Immer früher orientiert sich der Nachwuchs an den aktuellen Schönheitsidealen und Styling-Trends. Was Sie tun können, damit der Kult ums Aussehen nicht zum einzigen Lebensinhalt Ihres Kindes wird. Text: Birka Mackinger
Marie ist 11 Jahre alt. Sie kann an keinem Spiegel vorbeigehen, ohne hineinzuschauen und ihr Äußeres zu überprüfen. Ihre Gedanken kreisen Stunde um Stunde, Tag für Tag nur um das eine Thema – ihr Aussehen: „Bin ich schlank genug? Ist meine Nase nicht doch zu groß, mein Hintern zu dick? Soll ich mir die graue Tregging nun kaufen, aber passt die auch zu meinen neuen Boots? Und was mache ich morgen Früh bloß mit meinen Haaren?“ Marie ist keine Ausnahme. In immer jüngeren Jahren beschäftigen sich Kids, Mädchen wie Buben, heutzutage intensiv mit ihrem äußeren Erscheinungsbild. Das Tragen stylisher Kleidung samt passender Accessoires und die tägliche Verwendung von Make-up und Haarstylingprodukten sind selbstverständlich. Für einige gehört es zum Alltag, in Abstimmung zur Garderobe täglich die Nagellackfarbe zu wechseln und im Wochentakt Haare zu färben.
Manche gehen in ihrem Streben nach „Schönheit“ und Anerkennung sogar noch weiter und sind bereit, den Weg zum Schönheitschirurgen zu machen. Auf ihrer Wunschliste stehen dann Fettabsaugungen, Brustvergrößerungen und Nasenverkleinerungen. An über die Medien transportierten „Vorbildern“ fehlt es unserem Nachwuchs dabei nicht, denkt man beispielsweise bloß an die Kids von Hollywood- Größen, die bereits im Kleinkindalter topgestylt in Stöckelschuhen (!) durch den Schnee staksen oder an Teenie- Stars, die sich mal schnell eine neue Nase gönnen.
Ein glaubwürdiges Vorbild …
Wie geht man als Elternteil nun mit einem derartigen Verhalten um bzw. was kann man tun, damit dieses erst gar nicht so ins Extreme geht? „Ihre Sichtweise und Ihren Zugang zum Thema vorleben. Kinder orientieren sich auch in Bezug auf ihr Aussehen an den Eltern, Mädchen an der Mutter, Buben am Vater. Wenn Sie einen entspannten Umgang mit Äußerlichkeiten pflegen, dann nimmt Ihr Kind das als normal an. Wenn Sie hingegen tagtäglich vorleben, dass Aussehen sehr wichtig ist, dann wird Ihr Kind das auch so übernehmen“, betont Mag. Verena Gutknecht, Klinische und Gesundheitspsychologin sowie Kinder-, Jugend- und Familienpsychologin in Wien (www.kinder-jugend-psychologie.at). „Ganz wichtig ist hier Glaubwürdigkeit!
Denn Kinder orientieren sich weniger an dem, was man sagt, sondern vielmehr an dem, was man tut“, bringt es Gutknecht auf den Punkt. Selbst auf Dauerdiät zu sein, den Wunsch Ihres Kindes, etwas schlanker zu sein, aber immer abzutun, wäre also wenig glaubwürdig. Ein gesunder Umgang mit dem Thema fängt schon beim Vorleben eines kontrollierten Konsumverhaltens an: „Es müssen nicht immer die neuesten Sneakers und nur Trendmarken sein. Strumpfhose oder Haarspange müssen auch nicht immer perfekt zum Rock passen. Hier können Sie beim Einkaufen bewusst gegensteuern und weniger zur Verfügung stellen, als leistbar wäre“, so Gutknecht.
… und miteinander reden
„Machen Sie Ihr Kind stark, damit es dem Gruppendruck, der spätestens in der Schule beginnt, widerstehen kann“, appelliert Mag. Maria Neuberger- Schmidt, Lebens- und Sozialberaterin, Coach und Obfrau der Elternwerkstatt. Dies passiert u. a. durch eine gute, vertrauensvolle Beziehung zum Kind, die ihm Halt gibt, aber auch die Autorität der Eltern beinhaltet, und durch ständiges miteinander Reden. „Lassen Sie Ihre Kinder von klein auf altersgerecht auch in Sachen Kleidung etc. mitreden, holen Sie die Ansichten Ihres Kindes ein, teilen Sie Ihre Meinung mit, so lernt Ihr Kind, über sich selbst nachzudenken.
Erklären Sie Ihrem Kind aber auch, warum Sie mit etwas vielleicht nicht einverstanden sind und was Ihnen dabei wichtig ist“, gibt Neuberger- Schmidt auch eine u. U. verfrühte Sexualisierung durch entsprechende Styling-Signale zu bedenken. „Vermitteln Sie Ihrem Kind aber immer ,So wie du bist, bist du ok und schön‘.“ Und überdenken Sie auch in diesem Zusammenhang Ihre Verantwortung als Eltern: „Eine Mutter soll Mutter bleiben und gerade in Bezug auf das Äußere nicht in Konkurrenz zur Tochter stehen. Je zufriedener und gefestigter Sie sind, desto besser können Sie Ihr Kind stützen“, so die Expertin.
Heiß diskutiert
Was ab welchem Alter erlaubt und „angemessen“ ist, führt auch in der Politik oft zu Diskussionen. So wie der Vorschlag von Gesundheitsminister Alois Stöger, der strengere Richtlinien für Schönheitsoperationen vorsehen würde (u. a. keine medizinisch nicht notwendigen Eingriffe bei Kindern unter 14 Jahren). Und erst kürzlich verlautbarte die EU aufgrund eines tragischen Todesfalls eine neue EU-Richtlinie, aufgrund der bis spätestens 31.10.2012 alle Haarfärbeprodukte mit dem Vermerk „Für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet“ versehen werden müssen.
Manchmal ist es freilich schwierig zu sagen, wo die Grenze zwischen gesundem Körperbewusstsein und übertriebenen Vorstellungen verläuft. Denn diese hängen stark mit dem Hintergrund und den persönlichen Wertvorstellungen der Eltern zusammen. So wird eine Mutter, die selbst seit frühester Jugend mit Haarfarben experimentiert, wohl anders über das Thema Haarefärben denken, als eine, die zu ihrer Naturhaarfarbe steht oder jemand, der weiß, welche (Gift)-Stoffe in Haarfärbemitteln oder Nagellacken stecken.
Zum Schutz Ihres Kindes!
„In unklaren Fällen sollten Sie sich als Eltern immer die Frage nach den Bedürfnissen und dem Schutz Ihres Kindes stellen“, gibt Gutknecht Orientierung. „Wenn etwas nicht den Bedürfnissen Ihres Kindes entspricht, dann ist es zu schützen, wobei hier klar zwischen Bedürfnis und Wunsch differenziert werden muss, was von manchem Erwachsenen verwechselt wird.“ Wenn der Wunsch nach einer plastischen OP laut wird, dann ist eine sehr sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile besonders vonnöten, da die körperliche Entwicklung im Teenager-Alter ja noch nicht abgeschlossen ist. „Ist die Nase mit 14 Jahren in Proportion zum Gesicht vielleicht noch etwas zu groß, dann kann das im Alter von 18 Jahren schon anders sein“, rät Gutknecht vorab zu einer psychologischen Beratung, in der auch die Frage geklärt wird: „Ist das Kind belastet oder stört es ‚nur‘ die Eltern?“
Fotos: Pamela Neuberger-Schmidt, holbox by Shutterstock.com