Eine Handvoll Leben

Daniel hatte es besonders eilig, zur Welt zu kommen. „Wir waren gerade in unserem Gartenhaus, als in der 28. Schwangerschaftswoche meine Fruchtblase platzte und die Wehen einsetzten“, erinnert sich seine Mama Daniela G. zurück. „Zunächst habe ich die Schmerzen gar nicht als Wehen eingeordnet. Mein Mann und ich waren dementsprechend überrascht und perplex, als zwei Stunden später unser Sohn kam. Die Rettung traf erst danach ein.“ Frühchen Daniel war „schon“ 40 Zentimeter groß, wog jedoch nur ein Kilo und wurde sofort mit dem Hubschrauber ins AKH geflogen. Dort hat man Mutter und Kind erstversorgt. Daniel musste in den Inkubator, da seine Lunge noch nicht ausgereift war.

 

Insgesamt blieb er zwei Monate im Spital – bis zum ursprünglich errechneten Geburtstermin. „In dieser Zeit war ich täglich bei meinem Sohn“, erzählt Daniela. „Die ärztliche Versorgung im AKH war ausgezeichnet – und wir wurden auch psychologisch betreut. So war ich nicht überängstlich. Da auf der Station noch viel jüngere Frühchen waren, kam mir mein Sohn auch gar nicht so winzig vor. Termingerecht geborene Babys wirkten hingegen wie Riesen auf mich.”

Der Schock sitzt tief

Von einer Frühgeburt spricht man, wenn das Baby vor Ende der 37. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt erblickt. „Meist kommt das Ereignis schnell und unvorbereitet und ist ein großer Schock für die Familie“, weiß Dr. Georg Maiwald, auf Frühgeburten spezialisierter Kinderarzt mit Kassenpraxis in Wien. Er hat seine Ausbildung im Mautner Markhofschen Kinderspital und im Departement für Neonatologie in der Rudolfsstiftung absolviert, kann also auf reichlich Erfahrung zurückgreifen. „Auslöser für die frühe Geburt können Erkrankungen der Mutter wie Infektionen, Diabetes oder Bluthochdruck sein.

Aber auch Mehrlingsschwangerschaften, Plazentalösungen oder -fehlbildungen sind Risikofaktoren. So kann sich bei einer Routineuntersuchung herausstellen, dass eine sofortige Kaiserschnittentbindung notwendig ist.“ Nach dem Schock über die frühe Geburt beginnt die Sorge um das Überleben des Kindes und um seine Entwicklung: Von den extrem Frühgeborenen mit einem Körpergewicht unter 1500 Gramm überleben heute zwar bereits rund 85 Prozent. 15 Prozent von ihnen tragen aber – etwa infolge von Hirnblutungen – eine Behinderung davon.

Endlich daheim …

Daniel hatte großes Glück. Er konnte zwei Monate nach seiner Geburt bei guter Gesundheit aus dem Spital entlassen werden. Die erste Zeit zu Hause war für die Familie natürlich anstrengend, weil er auch in der Nacht alle drei bis vier Stunden munter war und trinken wollte. „Da geht es anderen jungen Eltern aber nicht viel anders“, räumt Daniela ein. „Von Folgeerkrankungen blieb unser Sohn Gott sei Dank verschont. Er entwickelte sich prächtig. Unser Kinderarzt Dr. Maiwald meinte immer, er sei ein ,medizinisches Wunder’.

Wenn der Arzt über die Betreuung von Frühgeborenen so gut Bescheid weiß, ist das eine enorme Hilfe für die Eltern!“ Dr. Georg Maiwald, selbst Vater von vier Kindern, bestätigt das. Als er vor fünf Jahren seine Kassenordination in Wien übernahm, sei ihm nicht bewusst gewesen, wie viele Frühgeborene er betreuen und mit welchen Fragen und Problemen er konfrontiert sein würde, gesteht der „Kiddydoc“. „Im Spital hat man mich die Erstversorgung der Frühchen gelehrt – aber die erweiterten Sorgen der Eltern zu Hause konnte ich nicht erahnen …“

Frühchen haben ihre Manierchen

Zwei bis vier Wochen nach der Entlassung ihres Frühchens werden die Eltern in die Entwicklungsambulanz geladen. Viele haben in dieser Zeit nach wie vor große Angst um die Gesundheit des Winzlings, sorgen sich vor allem vor einer Infektion oder einer Lungenentzündung. Teilweise müssen Herz und Atem des Kindes mit einem Monitor überwacht werden. Hinzu kommt, dass Frühgeborene natürlich nicht immer das machen, was sich ihre Eltern wünschen. „Ich sage immer: Frühchen haben ihre Manierchen“, erklärt Experte Maiwald. „Sie sind sehr zart, zeigen oral meist eine erhöhte Sensibilität – das heißt, sie trinken und essen schlecht –, sind kälteund hitzelabil, manchmal ein wenig entwicklungsverzögert.“ Es versteht sich von selbst, dass da im Alltag sehr viele Fragen auftauchen …

Ärzte, die Erfahrung mit Frühgeborenen und auch noch eine Kassenordination haben, sind allerdings rar. Und so fallen Eltern von Frühchen nach der Spitalsentlassung oftmals erneut in ein tiefes Loch. „Sie vergleichen ihr Baby natürlich mit anderen und fragen sich dann erst recht, ob mit ihm alles in Ordnung ist“, gibt Dr. Maiwald zu bedenken. „Manchmal muss man den Eltern auch ganz ehrlich sagen: ,Wir wissen nicht, wie sich Ihr Kind entwickeln wird …‘ In dieser Hinsicht ist sehr viel Akzeptanz von ihnen gefordert!“ Dr. Maiwald hat auf diese Problemstellungen in seiner Ordination reagiert: Am Donnerstagvormittag widmet er sich ausschließlich frühgeborenen Kindern. Und den Eltern bietet er die Betreuung durch eine Psychologin an.

Aufgewecktes Vorschulkind

Daniel zählt zu Dr. Maiwalds „Patienten der ersten Stunde“: Er ist mittlerweile zu einem aufgeweckten Fünfjährigen herangewachsen. An seine Zeit als Frühchen erinnern vor allem noch Babyfotos – und die jährlich fälligen Nachsorgeuntersuchungen im AKH. Übrigens: Daniel geht gerne zu seinem „Kiddydoc“. Irgendwie ist er doch stolz darauf, ein besonderes Baby gewesen zu sein!

ratzfratz

Frühgeborene – zu klein zum Leben?
Geborgenheit und Liebe von Anfang an
Von Marina Marcovich, Theresia Maria de Jong
Kösel Verlag 2008 ISBN 978-3-466-34520-5

Dr. Georg Maiwald
FA für Kinder- und Jugendheilkunde, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema „Frühchen“.
Infos und Hilfe unter www.fratz.at/expertenforum
Links:
www.fruehgeburt.at
www.kiddydoc.at

Mag. Karin Martin
Foto: Michael Dechev/Shutterstock.com