Schöne Mütter

Mein Körper ist seit der Schwangerschaft übersät mit Schwangerschaftsstreifen. Sie sind überall: am Bauch, an den Beinen, an den Armen, an der Brust. Außerdem habe ich seitdem immer noch 10 kg mehr drauf und alles hängt irgendwie. Also ich fühle mich seit der Schwangerschaft sehr unwohl in meinem Körper und leide stark unter meinem Aussehen.
(Wortmeldung in einem Internetforum)

Was ist Schönheit und warum wollen wir schön sein?

Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters – der Geschmack dieses Auges wird allerdings stark von der es umgebenden Gesellschaft beeinflusst. Betrachten wir den Wandel des Schönheitsideals im vorigen Jahrhundert: Frauen sollten immer dann gertenschlank – und androgyn – sein, wenn sie sich emanzipierten und Gleichberechtigung forderten. In Zeiten des Mangels, als ihre Gebärfähigkeit gebraucht wurde, durften oder mussten sie “weiblich-üppige” Formen vorweisen.
Eine Frau in unseren Breiten gilt heute als schön, wenn

  • sie schlank ist,
  • über körperliche Fitness verfügt,
  • ihr Gesicht und ihr Körper möglichst symmetrisch
  • und ihre Haut makellos, glatt und leicht gebräunt ist.

Vor allem das Dicksein wird uns von allen Seiten so richtig madig gemacht. Bestenfalls das Bemühen um Veränderung wird honoriert. Schließlich spricht man Frauen jenseits der Kleidergröße 42 Glücksgefühle und angenehmes Körperempfinden einfach ab.

Schönheit bedeutet Attraktivität und erhöht somit die Chancen bei der Partnerwahl. Schöne Menschen werden gemeinhin als vertrauenswürdiger, intelligenter und sympathischer angesehen und besitzen einen höheren gesellschaftlichen Status. Heißt es jedenfalls.

Ganz schön schwanger

Vielleicht sind Sie während Ihrer Schwangerschaft zu einer wahren Schönheit erblüht – schön für Sie! Genauso gut kann es sein, dass Ihnen just während dieser Zeit Ihr Spiegelbild die Pickel, fettigen Haare und sichtbaren Erschöpfungsmerkmale gnadenlos vorgehalten hat.
Schön bleiben TROTZ Schwangerschaft: Schon vor dem ersten Anzeichen eines Bäuchleins cremen und massieren, vor dem ersten Pickelchen tägliche Maskensitzungen, vor dem ersten Besenreißer die notwendigen Wickeln. Der Druck, sich in jeder Lebenslage um das eigene Aussehen kümmern zu müssen, trifft in erster Linie immer noch Frauen. Er kann bedrohliche Ausmaße annehmen.

“Viele Frauen konzentrieren sich nicht auf ihre neuen Bedürfnisse und die Beziehungsfindung zum Kind”, so die auf Essstörungen spezialisierte Psychotherapeutin Kolendowicz-Pokorny, “sondern auf Ansprüche, denen sie genügen sollen. Die Bewältigung dieser schwierigen Lebensphase, die Neuorientierung, die sie verlangt, kann nicht erkannt, empfunden und damit nicht entsprechend bewältigt werden.”

Das Model und die (nährende) Mutter

Models wie Cindy Crawford, Nadja Auermann, Claudia Schiffer und Heidi Klum machen es uns vor: Weder Schwangerschaft noch Mutterschaft dürfen der geringste Grund dafür sein, einen Attraktivitätsverlust zu erleiden. Notfalls geht frau mit drei Kilos mehr um Busen und Hüften gerade noch als “Kurvenstar” durch, vorausgesetzt natürlich, sie heißt Verona Feldbusch und sonst passt alles.
Das “Nährende” der frisch gebackenen Mutter entspricht nicht den heutigen Anforderungen an sie. Rundungen – wenn sie an den “falschen” Stellen sitzen – sind out, da kann auch eine erst kürzlich durchgestandene Geburt nichts daran ändern.

“Die Ablehnung der weiblichen, runderen Formen während der Stillzeit”, so Kolendowicz-Pokorny, “stellt auch eine Ablehnung der Weiblichkeit und der natürlichen Funktion des fraulichen Körpers während dieser Phase dar, nämlich die des Nährens und damit dem vollen Ausgerichtetsein auf das neue Leben.”

Sichtbare Erschöpfung

Manchmal geht es aber auch gar nicht nur um Zentimeter oder Kilos. “Seit der Schwangerschaft und Geburt meines mittlerweile zweieinhalb-jährigen Sohnes sehe ich einfach viel eher “fertig” aus!”, so eine junge Frau bei einem Gespräch im Supermarkt. Ungepflegtes Äußeres gilt als leicht vermeidbar – weiß der Teufel wohin mit all den Spuren von Milchrülpsern, Bananenresten oder klebrigen Sandschaufeln, mit denen uns das Baby verziert.
Und die positiven Seiten der Dauererschöpfung? Mehr Frauen als man denken mag, die nach einer anstrengenden Schwangerschaft und Geburt zum ersten Mal in ihrem Leben das Haus ohne Lippenstift verlassen, merken: Der Welt ist also durchaus mein ungeschminktes Gesicht zuzumuten.

Schwangerschaftsstreifen und andere Spuren

Die Bauchhaut ist ausgeleiert, die Taille nicht mehr vorhanden, die Haut glänzt fahl, das Haar dafür gar nicht. Eine Schwangerschaft zehrt und hinterlässt körperliche und psychische Spuren. Ein Besuch bei der Kosmetikerin ist auch nicht drin, schließlich braucht der Säugling seine Mutter rund um die Uhr.
Zudem können Zahnprobleme auftreten, die Schultern breiter und die Oberarme dicker werden. Die Form und Größe der Brust verändert sich, die Hüften und damit der Po wirken breiter. Sogar die Füße können nach der Geburt um bis zu einer Schuhnummer größer werden! All diese und noch eine Menge anderer körperlicher Veränderungen können, müssen aber nicht passieren.

Hinzu kommt, dass sich etliche Frauen selbst nur noch in der Rolle des “Muttertiers” wahrnehmen. Dabei vermissen sie die jungendliche und begehrenswerte Geliebte, als die sie sich vor der Schwangerschaft oft gefühlt haben. Oder vermissen sie eben nicht.

Trainieren oder entspannen?

Für viele junge Mütter stellt sich diese Frage erst gar nicht. Anstatt mit verklärtem Blick ihr Baby im Arm zu wiegen oder schon am nächsten Karriereschritt zu feilen, verspüren sie nichts als Angst und Überforderung. Um den “Baby-Blues” abzufangen, braucht die Frau dringend Entlastung und das Verständnis ihres familiären Umfeldes.
Für viele heißt die Zauberformel auch dann: Bewegung, Bewegung, Bewegung – nur damit lässt es sich körperlich wie seelisch schnell wieder in Form kommen. Ob frau dazu allerdings ein eigenes Programm benötigt oder nicht, sei dahingestellt – schließlich zählen auch Treppen steigen, spazieren gehen und Baby heben zum täglichen Fitnessprogramm. Und so manch kleines Übel, zum Beispiel die Probleme mit dem verminderten Haarwuchs, regelt sich irgendwann wieder ganz von selbst.

Warum zerbrechen sich junge Mütter ihren Kopf darüber? “Jede Frau”, meint die Psychotherapeutin, “ muss sich selbst fragen, warum es für sie von so großer Bedeutung ist, dem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen. Ob sich gehen lassen oder trainieren, beides kann dieselbe Antwort auf Ansprüche sein, denen die Frau entsprechen oder sich verweigern will. Der befriedigende Mittelweg kann erst gefunden werden, wenn frau ihre eigenen körperlichen und seelischen Bedürfnisse hinter dem Dick- oder Dünnsein erkannt hat.”

… und nichts ist mehr wie es vorher war

Der Körper hat sich während einer Schwangerschaft und danach verändert, kein Muskel ist auf dem anderen geblieben. Eine Schwanger- und Elternschaft führt noch dazu immer auch zu Veränderungen in der Struktur einer Partnerschaft: Männer werden zu Vätern, Frauen zu Müttern.
Die seelischen Bewegungen, die die Mutter ganz schön aus dem Gleichgewicht bringen können, dürfen nicht unterschätzt werden. “Die Geburt eines Kindes bringt in jedem Fall große Veränderungen im Leben einer Frau mit sich”, meint auch die Seelenfachfrau, “Fragen wie: Was muss sich ändern?, was möchte ich mir erhalten? und: Wo bleibe ich, die Frau neben dem Baby?, stellen sich sicher jeder jungen Mutter. Die Mutterschaft ist eine Zeit der Neuorientierung, die jede Frau zu leisten hat. Es bedarf der Selbstreflexion und Unterstützung vertrauter Personen, um diese Fragen zu beantworten und nach Wunsch individuell umzusetzen.”

Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja im Namen der Diktatur der Schönheit bald eine neue TV-Show, “Look-alike-as-before” oder so: 5 frisch gebackene Mütter werden 5 Wochen lang von Fitnesstrainern gestylt, von Motivationstrainerin begleitet, von Stylingspezialisten beraten und von Schönheitschirurgen operiert – schöne neue Mutterwelt.

Foto: Marina Svetlova/Shutterstock.com

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