Adoption: “Als der Anruf kam sind bei allen dicke Freudentränen geflossen“

„Am wichtigsten ist die Ehrlichkeit sich selbst gegenüber“ und Geduld, meint Manuela Marchi, die vor zwei Jahren ein Kind adoptiert hat. Im Interview mit fratz.at schildert Sie ihre ganz persönlichen Erfahrungen und gibt Tipps für Eltern, die über ein Adoption nachdenken.

fratz.at: Sie haben vor zwei Jahren ein Kind adoptiert. Können Sie uns ein bisschen darüber erzählen warum Sie sich für eine Adoption entschieden haben?
Manuela Marchi: Mein Mann und ich hatten wie viele Pärchen schon einige Zeit mit unerfülltem Kinderwunsch zu tun, als ich mich im Sommer 2014 das erste Mal über das Thema Adoption informiert habe. Im Jahr darauf haben wir dann das Verfahren gestartet und uns recht viel Zeit damit gelassen, da mein Mann einer Adoption gegenüber zu Beginn recht skeptisch war und wir ja mit Anfang und Mitte 30 noch recht jung waren. Es bedurfte somit ein bisschen Druck meinerseits, aber schließlich hat er sich immer mehr auf das Thema eingelassen. Im Laufe des Verfahrens wurde uns beiden klar, dass es für uns der richtige Weg zu einer Familie ist.

fratz.at: Die meisten Eltern bevorzugen die Inlandsadoption. War für Sie von vornherein klar, dass es eine Auslandsadoption wird?
Manuela Marchi: Wir waren prinzipiell beiden Varianten gegenüber von Beginn an aufgeschlossen. Allerdings wurde uns bereits beim ersten Informationsgespräch gesagt, dass wir in unserem Bezirk äußerst schlechte Chancen auf eine Inlandsadoption haben würden. Somit ist die Entscheidung für Thailand auch sofort an diesem Tag gefallen.

fratz.at: Können Sie uns ein bisschen über den Ablauf des formalen Adoptionsprozesses erzählen (Schulungen, formale Kriterien, etc.)?
Manuela Marchi: Zunächst muss man die Eignung im Inland bekommen. Dazu sind Hausbesuche, Gespräche mit Sozialarbeitern, gesundheitliche und psychologische Attests sowie Einkommensnachweise, Strafregisterauszüge usw. erforderlich (Anm. d. Red. mehr dazu finden Sie hier: Wie verläuft eine Adoption in Österreich https://www.schwangerschaft.at/wie-verlaeuft-eine-adoption-in-oesterreich/)
Außerdem muss ein Kurs bei einem anerkannten Kursträger (z.b. Peter Pan in NÖ) besucht werden, in welchem auf die Besonderheiten einer Adoption hingewiesen wird. Im Rahmen des Verfahrens wird bereits geklärt, ob man eine internationale Adoption in Erwägung zieht. Ist dies der Fall, so muss man sich nach Abschluss des Verfahrens mit der Landesregierung in Verbindung setzen. Dann entscheidet man sich fürs jeweilige Land und erfüllt dessen Bedingungen (z.B. Erstellung einer HomeStudy, sämtliche Übersetzungen und Beglaubigungen, etc.), wobei nochmals von Seiten der Landesregierung Kontakt zur jeweiligen BH aufgenommen wird. Hier muss man hervorheben, dass internationale Adoptionen nach dem Haager Adoptionsübereinkommen von 1993 geregelt sind und somit bestimmten Vorgaben unterliegen, die dem Schutz vor Kinderhandel dienen.

fratz.at: Welche Stellen waren in die Adoption involviert?
Manuela Marchi: Wie bereits erwähnt, muss man zunächst Kontakt mit der zuständigen Bezirkshauptmannschaft aufnehmen. Weiters muss ein Kurs besucht werden und im Falle einer Auslandsadoption Kontakt mit der Landesregierung aufgenommen werden.

 

Lieber länger warten, als …

fratz.at: Sie haben dreieinhalb Jahre gewartet bis es dann tatsächlich zur Adoption kam. Ist diese Wartezeit normal bzw. welche Gedanken sind Ihnen in dieser Zeit durch den Kopf gegangen? Haben Sie manchmal auch daran gedacht, dass es nicht klappen könnte?
Manuela Marchi: Ich würde sagen, mit 3 ½ Jahren waren wir im unteren Durchschnitt. Es werden ja die passenden Eltern für Kinder gesucht, nicht umgekehrt, daher hängt die „Auswahl“ von vielen Parametern ab, wie z.B., wie alt „darf“ das Kind sein? Werden gesundheitliche Beeinträchtigungen „akzeptiert“? Welchen Hintergrund kann man sich vorstellen (z.B. Alkohol/Drogen während der Schwangerschaft der leiblichen Mutter, etc). All das wird genau in den Sozialberichten erläutert. Hierbei ist es äußerst wichtig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Lieber länger warten, als einfach alles so offen wie möglich zu halten, nur um schneller gematched zu werden.
Wir waren immer zuversichtlich, dass es klappen wird. Aber 100% Gewissheit hat man nie!!

fratz.at: Wie hat Ihr Umfeld (Familie, Bekannte, Arbeitskollegen) auf Ihre Entscheidung zur Adoption bzw. Auslandsadoption reagiert?
Manuela Marchi: Zu Beginn gab es doch immer wieder die Frage, warum wir es nicht auf künstlichem Wege versuchen würden, schließlich wäre es dann ein „eigenes“ Kind. Mit der Zeit aber haben alle mitgefiebert, wann es denn soweit sein würde und als dann der Anruf kam, sind vor allem bei den Omas – und natürlich bei uns – dicke Freudentränen geflossen.

 

Ihre Neugier war nicht mehr zu bändigen

fratz.at: Wie war die Situation als Sie ihr Kind in Thailand abgeholt haben. Gab es Probleme, hat sich das Kind gefürchtet, weil es ja aus seiner bekannten Umgebung gerissen wurde?
Manuela Marchi: Wir durften unsere Tochter gemeinsam mit ihren Nannys in einem Heim außerhalb Bangkoks kennenlernen. Sie war damals zweieinhalb Jahre alt. Solange die Nannys dabei waren, war alles gut. Sobald diese das Zimmer verlassen haben, hat die kleine Maus hysterisch zu schreien begonnen. Das sei normal, hieß es. Am nächsten Tag kamen wir wieder, sie wurde mir nach kurzer Zeit auf den Schoß gesetzt und es ging ab ins Auto, zurück zum Apartment. Ab da waren wir zu dritt. Kaum hat sie das Apartment betreten, war ihre Neugierde auf alles nicht mehr zu bändigen. Sie ist ein äußerst interessiertes, fröhliches und neugieriges Mädl. Die größte Herausforderung war die Einschlafsituation. Das ist zum Teil bis heute so.

fratz.at: Welche rechtlichen Schritte mussten Sie nach der Adoption einleiten (Aufenthaltsgenehmigung)? Welche Erfahrungen haben Sie mit Behörden gemacht?
Manuela Marchi: In Thailand mussten wir dann zum sogenannten Board Meeting. Hierbei wird einem vor Gericht die vorläufige Obsorge übertragen. Danach beantragt man ein Visum für das Kind und bringt alle erforderlichen Dokumente zur österreichischen Botschaft. In Österreich sucht man dann um eine Aufenthaltsgenehmigung an und schickt dem jeweiligen Herkunftsland etwaige weitere Sozialberichte über die Landesregierung (post placement reports). Bei Thailand waren dies drei innerhalb von 6 Monaten. Danach erhält man einen Termin bei der thailändischen Botschaft. Mit der Unterschrift dort wird die Adoption endlich rechtskräftig. Eine Bestätigung darüber ist dann der sogenannte Artikel 23 nach Haager Abkommen. Mit diesem ist die Adoption endgültig abgeschlossen und dann dürfen Staatsbürgerschaft, Geburtsurkunde usw. in Österreich beantragt werden. Das Ganze kann durchaus 1-2 Jahre oder wie jetzt in Zeiten von Corona sogar länger dauern.

 

Papa war die erste Bezugsperson

fratz.at: Wie gestaltete sich die Eingewöhnungsphase für Ihr Kind?
Manuela Marchi: Generell ist dies bestimmt von Kind zu Kind anders, je nach Alter, Herkunft, Vorgeschichte, Familie usw. Unsere Tochter hat sich an sich recht rasch eingelebt. Wichtig waren und sind aber feste Rituale morgens und abends. Die Bindung zu mir ist erst über viele Monate hinweg entstanden. Anfangs war der Papa die erste Bezugsperson. Ein Phänomen, das häufig vorkommt und nicht unterschätzt werden sollte.

fratz.at: Was würden Sie – aus Ihren Erfahrungen heraus – Eltern raten, die ebenfalls darüber nachdenken ein Kind zu adoptieren?
Manuela Marchi: Ein Kind zu adoptieren ist ein wunderbarer Weg, eine Familie zu gründen bzw. zu erweitern. Man sollte dies jedoch nicht aus dem oft gehörten Grund „ach, da tun wir ja etwas Gutes“ tun, sondern weil man wirklich Mama bzw. Papa werden und sein (!) möchte. Ein nicht leibliches Kind bringt seine eigene Vorgeschichte mit, unabhängig davon, ob es als Neugeborenes oder später adoptiert wird. Es hat auch mindestens einen Beziehungsabbruch erlebt – den der leiblichen Mutter. Das führt bei vielen zu einer Frühtraumatisierung, die Eltern möglicherweise noch sehr lange zu begleiten haben. Es bedarf auf jeden Fall einer gewissenhaften Entscheidung und Reflexion, sich selbst und den Kindern zuliebe. Hat man sich jedoch mal für diesen Weg entschieden, dann lohnt sich jeder einzelne Tag der langen Wartezeit. Denn schließlich gibt es ja nichts Schöneres auf der Welt, als Mama oder Papa sein zu dürfen.

fratz.at: Können Sie uns eventuell noch weitere Tipps für adoptionswillige Paare bzw. Einzelpersonen geben?
Manuela Marchi: Je früher Sie sich mit den Themen Bindungsaufbau und Frühtraumatisierung auseinandersetzen, desto besser. Das hilft auch bei der Entscheidung.
* Zeit einplanen und sich nicht hetzen. Es dauert im Schnitt mindestens ein halbes Jahr, mitunter auch viel länger bis alle erforderlichen Unterlagen beisammen sind.
* Die Wartezeit intensiv für sich selbst bzw. als Paar nutzen. Die schlaflosen Nächte sowie größere und kleinere Herausforderungen kommen bestimmt.
* Sich freuen und zuversichtlich sein. Updates und etwaige Eignungsverlängerungen während der Wartezeit nicht vergessen!
* Weitere Infos findet man bei der eigenen Bezirkshauptmannschaft oder Kursträgern wie z.B. Peter Pan!

Weitere Informationen und Stories zum Thema auf unserer Partnerseite schwangerschaft.at

 

Bild: pixabay oben bzw. beigestellt (rechts)

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Zur Person

Manuela Marchi, geb. 1983 in Wien – Adoptivmama seit Oktober 2019
Ausbildung:
Lehramtsstudium Englisch/Italienisch
Masterstudium Deutsch als Zweitsprache
Tätigkeiten:
Lehrerin, überwiegend für Deutsch als Zweitsprache mit geflüchteten Jugendlichen
Seit 2016 freiberuflich als Vortragende für die Pädagogischen Hochschulen in Österreich im Bereich Deutsch als Zweitsprache tätig
Seit 2019: In Ausbildung zur Heilstättenpädagogin (hospital teaching)

Adoption-Impulse

Unter dem Titel Adoption-Impulse bietet Manuela Marchi Vorträge & Workshops rund ums Thema Adoption für alle… – Zielgruppe:

  • Menschen, die ein Kind aus dem In- oder Ausland adoptieren bzw. sich über die Unterschiede Pflege vs. Adoption informieren wollen und Impulse zur Entscheidungsfindung suchen
  • Frisch gebackene Adoptiveltern (insbesondere bei internationaler Adoption), die mittels Selbstreflexion die erste gemeinsame Zeit besser bewältigen möchten
  • Alle an (internationaler) Adoption Interessierte, die sich mit den Themen Bindungsaufbau, Frühtraumatisierung, Elternbildung etc. auseinandersetzen möchten

Kontakt: Mag. Manuela Marchi MA

Website: www.adoption-impulse.com
E-Mail: manuela.marchi@adoption-impulse.com
Tel: +43(0)677/643 002 34