Jetzt, wo wir die Musikschule bezahlt haben, gehst du gefälligst auch hin, Dominik!“, interveniert der Vater. „Aber die Fingerübungen sind doch so langweilig! Und ich hasse dieses blöde Klavier!“, nörgelt der 9-jährige Bub und zeigt seinen wirksamsten Schmollmund. Doch der erhoffte Erfolg bei seinem Vater verpufft: Auch heute wird er wieder seinen Weg in Richtung Musikschule nehmen…
Wegbereitung
So wie in diesem Fall wollen unzählige Eltern ihren Kindern einen möglichst kreativen Lebensweg bereiten. Das geschieht natürlich in den allermeisten Fällen in durchaus bester Absicht und mit dem innigen Wunsch nach einer vielschichtigen Entwicklung. Dass dieser Wunsch und das konsequente Durchsetzen desselben die geliebten Kinder aber nicht selten in einen eher ungewollten kreativen Dauerstress abgleiten lässt, bleibt allerdings oft unbemerkt, selbst dann, wenn der Terminkalender des Sprösslings schon zum Bersten gefüllt ist.
Vergleichsehrgeiz
Wenn die Initiative zur kreativen Entfaltung nicht vom Kind selbst ausgeht, sondern zur Gänze von den Eltern, nenne ich das „Vergleichsehrgeiz“. Ganz von dem erwähnten Wunsch beseelt, ihr Kind zu fördern, suchen viele nach der „richtigen“ Form der Entfaltung. Dabei orientieren sich Eltern allzu oft an Vorbildern und geraten in den Stress nachbarschaftlichen Konkurrenzdenkens. Zu beobachten ist aber auch, dass Eltern in zahlreichen Fällen alte, bislang nicht erfüllte eigene Wünsche in ihr Kind hineinprojizieren, was unreflektiert natürlich einen ganz bestimmten und damit oft kompromisslosen Weg vorgibt. „Na also, ich wusste ja, dass mein Schatz genau so ein Supertalent auf der Querflöte ist wie ich früher!“, flötet Melanies Mutter. Doch beim Kind kurz nachgefragt, verzieht die 10-Jährige bloß gequält das Gesicht und widmet sich augenblicklich wieder ihren hübschen „geheimen“ Tier-Zeichnungen, die übrigens erstaunlich künstlerisch wirken …
Achtung Verwechslungsgefahr
Das Tückische ist, dass Kinder sich sehr gerne mit allerlei Neuem beschäftigen und diese Dinge eine Zeitlang auch erstaunlich konsequent ausprobieren, bis sie auf einmal gesättigt sind. So ist es nicht verwunderlich, dass Erwachsene irrtümlich und zuweilen viel zu früh ein lebenslanges Talent orten. Das kann in der Folge natürlich dazu führen, dass tatsächlich im Kind schlummernde Potenziale vielleicht niemals wirklich ausgelebt werden (dürfen).
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