Eltern im Supermarkt. Das bekannte Rollenbild schlägt zu: ER bemüht sich um Bier- und Mineralwasserkisten, SIE hält sich an ihre penibel geschriebene Liste. Neben den üblichen Grundnahrungsmitteln wandern viele bunte Produkte in den Einkaufswagen.
Fruchtzwerge (“wertvoll wie ein kleines Steak”), Bonbons (“mit vielen wichtigen Vitaminen”), Cornflakes (“jetzt mit Vitaminen und Eisen”), Trinkmischung mit Kakao (“mit wertvollen Vitaminen B1, B6, B12, Folsäure und Niacin”), Früchte-Müsli (“mit 40% Fruchtanteil und Vitamin C”)… ich bin beeindruckt. Wer seiner Familie schon beim Einkauf so viel Gutes tut, kann wohl nichts falsch machen beim Kochen!
Sinnloses Doping
Traurig, aber wahr: Im Lebensmittelhandel gibt es nur mehr wenige nicht angereicherte Kinder-Produkte. Scheinbar wahllos werden da Süßigkeiten, Früchtetees, Marmeladen, Frühstücksgetränke, Cerealien, Milchprodukte, Limonaden und sogar Energy Drinks mit Vitaminen und Mineralstoffen aufgemotzt um sie so besonders “gesund”, sprich: “attraktiv für den Käufer” zu machen.
In der Sprache der Werbung heißt das: “Consumer benefit” – also zusätzlichen “Nutzen für den Käufer” zu finden. Das Beste ist für dich gerade gut genug, also kauf das Optimum: Vitamine und Mineralstoffe als Superplus, scheinbar gratis und absolut im Zeitgeist.
An Apple a Day…
Die Fakten sehen allerdings anders aus. Um es auf den Punkt zu bringen: Die ausgewogene, gesunde, vernünftige Mischkost ist in Wahrheit das Beste und Preisgünstigste, was man sich und seiner Familie bieten kann! Vollkornbrot- und Gebäck, Nudeln bzw. Erdäpfel & Co, frisches Obst und Gemüse, magere Milchprodukte und mindestens 1,5 Liter kalorienarme Getränke sollten täglich auf dem Speiseplan stehen.
Wenig Fett, Fleisch und Wurst nur 2-3 Mal die Woche (dafür aber öfters Fisch), Eier selten, Süßes nur ab und zu. So einfach ist das! Der altbekannte Satz “An apple a day keeps the doctor away” hat seinen Grund: Äpfel schmecken gut, sind reich an Vitaminen, sind gut gegen Verstopfung und helfen bei zu hohem Cholesterinspiegel.
Frisch und natürlich
Mag. Birgit Beck vom Verein für Konsumenteninformation bestätigt: “Den höchsten Nährstoffgehalt hat immer jenes Obst und Gemüse, das – saisonbedingt – gerade reif ist. Sinnlos, Erdbeeren im Winter oder Zwetschken im Frühling zu essen, da sind viel weniger Nährstoffe drin!”
Zum Glück hat die Natur Vitamine und Ballststoffe so wunderschön verpackt und mit so köstlichem Geschmack versehen. Die Frage ist nur: Warum fällt es vielen Leuten so schwer, die momentan von Ärzten empfohlenen fünf(!!) Stück Rohkost täglich zu essen? Ist es tatsächlich so viel attraktiver, ein künstlich vitaminisiertes Müsli zu essen statt frische Früchte ins Frühstück zu mischen?
Ein gutes Gewissen…
Es ist kein Geheimnis, dass sich die Werbung und Verpackung trendiger Produkte in erster Linie an ein junges Zielpublikum wenden. Cooles Design, Sammelserien und Abenteuer-Anmutung machen Lust auf mehr. Das schlechte Gewissen, vielleicht nur Fast Food oder ungesundes Süßes vertilgt zu haben, ist somit weg!
Um der Wahrheit ins Auge zu schauen: Oft sind diese Produkte, wie etwa die im anfangs erwähnten Einkaufswagen, alles andere als gesund. Ein Übermaß an Zucker ist ebenso zu kritisieren wie fehlende Ballaststoffe.
Teures Geld für gutes Gewissen
Mag. Sabine Bisovsky, Vorsitzende des VEÖ (Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs), sieht nicht viel Sinn hinter dem momentanen Boom beim Anreichern von Lebensmitteln. “Die Leute kaufen um teures Geld ein gutes Gewissen”, meint sie. “Aus unserer Sicht bringt es nichts, diverse Produkte nach dem Gießkannen-Prinzip zu vitaminisieren! Es wird außerdem immer wieder die gleiche Mischung von Vitaminen zugesetzt, unabhängig davon, ob der Mensch diese überhaupt braucht oder nicht!
Dabei weiß man aus dem Ernährungsbericht, dass in erster Linie Folsäure – ein wichtiges Vitamin beim Wachstum – in vielen Bevölkerungsschichten zu kurz kommt. Vor allem Jugendliche sollten daher bevorzugt natürliche Folsäurelieferanten, wie etwa Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Kohl, Spinat oder Endiviensalat essen. Die gesunde, natürliche Mischkost ist sowieso das Beste, da braucht man keine Vitaminzusätze in der Nahrung.”
Der Körper braucht’s – aber was?
Interessant in diesem Zusammenhang, dass Schweden die Anreicherung von Snacks, Zuckerln oder Limonade gesetzlich verbietet. Und Norwegen bereits Anfang 2000 die Einfuhr einer bekannten Cornflakesmarke, die künstlich mit Vitaminen und Eisen angereichert sind, verboten hat. Ernährungswissenschafter warnen generell vor Lebensmitteln, die mit Eisen angereichert werden.
“In hohen Konzentrationen kann Eisen nachweislich gesundheitsschädigend sein, während ein leichter Eisenmangel sogar eher vor Infektionen schützt”, meint Brigitte Neumann vom Europäischen Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften. “Der menschliche Körper braucht doch weniger Eisen als bisher angenommen.”
Vitamine also in aller Munde, ob nun künstlich oder natürlich. Doch was sind sie tatsächlich? Wie der Name so schön sagt, (“vita” = “Leben”), sind sie die Zündstoffe des Lebens. Organische Verbindungen, die vorwiegend in Pflanzen gebildet werden.
Der Test beweist’s
Frau Mag. Angela Mörixbauer vom VKI (Verein für Konsumenteninformation) berichtet von Tests aus der Zeitschrift “Konsument”, aus denen eindeutig hervorgeht, dass die auf den Packungen angegebenen Vitamin- und Mineralstoffmengen oft gar nicht mit den tatsächlichen Beigaben übereinstimmen. Das hat mehrere Ursachen: Einige Nährstoffe sind schwierig zu dosieren, weil sie sehr bald zerfallen.
Deshalb geben manche Hersteller sogar die doppelte Dosis des auf der Packung gekennzeichneten Wertes bei, damit am Ende der Haltbarkeitsfrist noch genug im Produkt vorhanden ist! Andererseits haben manche Firmen auch nur die zugesetzte Nährstoffmenge deklariert, ohne dabei zu bedenken, dass Milch von Natur aus Calcium hat und Orangensaft ohnedies Vitamin C enthält.
Es geht aber auch komplizierter: Zum Beispiel mit der Zusammensetzung der Lebensmittel-Inhaltssoffe im allgemeinen. Schon das Kalorienzählen ist eine mühsame Sache, was jeder weiß, der einmal abnehmen wollte. Das ist aber gar nicht im Vergleich zu den lebensnotwendigen Nährstoffen! Die wenigsten können wirklich wissen, wie viel sie davon bereits gegessen haben und was sie noch benötigen – geschweige denn, was die Familie noch braucht.
Zwar müssen auf den angereicherten Produkten Rechenbeispiele angeführt sein, wie viel Vitamin C zum Beispiel, bezogen auf die empfohlene Tageszufuhr, aufgenommen wird. Jedoch: Diese Beispiele sind für Erwachsene berechnet und gelten nicht für Kinder!
Ran ans Gemüse
Alleine diese wenigen Überlegungen aus dem “Konsument” zeigen sehr deutlich, wie sinnlos die “Vitaminisiererei” doch tatsächlich ist.
Bestehender Vitamin- und Mineralstoffmangel ist vom Arzt festzustellen (Laborwerte). Meist ist dies das Symptom für schlechte Nahrungszusammensetzung (zu viel Fett, Fleisch, Süßes, zu wenig frisches Obst und Gemüse).
Wahllos angereicherte, vitaminisierte Produkte zu konsumieren ändert daran nichts, doch das schlechte Gewissen wird ungemein beruhigt. Was wir wirklich brauchen, findet sich vor allem im Brot-, Obst- und Gemüseregal.
Also, Leute, das Leben wird wieder einfacher. Ran an den Apfel!