburt eine Depression.
Mütter haben oft ein Schlafdefizit, da Babys anfangs noch einen unregelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus haben. Durch die andauernde Erschöpfung gelingt es dann manchmal nicht mehr abzuschalten oder zu entspannen. Die ständige Alarmbereitschaft lässt auch kaum Zeit für die Partnerschaft. Viele Männer fühlen sich dann zu wenig beachtet und ziehen sich zurück, was Frauen dann wieder als Zurückweisung interpretieren. Das fehlende Einkommen der Frau und die finanzielle Abhängigkeit vom Partner können zusätzlich belasten. Babys sind sehr sensibel und reagieren oft auf diese angespannte Situation. Sie werden unruhiger, schreien mehr oder lassen sich schwer beruhigen. Dadurch ist die Mutter wieder verunsichert und reagiert vielleicht nicht mehr angemessen auf die Bedürfnisse des Kindes. Das Kind schreit dann noch mehr und ein Teufelskreis entsteht.
Diese Belastungen sind in der ersten Zeit nach der Geburt nicht ungewöhnlich, nur der Umgang mit der Situation unterscheidet sich von Frau zu Frau. Mit viel Unterstützung durch das soziale Umfeld kann die Balance wieder gefunden werden. Wenn es kein funktionierendes soziales Netzwerk gibt, eine genetische Vorbelastung besteht, oder zusätzliche negative Faktoren mitwirken, ist die Entstehung einer Depression aber sehr wahrscheinlich. Bei nicht weniger als etwa 20 % der Frauen kann sich aus dem verlängerten Babyblues eine Depression entwickeln.
Symptome:
• Depressive Verstimmung
• Antriebslosigkeit
• Verlust an Freude und Interesse (v. a. am Baby)
• Müdigkeit
• Schlaf- u. Appetitstörungen
• Ängste, Sorgen
• Konzentrationsstörungen
• Zwangsgedanken (z. B. dem Kind zu schaden)
• Schuldgefühle
• Gefühllosigkeit
• Suizidgedanken
• Emotionale Labilität
An der Mutter-Kind-Interaktion kann man unterschiedliche Ausdrucksformen der Depression erkennen: Die verhaltene Mutter versorgt ihr Kind ausdruckslos, spricht wenig und leise mit wenig Mimik und Körpersprache. Die intrusiv-aggressive Mutter wirkt eher hektisch, getrieben und ängstlich. Diesem oft übergriffigen Verhalten liegt meist Unsicherheit und Überforderung zugrunde. Sie reagiert auch nicht angemessen auf die Signale ihres Kindes. Meist überfordert sie es mit Spielangeboten und Stimulation, wogegen das Kind protestiert. Sie erkennt diese Überstimulation jedoch nicht und versucht es noch mehr anzuregen. Wichtig ist es in jedem Fall, die Symptome einer Postpartalen Depression ernst zu nehmen und schnell Hilfe zu mobilisieren.
Eine Mutter wird meist selber merken, dass etwas nicht stimmt, gefragt ist aber besonders das unmittelbare soziale Umfeld der Frau. Partner, Familie oder auch enge Freunde sollten eine Betroffene dabei unterstützen, psychologische, therapeutische und auch ärztliche Hilfe zu finden. Medikamentöse Behandlung ist nicht immer notwendig. Je früher mit einer Behandlung begonnen wird, desto eher kann auf die Gabe von Antidepressiva verzichtet und somit auch ein verfrühtes Abstillen vermieden werden. In schweren Fällen wird jedoch eine begleitende Therapie mit Psycho-pharmaka notwendig sein. Im Zentrum der Aufmerksamkeit sollte immer die Ermöglichung einer gesunden Mutter-Kind-Interaktion stehen. Eine unbehandelte Postpartale Depression kann langfristige negative Folgen für das Kind haben.
Was kann eine Betroffene selbst tun?
Im Falle einer depressiven Verstimmung oder einer Depression ist es notwendig, sich vom klassischen Bild der Allzeit-bereit-Mutter zu lösen. Eine Mutter, die auch imstande ist, regelmäßig für sich selber zu sorgen, wird zufriedener und ausgeglichener sein und mehr Kraft für Kind und Familie haben. Ein erster Schritt in eine positive Richtung ist es, den Alltag zu strukturieren.
Regelmäßige Mahlzeiten oder etwa täglich einen Spaziergang mit dem Baby einzuplanen, kann für Mutter und Kind schon sehr hilfreich sein. Dabei hat schon das Tageslicht stimmungsaufhellende Wirkung und auch gleichmäßige ausdauernde Bewegung wirkt sich positiv aus. Regelmäßiger Sport wie Gymnastik, Schwimmen, Tanzen oder auch Yoga wirkt optimal. Zeit zum Entspannen sollte ebenfalls zu den Fixpunkten zählen. Das könnte eine Entspannungstechnik sein, angeleitete Fantasiereisen oder Atemübungen, die am besten unter psychologischer oder therapeutischer Anleitung erlernt werden können. Kontakt zu anderen Müttern in der gleichen Lebenssituation wird auch als sehr entlastend erlebt.
Text: Isabelle Schön
Foto: Pixabay_mikegi