Geburt multikulturell

Soll es zu Hause zur Welt kommen? In einer Geburtsklinik? Im Kreiskrankenhaus? Soll der Vater dabei sein, das Geschwisterchen? Ein Baby zu bekommen ist eine natürliche Sache. Dennoch hängt sehr viel für das Wohlbefinden der Mutter von den Menschen, die sie in dieser Phase betreuen, ab.

Hör auf deinen Körper

In ihren Körper horchen auch Kung-Frauen in Botswana. Sie gehen, wenn die Wehen beginnen, hinaus in den Busch und suchen sich eine schattige Stelle in der Nähe des Lagers; sie reden sich selbst beruhigend zu und wollen die Geburt allein erleben. Wesentlich mehr Aufwand treiben Frauen im Sudan. Sie bereiten sich bereits ab dem 7. Schwangerschaftsmonat feierlich auf die Entbindung vor, färben ihr Haar mit Henna, flechten und salben es.
Dann binden sie ein besonderes Armband um ihr Handgelenk und einen geknüpften Lederriemen um ihre Taille, um sich in der Folge auf eine zeremonielle Hochzeitsmatte aus Palmblattstängeln zu legen. Die Verwandtschaft umringt die Frau und reicht ihr einen besonders vitaminreichen Brei aus Hirse. Gemeinsam wird gesungen, gesprochen, gewartet. In einem bestimmten Moment reiben die Verwandten eine Handvoll dieses Breies – dem Symbol für die Regeneration und das Leben, das bald erscheinen wird – über den gerundeten Leib der Frau. Anders im Jemen. Hier haben Frauen in den Wehen meist das Bedürfnis unter Frauen zu sein.

Sie sprechen Gebete zu Allah, während eine Hebamme den Körper der Gebärenden massiert. Mit Bernstein und Korallen geschmückt gehen jemenitische Frauen scheinbar ruhelos auf und ab. Dabei dürfte es sich um eine instinktive Aktion handeln, deren Sinn Mediziner unseres Jahrtausends erkannt haben: Das Herumgehen im ersten Wehenstadium ist besonders wirkungsvoll, es beschleunigt den Geburtsvorgang.

Väter – nicht immer live dabei

Auch Väter spielen eine wichtige Rolle. In vielen Kulturen gibt es Geburtshütten, dort hat der Vater zu wachen, dass die Entbindung gut verläuft. In Kenia etwa ist es Pflicht des Gabbra-Vaters, draußen vor der Geburtshütte den Gürtel und die Hose abzulegen, um alles Einengende zu lockern und die Geburt im Fluss zu halten. Bei den Bang Chan in Thailand ist der Vater bei der Geburt dabei, um sein Kind als Erster zu berühren.
In Tibet glaubt man, dass durch die Anwesenheit des Vaters die Wehen verlängert werden und “verbannt” ihn aus dem Geburtszimmer. Beispielhaft die Inuit-Männer: Sie wiederum sind aktiv an der Geburt beteiligt und führen sogar die Geburtspflege selbst durch, um ihrer Frau so zu helfen.Väter hatten auch im Mittelalter während des Geburtsvorganges eine wichtige Rolle. Sie “teilten” den Schmerz mit ihren niederkommenden Frauen.

Praktisch vollzog sich das ziemlich simpel: Vater und Mutter tauschten die Kleidung aus, der junge Vater in spe wälzte sich während “sie” in den Wehen lag am Boden und stöhnte; so als würde er selbst das Kind bekommen.

Auch Völker Südindiens verfahren heute noch ähnlich: Dort tragen Väter während der Geburt den Sari ihrer Frau und bringen sich selbst blutige Wunden bei, um den Schmerz augenscheinlich und eindrucksvoll zu teilen. Bei den Huichol-Indianer saß der Vater während der Geburt im Dachgebälk der Geburtshütte über seiner Frau. Er hatte ein Seil um seine Hoden geschlungen und jedes Mal, wenn die Frau den Wehenschmerz fühlte, zog sie an dem Seil, damit auch er den Schmerz mit ihr teilen konnte.

Den Schmerz wegmeditieren

In europäischen Breiten hilft gegen Schmerzen eine Spritze. Oder eine Epiduralanästhesie. Keine Rede davon freilich bei Naturvölkern. Wenn Schmerzen drohen, richten Malayische Frauen ihre Konzentration auf heilige Dinge. Auch Zulu-Frauen pflegen ähnliche Rituale.
Ein Loch im Hüttendach ermöglicht es ihnen “vor Schmerz die Sterne zu zählen”, ein Ritual, das sie – gemeinsam mit Atemübungen – bereits während der Schwangerschaft einüben. Inderinnen konzentrieren sich auf eine Lotosblüte, die langsam ihre Blätter entfaltet, so wie sich der Muttermund bei jeder Wehe ein wenig öffnet. Navaho-Indianer erleichtern der Frau das Einstimmen in den Wehen-Rhythmus mit Musik.

In Saudi-Arabien umgehen bauchtanzende Frauen die werdenden Mütter, um Rhythmus zu suggerieren und der Mutter das Anpassen an den Takt zu erleichtern. Auch Wasser hat entspannende Wirkung. Gebären in der Wanne ist zeitgeistig, war aber schon bei den Gahuku-Frauen in Neuguinea bekannt. Sie bringen ihre Kinder am Flussufer zur Welt, während sie das ans Ufer schwappende Wasser beobachten.

Andere Frauen kühlen dabei Rücken und Füße der Gebärenden. Hebammen aus Uganda “üben” mit Schwangeren längere Zeit hindurch, den Beckenboden zu dehnen. Einige Wochen vor der Geburt soll ein Kürbis zur Dehnung des Beckenbodens anregen, sodass auch weniger Dammverletzungen und langwierige Wunden entstehen.

Diese Ideee wurde aufgegriffen und der Ballon epi-no entwickelt.
Frauen dehnen mit Epi-no vor der Geburt den Damm, damit das Gewebe für die extreme Dehnungsbelastung während der Austreibungsphase optimal vorbereitet ist. Die Dehnung erfolgt über einen Zeitraum von 10 – 20 Tagen langsam, im eigenen Rhytmus und völlig sanft. Durch die tägliche Übung lässt sich der Damm dann am Ende (!) des Trainings völlig schmerz- und verletzungsfrei auf Kindskopfgrösse dehnen. Darüber hinaus wird durch die Übungen das Gewebe trainiert, ist gut durchblutet und flexibel, was auch eine schnellere Regeneration nachgeburtlich gewährtleistet.

Dieses Training hilft auch, den Beckenboden zu lokalisieren (wenn er nämlich in einigermassen gutem Zustand ist, versucht er in der anfangs etwas angespannten (weil nervösen) Trainingssituation, den Ballon wieder herauszudrücken. Dadurch haben Frauen die einmaligen Gelegenheit, Ihren Beckenbodenmuskel zu spüren und während der Trainingstage zu lernen, ihn bewusst anzuspannen und zu entspannen. Das ist eine hervorragende Hilfe für den Geburtsverlauf, der Frauen hilft, sich ganz zu öffnen!

Das Modell Epi-no delphine plus verfügt über eine Biofeedback-Funktion, mit deren Hilfe frau nach der Geburt den Beckenbodenmuskel effektiv trainieren kann und kräftigen kann. Dank der Biofeedbackanzeige auch ihren Trainingsfortschritt bzw. Muskeltonus prüfen kann. (www.epi-no.at).

Das Baby ins Leben geleiten

Um die Geburt zu beschleunigen, gibt es – kulturell gesehen – viele Möglichkeiten. Die Lepcha-Frauen in Sikkim glauben dass eine Stimulierung der Brustwarzen die Wehen verstärkt. Das hängt mit dem Ausstoß von Oxytocin zusammen, das nicht nur während der Geburt, sondern auch beim Stillen des Kindes und bei sexuelle Erregung ausgestoßen wird. Im pakistanischen Chattagong werden alle Türen und Fenster geöffnet, alle Knoten gelöst, Flaschen entkorkt, Kühe und Schafe losgebunden. In Malaysia werden die Haare der gebärenden Frau gelöst.
Diese Rituale sollen der Frau helfen, sich die Abläufe, die in ihrem Körper vor sich gehen, plastisch vorzustellen und loszulassen. Bei den Cuna-Indianern in Panama soll ein besonderer Gesang Muu, die “Göttin Großmutter”, zur Freigabe des Kindes bewegen. Der Sänger sitzt unter der Hängematte der Gebärenden und besingt in langen Versen die schwierige Reise der Schamanengeister, auf unterirdischen Flüssen und Pfaden zum Haus von Muu. Schließlich singen die Schamanen, finden den Fötus und geleiten ihn Seite an Seite durch den Geburtskanal.

Auch Gerüche beschleunigen den Geburtsvorgang. In einigen Kulturen zerreiben die Frauen aromatische Kräuter zwischen den Fingern und inhalieren den angenehmen Duft, um die Wehentätigkeit zu erleichtern. Der Geruch wird von der Nasenmembrane aufgenommen, gelangt in den Blutstrom und ändert das chemische Gleichgewicht in unserem Körper. Römer griffen gerne zu Lavendel zur Stimulierung und Unterstützung der ermüdeten Muskel, im Sudan wird während der Geburt Weihrauch verbrannt. Auch ätherische Öle im Badewasser verteilt erfüllen diesen Zweck.

Eine Frage der Stellung

Ob die Frau während der Geburt sitzt, liegt, steht kniet, steht oder auf allen vieren geht, muss sie selbst entscheiden. Die Position hängt jedoch wesentlich mit der Kultur zusammen, der sie entstammt. Ganz bequem in einer Hängematte liegen brasilianische Tapirape-Frauen. Die Beine baumeln links und rechts über den Rand, der Rücken ist in einer sanften C-Stellung. Beginnen die Presswehen, wird das Kind durch einen Schlitz in der Hängematte geboren. Im Sudan gebären Mütter im Hocken.
Traditionelle “Seil-Hebammen” lassen dabei einen Strick von der Decke herab, den die Mutter ergreift und herunterziehen kann, während sie in der Hocke gestützt wird. Die Lepcha-Frauen im Himalaya lehnen sich gegen den warmen Körper des Mannes, der sie stützt und ihren Bauch massiert. In Thailand lehnt sich die Frau rückwärts gegen den Körper ihres Mannes, der seine Zehen in ihre Schenkel drückt. Dieser Zehendruck soll ihr, ähnlich Shiatsu, Erleichterung geben. Die Zuni Frauen im amerikanischen Südwesten brachten einst ihre Kinder liegend mit dem Gesicht zur Hebamme auf die Welt.

Bei jeder Wehe zog die Frau am Gürtel der Hebamme, während eine andere Helferin ihr von hinten mit den Handballen den unteren Rückenbereich presste. Dieser Gegendruck verringert die Rückenschmerzen während der Geburt. Auf den Osterinseln stehen die Frauen mit gespreizten Beinen und lehnen sich gegen einen männlichen Geburtshelfer. Russische Frauen bringen ihre Kinder oft sitzend oder hockend im Bad zur Welt, während Frauen der mexikanischen Mixteca-Indianer mit gespreizten Schenkeln auf speziell gewobenen Strohmatten knien, während ihr Partner hinter ihnen sitzt und ihre Taille umfasst.

Mythos Plazenta

In vielen Kulturen wird um die Geburt weniger Aufhebens gemacht als um die Plazenta. Sie symbolisiert in vielen Kulturen das Leben, in Nepal ist sie “Freund des Kindes”, die Malayen betrachten sie als älteres Geschwisterkind, im Sudan gilt die Plazenta als geistiges Ebenbild des Kindes und man vergräbt sie an einem Ort, der die Hoffnungen der Eltern für ihr Kind repräsentiert. Auf Hawaii wird die Plazenta unter einem Baum begraben, damit der zum Baum des Kindes wird.
Im Jemen lässt man die Plazenta für die Vögel am Dach liegen, damit die Liebe zwischen den jungen Eltern wächst. Mystisches kreist auch um den Akt der Trennung der Nabelschnur. Naturvölker kennen eine Reihe von Ritualen. In Kenia beißt die Masai-Hebamme die Nabelschnur mit den Zähnen durch, bei den Mansi durchtrennt eine Freundin oder Verwandte die Nabelschnur und wird “Nabelmutter” des Kindes. In Europa “darf” diesen fast heiligen Akt der Vater durchführen. 

Text: Jürgen Steiner
Foto: bikeriderlondon/Shutterstock.com



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